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Senioren zocken: Pensionierte Gamer werden zum YouTube-Hit

Wenn Evelyn Gundlach (87) und Ursula Cezanne (80) in Berlin unterwegs sind, kann es passieren, dass Schulklassen ein Selfie wollen. Die beiden machen beim Youtube-Kanal „Senioren zocken“ mit. Dort gehören sie zu einer Rentnertruppe, die Computerspiele testet. Es ist wie Katzenvideos eines der vielen Dinge, die zum Internet gehören: Man guckt Leuten beim Spielen zu. Die Clips von „Senioren zocken“ finden so viele süß und witzig, dass der Kanal mittlerweile 400 000 Abonnenten hat.

Dort wird gespielt, worüber die Enkel-Generation redet: „Grand Theft Auto V“, „Minecraft“ oder „Fortnite“. Das Projekt hat die Rentner zu kleinen Stars gemacht, bis zum Digital-Preis der Goldenen Kamera. Wildfremde Leute wollen sie drücken, erzählen sie. Es gibt Autogramm-Karten und T-Shirts. Die Älteste bei „Senioren zocken“ ist 90 Jahre alt.

Aufwandsentschädigung für Spielen

Evelyn Gundlach und Ursula Cezanne sind Freundinnen. Sie kennen sich von einem Opern-Casting, als Komparsinnen haben sie Erfahrung mit Rampenlicht. Sie sind hörbar Berliner Pflanzen, Typ Rentnerin mit vollem Kalender, viel unterwegs. Für „Senioren zocken“ bekommen sie eine Aufwandsentschädigung.

Die Herausforderung bei den Computerspielen: Wie viele aus ihrer Generation haben die beiden in der Schule nur wenig Englisch gelernt und kommen nicht so schnell mit. Gleichzeitig auf den Bildschirm zu gucken und die Knöpfe zu beherrschen - das ist schwer, macht ihnen aber Spaß. „Es ist wie ein Rausch“, sagt Cezanne.

„Ich spiele liebend gerne Mario Kart“, sagt Gundlach. Cezanne mochte „Forza Horizon 4“. Da konnte sie so schön mit dem Auto durch die Landschaft fahren und sich frei fühlen. Nur Kriegs- und Ballerspiele mögen sie gar nicht. „Mit sowas spielt man nicht“, sagt Gundlach. Da sei sie radikal. Cezanne erzählt, sie habe im Luftschutzbunker gesessen und viel Angst. Aber die wolle sie überwinden und diese Spiele testen, damit die Jugendlichen ihre Meinung dazu hören.

US-Kopie

Die Produzenten sind Joschka und Sebastjan, zwei Medienschaffende, die als Macher hinter den Kulissen bleiben wollen. Die Spiele für „Senioren zocken“ kaufen sie selbst, erzählt Sebastjan. 120 Videos haben sie bereits gedreht. Der Kanal trägt sich den Machern zufolge dank Werbung und wird von anderen Projekten querfinanziert. In den USA gibt es einen ähnlichen Kanal schon länger („Elders React“).

Evelyn Gundlach bekommt bei den Dreharbeiten eine Wärmflasche gebracht, damit wärmt sie sich die Füße. Heute geht es in dem Studio, das in einer Berliner Wohnung aufgebaut ist, um „Red Dead Redemption 2“. Das vorzulesen, ist für Ursula Cezanne die erste Herausforderung. Sie sitzt mit Kopfhörern und Bedienung vor einer grünen Wand. Joschka erklärt das Spiel: „Uschi ist im Wilden Westen.“

Als Westernheld Arthur fährt Uschi mit der Kutsche durch den Wald und landet prompt im Gestrüpp. Sie braucht ein paar Anläufe, bis sie es in den Western-Saloon geschafft hat. Ihre Wangen glühen. „Ich bin fix und alle schon wieder.“ Sie fand das Spiel schwer, aber schön, sie mochte die Landschaft. Geschossen hat sie lieber nicht.

Videospiele in Altersheimen

Als Ursula Cezanne danach mit ihrer Freundin gemeinsam ein anderes Spiel spielt, kriegen sich die beiden kaum ein. Das Gerät, mit dem man mit Bewegungen in der Luft Kühe melken oder sich rasieren kann, brummt in der Hand. „Das ist ein Altenheim-Vibrator!“ Großes Gegacker. Wenn die beiden gemeinsam nach Hause fahren, haben sie wieder eine Menge zu erzählen. Ob es Videospiele in Altenheimen geben sollte? Unbedingt, finden sie. „Genau das ist es!“

Tatsächlich tut sich in Sachen Computer und moderne Technik im Alter gerade einiges. In Norddeutschland gab es schon ein Modellprojekt in Pflegeheimen, mit Spielen zum Fithalten für Ältere. Die Ergebnisse des Hamburger Projekts mit der „Memorebox“ seien vielversprechend gewesen, berichtet die Krankenkasse Barmer. „Es soll nun in etwa 100 weiteren Pflegeeinrichtungen zum Einsatz kommen.“ Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wird untersucht, ob ein spezielles Postboten-Spiel bei einer Vorstufe der Demenz helfen kann.

Die Altersforscherin Prof Adelheid Kuhlmey von der Berliner Charité verweist auf die guten Erfahrungen, die es bei Demenzkranken und der Nutzung von Tablets gibt. Diese können als Fotoalben beim gemeinsamen Erinnern helfen oder geben ein Gefühl von Sicherheit, wenn die Tochter auf Weltreise ist und mit der dementen Mutter über eine Video-Schalte sprechen kann.

Nicht ausgrenzen

Computerspiele können sich im Schwierigkeitsgrad den kranken Menschen anpassen. So wird Frust vermieden. Mediziner können mit den Daten den Verlauf des Gedächtnisverlusts beurteilen. Auch bei Gesunden ist es laut Kuhlmey wichtig, im Training zu bleiben: „Das Gehirn ist wie ein Muskel, den man trainieren kann.“ Technik dürfe alte Menschen nicht ausgrenzen. „Wichtig ist, dass das Zeitalter, in dem man speziell für Alte etwas entwickelt hat, vorbei ist.“ Es gebe ja auch keine Kühlschränke für Senioren.

Evelyn Gundlach mag nicht nur die Computerspiele im Studio, sie spielt auch an ihrem eigenen Tablet, Rommé oder Solitaire. Sie hat fünf Enkel und drei Urenkel, die seien ganz stolz. Aber was die Leute daran witzig finden, anderen im Internet beim Spielen zuzugucken, ist ihr schleierhaft: „Was ist denn daran lustig?“ In ihrer Familie ist die 87-Jährige die Einzige, die sich für Computerspiele begeistert. „Ich bin heilfroh, dass ich das machen kann. Ich möchte es nicht mehr missen.“

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