Rabattaktion für Meinungswandel
Es war eine Überraschung: Xavier Naidoo hatte immer wieder mit seltsamen Verschwörungstheorien für Kopfschütteln gesorgt – von mächtigen Eliten, die angeblich kleine Kinder töten bis hin zu wirren Thesen mit klaren antisemitischen Untertönen. Doch nun gibt er klar zu: Er hat sich auf Irrwegen befunden und möchte sich dafür entschuldigen. Wie geht man mit so einem Sinneswandel um? Ist das bloß eine jämmerliche PR-Aktion, oder ein ernstgemeinter Schritt in die richtige Richtung?
Nichts im Leben ist kostenlos. Manches kostet Geld, manches kostet Zeit, und manches kostet uns unseren guten Ruf. Unser ganzes Leben ist ein kompliziertes gesellschaftliches Spiel, in dem wir versuchen, die Kosten zu minimieren und den Nutzen zu maximieren. Öffentlich seine Meinung zu wechseln ist relativ teuer. Wer gestern gegen etwas war und heute dafür ist, wird oft als wankelmütig, inkonsequent oder meinungsschwach betrachtet. Wer in der Politik plötzlich eine andere Meinung vertritt als vor der letzten Wahl, muss beim nächsten Interview mit unangenehmen Fragen rechnen. Einen Sinneswandel bezahlt man mit Vertrauensverlust.
Das ist einerseits verständlich – denn was ist eine Meinung überhaupt wert, wenn man sie täglich nach Belieben wechselt? Das ist andererseits aber auch gefährlich – denn wie soll man jemals klüger werden, ohne manchmal die eigene Meinung zu ändern?
„Das darf doch nicht umsonst gewesen sein!“
Dummerweise sind die Kosten eines Meinungswandels oft gerade für jene Leute besonders hoch, die diesen Meinungswandel am dringendsten nötig hätten: Je tiefer man sich in seltsame Verschwörungstheorien verstrickt, umso schwerer kommt man davon los.
Wer über Jahre hinweg viele hundert Stunden damit verbracht hat, sich durch wirre Verschwörungsvideos zu klicken, esoterische Verschwörungsbücher zu lesen und mit Freunden und Verwandten zu streiten, die sich das ewige Verschwörungsgelaber nicht mehr anhören wollen, wird seinen Glauben mit großem Aufwand verteidigen: Das darf doch jetzt nicht alles umsonst gewesen sein! Nach Jahren einzugestehen, dass die Erde vielleicht doch keine Scheibe ist, dass uns die Regierung vielleicht doch nicht mit Chemtrails umbringen will, oder dass die Politik vielleicht doch nicht von reptiloiden Aliens gesteuert wird, ist hart.
Das geistige Kapital, das man sich mühsam erarbeitet hat, wird zu wertlosem Müll erklärt und weggeworfen. Man muss das prickelnde Gefühl aufgeben, im Gegensatz zu den ahnungslosen Schlafschafen ringsherum die tatsächliche Wahrheit zu kennen. Man muss möglicherweise den Kontakt zu Leuten aufgeben, die einem wichtig geworden sind – zum Guru, dem man vertraut hat, zu Glaubensgenossen, mit denen man sich durch gegenseitige Bestärkung immer tiefer ins Gestrüpp wirrer Irrtümer hineinmanövriert hat.
Nicht auslachen, sondern applaudieren!
Deswegen ist es unserer Aufgabe, diesen wichtigen und grundsätzlich begrüßenswerten Schritt so kostengünstig wie möglich zu gestalten. Wir brauchen Rabattaktionen für Meinungswandel. Wer jahrelang Unsinn geredet hat, und das irgendwann selbst erkennt, sollte danach nicht als Ex-Verschwörungstheoretiker ausgelacht werden. Niemand wird die Seite wechseln, wenn er sich dabei von der einen Seite lossagen muss, ohne eine Chance zu haben, danach von der anderen Seite freundlich aufgenommen zu werden. Wir sollten so großzügig wie möglich sein: Zu erkennen, dass man bisher falsch lag, ist schwierig und schmerzhaft. Wer das schafft, hat Respekt und Applaus verdient.
Das heißt natürlich nicht, dass mit dem ersten kleinen Schritt in die richtige Richtung jede vorangegangene Dummheit sofort vergeben und vergessen ist. Auch bei Xavier Naidoo wird man erst im Lauf der Zeit erkennen, ob es sich wirklich um einen nachhaltigen Sinneswandel handelt oder nicht. Aber die Chance, seine Meinung zu ändern, muss man ihm geben – wie auch jedem anderen. Ganz egal, wie viel Unsinn man bisher verbreitet hat: Wer klüger werden will, hat Unterstützung verdient, auf dem Weg zurück in ein rationales Weltbild. Denn dieser Weg wird kein leichter sein.