Russen halten zivilen Doppeldecker für Drohne und schießen darauf
"Schießt auf alles, was sich bewegt!" mag in Filmen ein Befehl sein, der öfter ausgesprochen wird. Im realen Leben kann diese Taktik aber auch nach hinten losgehen. Das zeigt etwa ein Vorfall in Russland, bei dem ein ziviler Antonov An-2 Doppeldecker im Fokus der russischen Luftabwehr gerückt ist.
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Wie Videos auf Telegram zeigen, flog ein Doppeldecker, der einer Antonov An-2 ähnelt, im Tiefflug über eine Ölraffinerie in der Stadt Salavat. Da es sich beim Flugraum über der Raffinerie um eine Sperrzone handelt, wurden Flugabwehrkanonen gegen das Flugzeug eingesetzt. Treffer sind auf den Videos nicht zu sehen, was nicht unbedingt für die russische Flugabwehr spricht.
1.200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt
Salavat befindet sich etwa 1.200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt - die Reichweite einer An-2 liegt zwischen 800 und 900 Kilometer. Es ist also eher unwahrscheinlich, dass die einmotorige Propellermaschine von ukrainischem Boden aus gestartet wurde. Auch hatte das Flugzeug seine Lichter während des Flugs an - etwas, was man von einer Kamikazedrohne nicht erwarten würde.
Dass die Ukraine in der Lage ist, auch Ziele in einer solchen Entfernung anzugreifen, zeigt eine Attacke aus dem Mai dieses Jahres. Dabei soll eine unbemannte ukrainische Drohne genau diese Ölraffinerie getroffen haben. Es handelte sich dabei allerdings nicht um die An-2.
Seit über 70 Jahren im Einsatz
Die antike An-2 wird in Russland immer noch für kommerzielle und auch militärische Zwecke eingesetzt. Sie ging 1947 in Serienproduktion und ist heutzutage immer noch für Sprühflüge in der Landwirtschaft oder als Löschflugzeug im Einsatz. Von Fallschirmjägern wird sie zu Trainingszwecken genutzt.
Die An-2 (Nato-Bezeichnung: "Colt") gilt als größter Doppeldecker der Welt. Als legendär gilt auch das Geräusch ihres 9-Zylinder-Motors.
Russland reaktivierte mindestens 40 An-2
Zu Beginn des Ukrainekrieges mottete Russland den Doppeldecker wieder aus und stationierte 40 Stück des Flugzeugs auf einem Militärflughafen rund 200 Kilometer nördlich der ukrainischen Grenze, wie der Aviationist berichtete. Die Flugzeuge sollten wahrscheinlich zu Drohnen umgebaut werden, um die ukrainische Luftabwehr abzulenken und zu überlasten. Ob entsprechende Missionen überhaupt stattgefunden haben, ist allerdings nicht bekannt.
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Diese Taktik wäre nicht neu. Aserbaidschan setzte 2020 im Konflikt um Bergkarabach auf ein ähnliches Manöver. Sie ließen mehrere Doppeldecker starten, wobei die Piloten die Flugzeuge auf einen bestimmten Kurs brachten und dann mit einem Fallschirm ausstiegen. Die Flugzeuge flogen weiter, bis ihnen der Sprit ausging und sie abstürzten - oder von der armenischen Luftverteidigung abgeschossen wurden. In letzterem Fall gab Armenien die Standorte ihrer Luftverteidigung sowie deren Fähigkeiten preis.
Auch China hat einige Exemplare ihrer Y-5, die auf der AN-2 basiert, zu unbemannten Frachtflugzeugen umgebaut. China spricht dabei, dass die Flugzeuge ausschließlich für zivile Zwecke genutzt werden. Ein militärischer Einsatz ist allerdings ebenso möglich.
Tiefe, langsame Flüge möglich
Trotz seines Alters bleibt der Flugzeugtyp als leichtes Transportflugzeug ein wichtiger Bestandteil vieler Armeen. Der Doppeldecker hat für seine Größe eine relativ geringe Radarsignatur und kann langsam und niedrig fliegen. Das macht ihn für Radarsysteme, die auf höher fliegende, schnellere Flugzeuge ausgerichtet sind, schwierig zu entdecken. Außerdem kann das Flugzeug auf relativ kurzen und unebenen Strecken starten und landen, wie etwa Autobahnen oder Feldern.
Nordkorea verfügt aus diesen Gründen über eine ganze Flotte von An-2, die Kommandotruppen hinter den feindlichen Linien absetzen könnten. Südkorea hat wiederum auch eigene An-2, um genau diesen Fall zu trainieren.