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So realistisch ist das Mega-Projekt "The Line"

Es ist eines der derzeit meistdiskutierten Großbauprojekte der Welt: The Line, eine riesige Planstadt in Saudi-Arabien. Der Bau hat bereits begonnen und wenn er vollendet ist, sollen 9 Millionen Menschen darin Platz finden. Aufgebaut ist die Stadt in mehreren Modulen. Das erste soll 2030 fertigwerden und über einer Million Menschen Lebensraum bieten.

Diese ambitionierten Pläne werden gleichermaßen mit Faszination und Skepsis gesehen. Stadtplanerin Franziska Sielker, Professorin an der TU Wien, ist überzeugt, dass die technische Umsetzung für den ersten Teil machbar ist. Voraussetzung sei, dass man ähnlich wie in China viel Geld investiert und viele Arbeiter*innen einsetzt. Probleme sieht sie an anderer Stelle: „Es muss auch genug Menschen geben, die einziehen.“

Fakten zu The Line

Das sind die Eckdaten von The Line:

  • 170 km lang, 500 m hoch, 200 m breit
  • Platz für 9 Millionen Menschen
  • modularer Aufbau
  • Modul 1 soll bis 2030 entstehen, die gesamte Stadt soll 2045 fertig werden
  • Emissionsfreie Stadt
  • Energie soll zu 100 Prozent aus Wasser-, Wind- und Solarkraft kommen
  • The Line ist Teil von NEOM, das ein Skigebiet, eine Luxus-Insel, einen Technologiepark und einen Hafen vorsieht

Unklare Arbeitssituation

Damit stelle sich die Frage nach dem Arbeitsmarkt. Nach dem aktuellen Konzept finde man dort Büro- und Servicejobs. Was fehle, seien Industrieflächen und Entsorgungskonzepte. „Ich nehme an, es wird punktuell entlang der Linie Entsorgungsstationen geben. Das zeigt auch, wo interessante Wohnorte liegen. Das will man nicht vor der Tür haben.“

Generell ist die Verteilung von Wohnraum innerhalb der geplanten Hochhäuser ein spannender Aspekt. Es liegt nahe, dass die Wohnungen zunehmend teurer werden, desto höher sie liegen. Das erinnert an Science-Fiction-Utopien, z.B. aus dem 1975 erschienen Roman „Der Block“ („High Rise“). Hier entsteht ein Hochhaus, das die Parteien nie verlassen müssen, da sie alles im Gebäude finden, das sie zum Leben brauchen. Dabei entwickelt sich schnell eine Unter-, Mittel- und Oberschicht, die das Bauwerk selbst widerspiegelt, was schnell zu sozialen Konflikten führt.

Die 5-Minuten-Stadt

Ein Versprechen, das Sielker hier kritisch sieht, ist, dass alles Lebensnotwendige in nur 5 Minuten erreichbar ist. „Es gibt momentan einen Hype um 15-Minuten-Städte. Das ist die Grenze, die Menschen bereit sind, zu Fuß zu gehen. Das wollte man wahrscheinlich unterbieten.“ Ähnliche Konzepte mit integrierter Infrastruktur gibt es bereits zuhauf, in Wien etwa die Wohnkomplexe in Alterlaa.

Auch das Prinzip der Bandstadt ist kein neues. Erstmals wurde es 1882 vom Spanier Arturo Soria y Mata vorgeschlagen. Ähnlich wie bei The Line sollten parallel angeordnete Wohnblöcke durch eine Straßenbahn verbunden werden. Außen sollten Obstbäume und landwirtschaftliche Flächen angesiedelt werden. Landwirtschaft in The Line soll in mehrstöckigen Hochhäusern stattfinden. Sogenanntes Vertical Farming wird bereits seit Jahren erforscht.

Die Planer von The Line sehen viel Potenzial darin, dass das autofreie und nachhaltige Konzept viel kostengünstiger für die Regierung sei als andere Städte. Sielker sieht das aber skeptisch: „Die Kosten für die Ver- und Entsorgung sollte man bei dieser Größe nicht unterschätzen.“

Emissionsfrei und klimaneutral 

Dass man eine moderne Stadt ohne Autos baut, sei fast schon Standard. Dass man aber emissionsfrei und klimaneutral sein will, klinge idealistisch. „Dort werden extrem viele Klimaanlagen genutzt.“ Auch hier fehlen konkrete Pläne, wie The Line Temperaturen regeln möchte. Es heißt lediglich, man setze auf „natürliche Ventilation“, also das Nutzen von Druckunterschieden, um Wind durch Gebäude zu schleusen.

