Netzpolitik

Schulbuch für "Digitale Grundbildung" ist voll mit peinlichen Fehlern

Seit 2018 gibt es in Österreich „digitale Grundbildung“ als verbindliche Übung für alle 10- bis 14-Jährigen. Dazu gibt es auch ein Schulbuch namens "vernetzt", das sowohl in digitaler, als auch in gedruckter Form vorliegt. Der IT-Experte Martin Leyrer hat in diesem Werk einige grundlegende Fehler gefunden und hat diese auf Twitter veröffentlicht.

Unter anderem findet sich auf Seite 29 im Schulbuch folgender Satz: „Am Institut CERN in Genf wird das World Wide Web, der Ursprung des Internets, entwickelt.“ Das ist faktisch falsch. Zwar wird das World Wide Web umgangssprachlich oft mit dem Internet gleichgesetzt, es ist jedoch nicht dasselbe. Die Entwicklung des Internets begann 1969 als Arpanet und wurde zuerst zur Vernetzung von Uni-Großrechnern und Forschungsstätten genutzt – Internet steht ja für INTERconnected NETworks. Das World Wide Web entstand 1989 am CERN. Tim Berners-Lee ist sein Erfinder und es ist nur eine von vielen Anwendung des Internets.

Viele Fehler im Schulbuch

Im Schulbuch ist der Name des WWW-Erfinders zudem auch mal falsch geschrieben und er heißt dort auf Seite 180 „Tim Burners-Lee“. An zahlreichen weiteren Stellen im Buch wird das WWW mit dem Internet gleichgesetzt, wie etwa bei der Passage zur "Suche im Internet". Leyrer fand auch viele weitere Fehler im Buch.

So wurde etwa davon ausgegangen, dass es sich bei der Turingmaschine wirklich um eine Maschine handelt, anstatt eines mathematischen Modells. Auch drin: Die digitale Sprachassistentin Alexa wird als künstliche Intelligenz bezeichnet. Teilweise sind die Abbildungen von Computern auch extrem veraltet und es sind Anschlüsse von Standrechnern aus den späten 1990er-Jahren auf Bildern zu sehen, die es schon lange in der Form nicht mehr gibt.

"Spiegelt Stellenwert der IT-Ausbildung wider"

„World Wide Web und Internet werden im täglichen Sprachgebrauch mittlerweile austauschbar verwendet, aber in einem Schulbuch für digitale Grundbildung ist das aus didaktischer, pädagogischer und technischer Sicht falsch“, sagt Leyrer im Gespräch mit der futurezone. „Das Schulbuch spiegelt wider, welchen Stellenwert IT-Ausbildung in Österreich hat“, so Leyrer, der seit 30 Jahren mit Computern in der IT arbeitet.

Auf die Frage, warum das so lange niemandem aufgefallen sei, sagt der IT-Experte: „Die Lehrkräfte, die sich auskennen, benützen dieses Buch wahrscheinlich nicht. Und jene, die es benötigen, erkennen die Fehler nicht. Es gibt auch keine zentrale Feedback-Stelle, bei der man Fehler melden kann. Eine fachliche Prüfung findet offenbar weder im Verlag noch im Ministerium statt.“

Das sagt der Schulbuchverlag dazu

Leyrer hat sowohl das Bildungsministerium als auch den Schulbuchverlag auf die Fehler aufmerksam gemacht. Die futurezone hat beim zuständigen Schulbuchverlag ÖBV nachgefragt, wie es zu derartigen Fehlern kommen könne: „Trotz gründlicher und gewissenhafter Erarbeitung von Inhalten kann es natürlich vereinzelt wie auch im vorliegenden Fall zu inhaltlichen Fehlern kommen. Wir haben großes Interesse daran, in diesem Fall schnell zu reagieren und Korrekturen vorzunehmen.“

Die digitale Version des Buchs werde nun nach der Kritik bis zum Herbst überarbeitet, die gedruckte Version kann bis zum Herbst 2023 korrigiert werden. So lange dauert nämlich der Prozess, den ein Schulbuch durchlaufen muss, von den Korrekturen bis zum Druck. Sehr viele Lehrer*innen würden das Buch aber in digitaler Form nutzen, heißt es ergänzend.

