Der Brennstoff ist in Kugeln verstaut

Der Brennstoff ist in Kugeln verstaut

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Science

So funktioniert das erste Atomkraftwerk der 4. Generation

In China hat das Kernkraftwerk Shidaowan den kommerziellen Betrieb aufgenommen. Damit ist es das weltweit erste Kernkraftwerk der 4. Generation im Regelbetrieb, berichtet CGTN.

Das Akw nutzt 2 moderne, modulare Reaktoren. Diese werden, neben anderen Reaktorformen, als Generation 4 der Kernkraft gezählt. In diesem Fall sind es Hochtemperaturreaktoren, bei denen der Brennstoff in Kugeln verstaut ist. Daher wird die Reaktorart HTR-PM genannt – High Temperature Reactor – Pebble-Bed Module. Auf Deutsch werden sie auch als Kugelhaufenreaktor bezeichnet.

Eine Kugel liefert so viel Energie wie 1,5 Tonnen Kohle

Der Bau der Anlage begann 2012. Das Akw wurde 2021 ans Stromnetz angeschlossen. Der reguläre Betrieb wurde am 6. Dezember 2023 aufgenommen. Ein Monat danach ziehen die Betreiber Bilanz: Alles läuft so, wie es soll. Die 2 Reaktoren haben täglich Energie mit einer Leistung von 150 Megawatt erzeugt.

Das Besondere an HTR-PMs ist, dass sie sicherer und effizienter als andere Reaktoren sein sollen. Der radioaktive Brennstoff ist dabei nicht in Stäben verpackt, sondern in Kugeln. Diese haben einen Durchmesser von 6 Zentimeter und sind damit etwas kleiner als ein Tennisball. Jeder Reaktor enthält bis zu 430.000 dieser Kugeln. Eine Kugel soll so viel Energie wie 1,5 Tonnen Kohle liefern, bevor der Brennstoff verbraucht ist.

Akw Shidaowan

Akw Shidaowan 

Kugeln halten Temperaturen bis zu 2.500 Grad Celsius aus

In jeder Kugel sind 12.000 ein Millimeter große Brennstoff-Partikel. In dem Partikel ist ein winziger Brennstoffkern, der von 4 Lagen Grafit umhüllt ist. Dies soll laut den Akw-Betreibern Sicherheit vor Schmelzen bieten. Bis zu 2.500 Grad Celsius sollen die Kugeln standhalten. Die Betriebstemperatur im Reaktor ist auf 750 Grad Celsius beschränkt. Diese hohe Hitzebeständigkeit soll das Austreten von radioaktivem Material effektiv verhindern.

Zur Kühlung des Reaktors, bzw. der Ableitung der Hitze, wird das Gas Helium eingesetzt. Dies erreicht höhere Temperaturen als das Kühlmittel bei herkömmlichen Reaktoren. Der damit gewonnene Dampf ist 566 Grad Celsius heiß. Damit können reguläre Dampfturbinen betrieben werden, während für normalen Atomkraftwerke Spezialturbinen gebaut werden müssen, die einen niedrigeren Wirkungsgrad haben. HTR-PMs sind also effizienter.

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Keine Kernschmelze möglich

HTR-PMs gelten zudem als Kernschmelz-sicher. Wenn der Heliumzufluss unterbrochen wird und dadurch die Temperatur im Reaktorkern ansteigt, schaltet sich der Reaktor selbstständig ab. Gefährlich wird es nur, wenn Luft oder Feuchtigkeit in den Kern eindringen. Durch Sauerstoff könnte sich das Grafit entzünden. Würde der Brand Temperaturen über 2.500 Grad Celsius erreichen, könnte Radioaktivität aus den Kugeln austreten und in die Umwelt geraten.

Ein weiterer Vorteil des HTR-PM ist, dass er im Betrieb betankt werden kann. Die Kugeln laufen von oben nach unten, der Behälter verjüngt sich nach unten hin. Am Ende ist eine Schleuse. Dort wird geprüft, ob die Kugel noch genügend Brennstoff enthält und ob sie unbeschädigt ist. Trifft das zu, wird sie nach oben transportiert und wieder in den Behälter gelegt. Ist die Kugel leer oder beschädigt, wird sie aussortiert und stattdessen eine neue Kugel oben in den Reaktorbehälter gelegt.

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Eine deutsche Entwicklung

Das Prinzip des HTR-PM wurde in Deutschland entwickelt. In der damaligen Kernforschungsanlage Jülich ging der erste Kugelhaufenreaktor 1966 in Betrieb. Er hatte eine Bruttoleistung von 15 Megawatt. Der kommerzielle Betrieb des Versuchsreaktor fand von 1969 bis 1988 statt.

2011 bis 2014 fanden Untersuchungen statt, bei denen vertuschte Störungen und bewusste Manipulation zur Verhinderung der Notabschaltung des Reaktors festgestellt wurden. Im April 2011 wurde zudem bekannt, dass 2.285 der Brennstoffkugeln anscheinend verschwunden sind. Ob sie wirklich entwendet wurden oder zu Versuchszwecken zerstört wurden, ohne dies zu dokumentieren, ist nicht bekannt.

China plant größere Version der HTR-PMs

Chinas HTR-PM soll teilweise auf dem Versuchsreaktor Jülich basieren, ist aber auf eine Betriebstemperatur von 750 Grad Celsius beschränkt. Jülich wurde von 1974 bis 1987 mit bis zu 950 Grad Celsius betrieben. Deshalb wird der HTR-PM von Shidaowan von Kritiker*innen als „Mitteltemperaturreaktor“ bezeichnet. Dadurch sei es kein echter Atomreaktor der vierten Generation.

China sieht das freilich anders. Mit dem Projekt HTR-PM600 wird bereits weiterentwickelt. Dabei sind 6 HTR-PMs zusammengeschlossen, um eine 650-Megawatt-Turbine zu betreiben. An 6 Standorten werden bereits Machbarkeitsstudien durchgeführt. Außerdem wurde eine Kooperation mit Saudi-Arabien beschlossen, welches die Entwicklung finanziell unterstützt. Dafür soll eine Versuchsanlage errichtet werden, die die nuklearerzeugte Energie nutzt, um Trinkwasser durch Destillation zu gewinnen.

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