Ein großes Fragezeichen ist für Sielker, wie die riesige Stadt zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Schließlich müssen Unmengen Wasser über die gesamte Strecke gepumpt werden, sie muss mit Elektrizität und Internet versorgt werden und braucht ein funktionierendes Entsorgungs- und Abwassersystem.

Digitaler Zwilling und Machine Learning

Der komplexe Bau entsteht mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI). Dafür wird ein digitaler Zwilling der Stadt erstellt, der jedes kleinste Detail realistisch wiedergibt. Das ist nicht nur für die Bauplanung wichtig, sondern auch für eine effiziente Produktions- und Lieferkette, erklärt Sielker. Das ist bei großen Bauvorhaben inzwischen Usus.

Die Idee einer smarten Stadt wie The Line ist ebenfalls nicht neu. Das System soll etwa Staus und Regelmäßigkeiten erkennen und so öffentliche Verkehrsmittel optimierenFahren etwa an Wochentagen viele Leute um die gleiche Uhrzeit mit einem Aufzug von A nach B, soll das System zu diesem Zeitpunkt automatisch einen Lift bereitstellen, der auf die Personen wartet, und damit die Reisezeit verkürzen.

Dafür sollen Unmengen an Daten erhoben und verarbeitet werden. Ähnlich wie in China, wo vielerorts Gesichtserkennung eingesetzt wird, soll auch das Verhalten der Bewohner von The Line ständig beobachtet und analysiert werden. Aus europäischer Sicht stellt sich natürlich die Frage nach Datenschutz und Privatsphäre. Aber: „Wenn es in dem Land keine Regulierungen dafür gibt, muss man auch nicht mit dem Datenschutz einhergehen“, sagt Sielker. Die Projektverantwortlichen äußerten sich dazu nicht direkt. Stattdessen wird hervorgehoben, dass große Mengen an Daten über das Verhalten der Bewohner*innen zu mehr Optimierung führen würden.

Kritik am Bauprojekt

An kritischen Stimmen zum Bauvorhaben mangelt es nicht. Vor allem die Verdrängung des Howeitat-Stammes ist ein Problem. Darauf machte etwa der Aktivist Abdul Rahim al-Huwaiti aufmerksam, der später von der Regierung getötet wurde. Weitere seiner Familienmitglieder wurden verhaftet, nachdem sie sich gegen die Umsiedlung wehrten. Angeblich sollen nun weitere Mitglieder des Stammes getötet worden sein, berichtet u.a. die Menschenrechtsorganisation ALQST.

Zukunft Saudi-Arabiens

Die große Frage nach dem „Warum“ ist zumindest oberflächlich leicht beantwortet: „Letztendlich soll die Stabilität des Königreichs Saudi-Arabien auch in Zukunft gesichert sein. Wenn kein Erdöl mehr produziert werden kann, muss man wissen, wie es weitergeht“, erklärt Rüdiger Lohlker, Orientalistik-Professor mit Schwerpunkt Arabische Welt an der Uni Wien. Dabei sei vor allem eine schnell voranschreitende technologische Entwicklung, insbesondere im Bereich KI, eine Zielsetzung des Staats. Zudem wolle man die junge Elite im Land behalten. Sie erhält aktuell meist im Ausland eine gute Ausbildung.

Saudi-Arabien wolle mit seinem Vorhaben nicht nur Dubai nacheifern, sondern es übertreffen und sich damit global als technikzentrierte Macht positionieren, erklärt er. Ob bis 2045 wirklich 9 Millionen Menschen einziehen werden, bleibt jedenfalls offen. Mit dem starken Marketing und dem öffentlichkeitswirksamen Baubeginn steht Saudi-Arabien jedenfalls unter Zugzwang, die Versprechungen auch umzusetzen.

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Franziska Bechtold

frau_grete

Liebt virtuelle Spielewelten, Gadgets, Wissenschaft und den Weltraum. Solange sie nicht selbst ins Weltall kann, flüchtet sie eben in Science Fiction.

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