Frag die futurezone

Was passiert eigentlich mit Atommüll in Österreich?

In Österreich gibt es kein einziges Atomkraftwerk. Denn die betriebsbereite Anlage in Zwentendorf ging nach einer Volksabstimmung 1978 nie ans Netz und eine Verfassungsnovelle schrieb 1999 endgültig ein „atomfreies Österreich“ fest. Dennoch fallen hierzulande jährlich etwa 460 Tonnen radioaktiver Rohabfall an. 

Sie stammen aus Medizin, Industrie und Forschung oder aus dem Rückbau nuklearer Anlagen und sind nur schwach- und mittelradioaktiv. In die Restmülltonne kann man sie natürlich trotzdem nicht werfen. Was passiert also mit dem Atommüll?

Nuclear Engineering Seibersdorf

Die Antwort darauf findet sich etwa 40 Kilometer südöstlich von Wien in der kleinen Gemeinde Seibersdorf. Hier wurde in den späten 1950er Jahren ein Zentrum für Kernenergie mit dem ersten Forschungsreaktor des Landes errichtet. 

„Bei diesen Forschungsarbeiten ist von Anfang an radioaktiver Abfall angefallen. Man musste den hier ohnehin sammeln, also hat man später beschlossen, auch den Abfall aus dem übrigen Land hierherzubringen“, erklärt Roman Beyerknecht. Er ist Geschäftsführer der Nuclear Engineering Seibersdorf GmbH (NES), die sich im Auftrag der Republik Österreich um radioaktiven Müll kümmert.

Schutzhandschuhe, Putzfetzen oder Bauschutt

„Wir holen die Abfälle teilweise selbst ab, gerade von Krankenhäusern und Universitäten. Aber sie können auch mit entsprechenden Speditionen geschickt werden“, erklärt Beyerknecht. Die Fahrzeuge müssten als Gefahrentransport gekennzeichnet sein, die radioaktive Fracht wird in der Regel in Stahlfässern verpackt.

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Das Material, das zu NES kommt, sei recht unspektakulär: Schutzhandschuhe oder Putzfetzen aus Laboren, in denen mit radioaktiven Stoffen hantiert wird oder Spritzen und Kanülen aus dem medizinischen Kontext. Auch strahlenbelastete Industrieabfälle landen in Seibersdorf, etwa Anlagenteile oder Bauschutt.

Volumen verringern

Die Abfälle werden bei NES zuerst dokumentiert und charakterisiert. Dadurch können sie für die weitere Verarbeitung sortiert werden. Ziel ist, das Volumen des radioaktiven Mülls so weit wie möglich zu verkleinern

„85 Prozent des radioaktiven Rohabfalls können wir reinigen und in den konventionellen Kreislauf zurückbringen“, berichtet Beyerknecht. Erde, Schotter und zerkleinerter Beton wird etwa mittels einer Erdmessanlage in unbedenklichen bzw. radioaktiven Abfall getrennt. Metalle können eingeschmolzen werden, wobei die radioaktiven Stoffe in der Schlacke zurückbleiben und der Rest wiederverwendet werden kann.

Verbrennen, Pressen oder einbetonieren

„Alles, was brennbar ist, wird letztlich verbrannt. Die Radioaktivität verbleibt in der Asche und den Filtern“, erklärt der NES-Geschäftsführer. Radioaktiv kontaminiertes Abwasser wird mittels einer Filtrationsanlage gereinigt. Nicht brennbare Abfälle werden mit hohem Druck verpresst, ein kleiner Teil wird auch einbetoniert.

Hochdruckpresse für radioaktiven Abfall.

In den vergangenen 15 Jahren habe man viel investiert. Die Anlagen bei NES seien daher auf dem neuesten Stand der Technik und „Österreich ein Vorzeigeland“ bei der Aufarbeitung radioaktiver Abfälle, meint der Geschäftsführer. 

30 Kubikmeter pro Jahr bleiben übrig

Egal, ob verbrannt, verpresst oder einbetoniert: Alles, was nach diesen Prozessen an radioaktivem Müll übrig bleibt, wird in 200-Liter-Fässer gefüllt. Diese werden dann für etwa 1 Woche in einer Trocknungskammer bei 120 Grad Celsius getrocknet, um spätere Korrosion zu reduzieren.

Hier werden die Fässer vor der Einlagerung getrocknet.

Die dicht verschlossenen Fässer mit leicht- und mittelradioaktivem Abfall kommen anschließend ins sogenannte Transferlager. In diesen Hallen werden sie in Regale geschichtet, sodass sie jederzeit einzeln inspiziert werden können.

Insgesamt sind derzeit etwa 12.000 Fässer, also 2.500 Kubikmeter niedrig- und mittelradioaktiver Abfall in Seibersdorf zwischengelagert. Jährlich kommen etwa 30 Kubikmeter dazu – „eine verschwindend geringe Menge“, meint Beyerknecht. Zum Vergleich: Frankreich sitzt wegen seiner vielen aktiven Atomkraftwerke zurzeit auf gut 2 Millionen Kubikmetern Atommüll, ein großer Teil davon hochaktiv.

Zwischenlager bis 2045

Anders als z.B. abgebrannte Brennelemente aus AKWs entwickeln die nur schwach strahlenden Abfälle in Seibersdorf keine Wärme und sind insgesamt weniger heikel. „Sie könnten bei uns im Zwischenlager ohne Schutzausrüstung zwischen den Fässern durchgehen“, betont der Geschäftsführer.

Ohne grobe Einwirkung von außen werden keine radioaktiven Stoffe an die Umgebung abgegeben. Das einzige Szenario, in dem laut NES Strahlung freigesetzt werden könnte, ist der Absturz eines Langstrecken-Passagierflugzeugs direkt auf die Lagerhallen. Doch selbst unter ungünstigsten Bedingungen wäre die dadurch entstehende Strahlenbelastung für die Bevölkerung unbedenklich, heißt es in einer Störfallinformation.

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Die Hallen von NES sollen noch die nächsten 20 Jahre lang als Zwischenlager für alle radioaktiven Abfälle in Österreich dienen. Danach sollen sie in ein Endlager gebracht werden.

Endlager noch unklar

Wo dieses errichtet werden könnte, soll der österreichische Entsorgungsbeirat in den kommenden Jahren klären. Das 2021 gegründete Gremium besteht aus Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, NGOs, Bund, Ländern und Zivilgesellschaft. Viele Nachbarländer haben bereits Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Betrieb, etwa Tschechien, Slowakei oder Deutschland.

Einen geeigneten Standort dafür zu finden sei weniger schwierig als für ein Brennelemente-Endlager, sagt der NES-Geschäftsführer: „Die Überwachungszeit eines Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle beträgt etwa 300 Jahre. Bei hochaktiven Abfällen geht es dagegen um zehntausende oder hunderttausende Jahre“. Ob Österreich es  jedoch schaffen wird, bis 2045 tatsächlich ein betriebsbereites Endlager zu bauen, ist umstritten.

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Jana Wiese

interessiert sich besonders für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologie und Wissenschaft. Mag das offene Web, Podcasts und Kuchen, (food-)bloggt seit 2009.

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