Kino kämpft gegen Streaming um das Überleben
Gerade boomt es an den US-Kinokassen. Den Superhelden aus „Avengers: Infinity War“ und Pixars „Die Unglaublichen 2“ ist es mit zu verdanken, dass im zweiten Jahresquartal eine Rekordsumme von 3,3 Milliarden Dollar eingenommen wurde, das beste Drei-Monats-Einspiel von April bis Juni aller Zeiten, gut 22 Prozent mehr als im Vorjahr.
In Deutschland ein anderes Bild: Drei Monate anhaltend gutes Wetter und die Fußball-WM hätten in den Kinos in der ersten Jahreshälfte erwartungsgemäß für Besucher- und Umsatzeinsatzbußen von jeweils etwa 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr geführt, rechnete der Verband der Filmverleiher (VdF) Anfang Juli vor. Mit hitverdächtigen Fortsetzungen wie „Mamma Mia 2“ und „Mission Impossible - Fallout“ könnte sich das Blatt in diesem Sommer noch wenden.
Doch die alte Frage bleibt. Ist das Kino nicht längst zum Sterben verurteilt - unter der wachsenden Bedrohung durch Video-on-Demand-Dienste (VoD) wie oder Amazon, den großen Rivalen von Hollywoods traditioneller Filmfabrik?
"Konkurrenz fördert Kreativität"
„Der Untergang des Kinos wird seit vielen Jahren immer wieder vorhergesagt“, meint der amerikanische Kino-Experte Jason Squire, Professor an der kalifornischen USC School of Cinematic Arts. Das sei vor Jahrzehnten mit der Einführung des Videorekorders und dann mit dem Internet-Boom so gewesen, erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. Er sähe die Angebotsfülle optimistisch: „Konkurrenz schafft mehr Inhalt und das fördert die Kreativität“.
Doch die Streaming-Revolution wirbelt Hollywood kräftig auf. 2017 meldete der US-Kinomarkt die niedrigste Zahl von Ticketverkäufen seit 1992. Nur höheren Eintrittspreisen war es zu verdanken, dass die Gesamteinnahmen an den Kinokassen von 11,12 Milliarden Dollar nicht drastisch abrutschten.
Immer größer und teurer
Das alte Studiosystem steht gehörig unter Druck, eine Fusions- und Übernahmewelle zieht durch Hollywood. Der Telekomriese AT&T schluckte kürzlich den Medienkonzern Time Warner und damit das traditionsreiche Warner Bros. Studio. Das 20th Century Fox-Studio von Medienmogul Rupert Murdoch ist derzeit Teil eines heißen Bieterwettstreits zwischen dem Micky-Maus-Konzern Disney und dem Kabelgiganten Comcast.
Die Filmbudgets und Marketingkosten schießen in die Höhe. Die Studios setzen am liebsten auf bewährte Franchises. „Filme drehen ist ein riesiges finanzielles Glücksspiel geworden“, meint Jason Squire. Die US-Journalistin Sharon Waxman, Gründerin des Branchenportals „The Wrap“, beschwor unlängst das nahende Ende der großen Studios. Die künftigen „Power Player“ sind für die Branchenexpertin Plattformen wie Netflix, Amazon, Apple und Google.
Längst gräbt Netflix Studioriesen wie Disney das Wasser ab. Der Video-Streaming-Marktführer mit weltweit über 125 Millionen Nutzern will in diesem Jahr rund acht Milliarden Dollar ausgeben und bald die Hälfte seiner Inhalte selbst produzieren. Dazu zählen Serien, Filme, Dokumentationen und Comedy-Formate. Netflix, für selbstproduzierte Serien wie „House of Cards“ oder „Stranger Things“ berühmt, ist mittlerweile in mehr als 190 Ländern zu empfangen.
Hoffen auf eigene Streaming-Dienste
Hollywood-Stars laufen zu Netflix & Co. über. Jennifer Aniston sagte im Mai der Netflix-Komödie „First Ladies“ zu - in der Rolle einer lesbischen US-Präsidentin. Will Ferrell schreibt für den Streaming-Dienst eine Eurovision-Komödie und soll auch selbst die Hauptrolle spielen. Nicole Kidman will mit ihrer Produktionsfirma Blossom Films künftig Filme und Serien für die Amazon Studios entwickeln. Ende 2017 gab der Online-Riese bekannt, er werde die Vorgeschichte der „Herr der Ringe“-Saga als TV-Serie auflegen. Die Erben des Autors J.R.R. Tolkien haben dem Prestigeobjekt zugestimmt.
Old Hollywood bläst mit eigenen Streamingdiensten zum Angriff. Der Disney-Konzern will ab 2019 gegen Gebühren eigene Filme exklusiv im Netz anbieten, darunter Produktionen der Pixar-Tochter, Marvel-Hits und „Star Wars“-Abenteuer. Die bisherige Kooperation mit Netflix hat dann ein Ende.
Das wiederum hilft den Kinobesitzern nicht weiter, die mit allen Mitteln versuchen, Zuschauer aus den Wohnzimmern in die Kinosäle zu holen. Dies könnte etwa mit technischen Gimmicks gelingen, wie Virtual-Reality-Stationen in Foyers oder mit besonderen Events, wie Live-Übertragungen von Sport- und Musikveranstaltungen, glaubt Jason Squire.
Werben und prahlen
Der Film-Professor sieht eine weitere Nische in dem wachsenden Unterhaltungsmarkt mit immer mehr Angeboten und Inhalten. „Einer der spannendsten Bereiche ist der Online-Vertrieb in eigener Sache für Filme mit einem kleinen Budget“, erklärt der Wissenschaftler. So wie Autoren selber Bücher herausgeben, könnten Filmneulinge ihre Werke im Netz vermarkten und online abkassieren.
Netflix setzt trotz technischer Neuerungen offenbar auf eine altbewährte Vermarktungsstrategie - riesige Plakatwände am Straßenrand. Brancheninsidern zufolge will das Unternehmen Millionenbeträge in herkömmliche Billboards stecken, etwa entlang des legendären, vielbefahrenen Sunset Boulevards, zwischen Hollywood und Beverly Hills.
Jason Squire hält das für einen cleveren Plan. „Hier fahren wichtige Leute aus der Entertainmentindustrie lang, die Entscheidungen treffen“, sagt der Professor. Doch mehr noch: „Es ist auch große Prahlerei.“ Netflix wolle damit den Eindruck vermitteln, dass man mit den Studios auf einer Stufe stehe, meint Squire. „Ich denke, das tun sie schon.“