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Indien startet erstmals Atomrakete von Zug aus

Das Szenario könnte aus einem James-Bond-Film stammen. Ein unscheinbarer Güterzug rollt aus einem Tunnel und bleibt auf den Gleisen stehen. Der Waggon öffnet sich und eine Rampe wird aufgestellt. Mit lautem Getöse erhebt sich eine Atomrakete in den Nachthimmel.

In diesem Fall ist das nicht das Werk eines vom MI6 gesuchten Bösewichts, sondern von Indien. Zum ersten Mal wurde eine Agni-Prime von einem Zug aus gestartet.

Laut der Defense Research and Development Organization (DRDO), der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der indischen Streitkräfte, hat der Test am 24. September stattgefunden. Dabei soll es sich um ein „full operational Scenario“ gehandelt haben – also einen Testabschuss, bei dem das gesamte Prozedere unter realistischen Bedingungen stattfindet, um einen echten Einsatz zu simulieren.

Agni-Prime startet von Zug aus

Ballistische Rakete Agni-Prime

Bei der Rakete handelt es sich um eine Agni-Prime. Das ist eine ballistische Rakete mit bis zu 2.000 km Reichweite. Sie wiegt 11 Tonnen, ist 10,5 Meter lang und hat einen Durchmesser von 1,15 Meter.

Der Gefechtskopf kann bis zu 3 Tonnen wiegen. Er kann auf einem MARV angebracht werden, der als dritte Stufe der Rakete dient. Dieses Maneuverable Reentry Vehicle kann durch eine Steuereinheit den Kurs ändern, wodurch es schwieriger wird, den Einschlagort zu berechnen und die Rakete abzufangen.

3 Arten von Gefechtsköpfen

Agni-Prime kann 2 Mehrfachsprengkörper tragen. Diese können konventionell hochexplosiv, nuklear oder thermobar sein. Letztere nutzen dasselbe Prinzip wie Aerosolbomben. Bei dieser Art Bombe wird ein brennbares Aerosol freigesetzt, das entzündet wird. Im Gegensatz zu herkömmlichen Bomben hält die Druckwirkung der folgenden Explosion länger, die Hitzeentwicklung ist höher und durch das Eindringen des Brennstoffs in Bunker und Häuser können sie effektiv gegen befestigte Ziele genutzt werden.

Weil für die Explosion Sauerstoff aus der Luft entzogen wird, entsteht ein Unterdruck in der Umgebung. Deshalb haben Aerosolwaffen den Beinamen Vakuumbomben erhalten. Dieser Unterdruck erzeugt bei Menschen im Umkreis häufig Lungenschäden, woraufhin diese ersticken.

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Primär ist Agni-Prime aber für Atomsprengköpfe vorgesehen. Aktuell geht man davon aus, dass Indien 180 nukleare Sprengköpfe in seinem Arsenal hat.

Agni-Prime startet von Lkw aus

Getarnt als Güterzug

Agni-Prime wird normalerweise von einem Starter auf Lkw-Basis abgefeuert. Die Verlagerung auf die Schiene scheint zwar die Flexibilität bei der Abschussposition einzuschränken, hat aber Vorteile.

Ein langer Lkw mit einer Atomrakete in einer dicken Röhre am Hänger ist nicht gerade unauffällig. Auch, wenn eine Plane darüber gespannt wird, fällt das Fahrzeug auf einer normalen Straße auf.

Der Zuganhänger sieht hingegen wie ein gewöhnlicher Güterwaggon aus. Auf Satellitenbildern ist vermutlich kaum zu erkennen, dass das Dach in 2 Hälften aufgeht. Die Klappen seitlich am Zug werden nur unmittelbar vor dem Abschuss geöffnet, damit der Druck der startenden Raketen nicht den Waggon beschädigt. Sind sie geschlossen, ist der Atomraketenzug wohl kaum von einem regulären Güterzug zu unterscheiden.

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Indien hat ein umfangreiches Bahnnetz

Hinzu kommt, dass das indische Zugnetzwerk das viertgrößte der Welt ist, mit einer Streckenlänge von über 68.000 km. Die Atomrakete könnte also nahezu vom gesamten Land aus gestartet werden. Mit 11 Milliarden Passagieren und 1,5 Milliarden Tonnen Fracht jährlich ist es auch eines der meistfrequentierten Zugnetzwerke – ein paar braune Frachtwaggons mehr oder weniger fallen da nicht auf.

Das Schienennetz ist nahezu vollständig elektrifiziert. Deshalb hat der Atomraketenzug einen ausfahrbaren Arm eingebaut. Dieser drückt die Oberleitung zur Seite, damit sie beim Start der Agni-Prime nicht beschädigt wird.

Im Tunnel getarnt

Bis zum Einsatz könnte man den Waggon auf dem Nebengleis eines Tunnels parken. Da wäre er nicht nur vor feindlicher Luftaufklärung verborgen, sondern gleichzeitig vor Angriffen geschützt, falls die Gegend bombardiert wird. Alternativ könnte er in einem zivilen Zugdepot untergestellt werden und würde dort in der Masse der Züge untergehen.

Um den schienenbasierten Starter zu verlegen, könnte er an einen regulären Güterzug angehängt werden und wäre so gut getarnt. Indien könnte zudem Köder-Waggons herstellen. Dazu werden normale Güterwaggons mit einem zur Seite öffneten Dach ausgestattet, so wie der Atomraketen-Zug – aber ohne Rakete oder die übrige Technik. Für die Luftaufklärung ist dann nicht erkennbar, ob es jetzt ein Dummy-Waggon ist oder ob er tatsächlich eine Agni-Prime enthält.

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Schienenstarter der Sowjetunion und Nordkorea

Die Idee der Atomraketen auf Schienen ist nicht neu. Während des Kalten Kriegs hatte die Sowjetunion für die Interkontinentalrakete RT-23 ein entsprechendes System.

Nordkorea hat 2021 eine ballistische Rakete von einem Zug aus gestartet. Dabei kam vermutlich eine Hwasong-11A zum Einsatz, die der russischen Kurzstreckenrakete Iskander-M nachempfunden ist.

Von Nordkorea veröffentlichte Bildcollage zum Start einer ballistischen Rakete aus einem Zug

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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