Der Satz, in dem das WWW mit dem Internet verwechselt wird, wird fix ausgebessert, so die Rückmeldung des Verlags. Der Schulbuchverlag betonte jedoch: „Wir möchten darauf hinweisen, dass es sich bei dem vorliegenden Werk um ein Lehrmittel für 11-bis 14-jährige Schüler*innen handelt, und daher bestimmt an der ein oder anderen Stelle vereinfachte, altersgerechte Darstellungen liefert, die es Kindern und Jugendlichen leicht macht, Grundkenntnisse in digitaler Bildung zu erwerben.“ Laut dem Verlag wurde das Buch durch Medienpädagog*innen geprüft.

Um dieses Schulbuch handelt es sich

Gutachterkommission prüfte das Buch pädagogisch

Wir haben auch das Bildungsministerium mit der Frage konfrontiert, ob derartige Inhalte nicht geprüft werden. Für die Inhalte zuständig und verantwortlich sei der Schulbuchverlag, heißt es dazu seitens des Ministeriums. Zusätzlich werden die Schulbücher von einer „Gutachterkommission“ begutachtet, was auch im Fall des Schulbuchs für digitale Grundbildung erfolgt sei. „Ein Schulbuch muss so oft zur pädagogischen Prüfung vorgelegt werden, bis ein positives Kommissionsgutachten vorliegt, um bei der Schulbuchaktion teilzunehmen“, so Peter Stöckl, Sprecher des Bildungsministers. Inhaltlich werden die Bücher offenbar nicht geprüft.

Das Schulbuch zur digitalen Grundbildung sei, bevor es nach Österreich kam, bereits in Deutschland im Einsatz gewesen und sei nur auf „österreichische Verhältnisse“ angepasst worden, erklärt Stöckl. Derzeit seien Gespräche mit dem Schulbuchverlag am Laufen. „Nach Feststellung, um welche Fehler es sich handelt, gibt es unterschiedliche Szenarien, von der Überarbeitung des Werks bis hin zur Zurückziehung aus der Schulbuchaktion liegen die Handlungsmöglichkeiten“, so das Ministerium.

Ab dem Herbst startet das Pflichtfach "Digitale Grundbildung für 1., 2. und 3. Klasse Mittelschule oder AHS

Neues Pflichtfach ab Herbst, Schulbuch ab 2023

Brisant ist die Angelegenheit aus mehreren Gründen: Im Herbst startet an den Schulen das Pflichtfach „digitale Grundbildung“ an der ersten, zweiten und dritten Klasse AHS-Unterstufe und Mittelschule. Davor war das Fach eine „verbindliche Übung“ ohne Noten. Das Schulbuch „digitale Grundbildung“ gewinnt daher enorm an Wert. Umso erstaunlicher ist es, dass eine neue Version des Schulbuchs erst für das Schuljahr 2023/2024 angedacht ist.

„Aufgrund der geplanten Lehrpläne wird das Werk momentan grundlegend vom Verlag neu überarbeitet und die pädagogische Überprüfung wird von mehreren Gutachterkommissionen durchgeführt. Für das Schuljahr 23/24 wird bei positiver Prüfung des Ministeriums, ein grundlegend überarbeitetes Werk angeboten“, heißt es dazu seitens des Ministeriums.

Hervorheben österreichischer Leistungen wie das "Mailüfterl"

Neben den technischen Korrekturen hat Leyrer auch inhaltliche Verbesserungen angesprochen. Etwa, dass in einem Schulbuch für den österreichischen Markt etwa auch das „Mailüfterl“ besprochen werden könnte. Das war der erste Computer auf europäischem Festland, der vollständig mit Transistoren arbeitete. Er wurde ab 1955 an der Technischen Universität Wien von Heinz Zemanek gebaut. Auch die österreichisch-amerikanische Erfinderin Hedy Lamarr könnte als Vorbild für junge Frauen hervorgehoben werden. Lamarr erfand 1940 mit dem Frequenzsprungverfahren die Grundlage für den modernen Mobilfunk, um die USA im Kampf gegen das Hitler-Regime zu unterstützen.

Leyrer wünscht sich außerdem, dass bei der nächsten Überarbeitung des Buchs auch IT-Expert*innen mit technischem Verständnis herangezogen werden. „Gerade in der IT geht es um 0 und 1, um richtig oder falsch. Natürlich muss man Dinge für die jeweilige Altersgruppe verständlich erklären und runterbrechen, aber nicht auf Kosten der Korrektheit.“

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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