Kritik an Regierung: Offene Corona-Daten kamen zu spät
Erst Mitte April, fast 2 Monate nachdem die ersten Fälle in Österreich bekannt wurden, gab das Gesundheitsministerium die Datensätze in maschinenlesbarer Form unter einer offenen Lizenz frei. Dass dies nicht früher geschehen sei, begründete man mit anderen Prioritäten. Bei vielen stößt das auf Unverständnis. "Daten sind so zentral in der politischen Argumentation, dass Weitergabe und transparente Veröffentlichung auf der Agenda höher oben stehen sollten", sagt der Politikwissenschaftler Flooh Perlot, der auf seiner Website drawingdata.net Visualisierungen von Corona-Daten veröffentlicht.
"Viele Daten fehlen noch"
Open Data hätte zwar die Lage verbessert, viele Daten würden aber nach wie vor fehlen. Zeitliche Verläufe in höherer regionaler Auflösung würden sich, wenn überhaupt, nur lückenhaft nachvollziehen lassen, sagt Perlot: "Grundlegende Daten zum zeitlichen Verlauf gibt es nicht."
Auch Änderungen bei den veröffentlichten Daten, etwa in den Zählweisen der Todesfälle, seien nicht kommuniziert worden. Die Transparenz im Umgang mit Daten sei nicht immer gegeben. So seien etwa aus den offiziellen Dashboards von einem Tag auf den anderen auch die Infektionszahlen zu den einzelnen Wiener Gemeindebezirken verschwunden. Die Möglichkeit sich konsistent die Entscheidungsgrundlagen für die Maßnahmen der Regierung ansehen zu können fehle, meint Perlot. "Man muss sich viel zusammensuchen. Es wäre schön, wenn es mehr Transparenz gebe."
Auch Daniel Blazej von der Grazer Agentur DatenFakten, der ebenfalls Tabellen und Grafiken zur Coronaverbreitung veröffentlicht, beklagt fehlende Zeitreihen und Unstimmigkeiten bei den veröffentlichten Daten. Er wünscht sich eine direkte Schnittstelle, um die Daten zu übertragen. Derzeit müsse man die Files herunterladen, teilweise mehrmals am Tag, sagt Blazej.
"Viel Know-how und Engagement"
Politikwissenschaftler Perlot verweist im Zusammenhang mit den Corona-Daten auf positive Erkenntnisse. Leute, die mit Daten arbeiten, seien sehr engagiert und würden viel Material zur Verfügung stellen. Allein was etwa auf der Wikipedia an Datenmaterial zur COVID-19-Pandemie gesammelt werde, sei beeindruckend. Dort können etwa auch Zeitreihen zur Coronaverbreitung abgerufen werden. "Es ist viel Know-how und Engagement dabei." Daten zurückzuhalten und nur zu veröffentlichen, was man für richtig halte, funktioniere nicht mehr, sagt Perlot.
"Data first"
Dass die österreichischen Daten zur Corona-Pandemie nicht gleich maschinenlesbar und unter einen offenen Lizenz zur Weiterverwendung freigegeben wurden, sondern zunächst nur auf einem Dashboard des Gesundheitsministeriums ausgespielt wurden, kann Robert Harm, der beim Open-Data-Portal des Bundes data.gv.at für die Technik verantwortlich ist, nur teilweise nachvollziehen. Ein Prinzip von Open Government sei „data first“, d.h. die Datenbereitstellung zu priorisieren und so aufzubereiten, dass sie jeder verwenden kann. Dashboards, Apps und Visualisierung würden dann sozusagen als Nebenprodukt entstehen.
Leider fehle es in Österreich an einer Verpflichtung zur Proaktivität im Sinne der Informationsfreiheit, sagt Harm. In anderen Staaten sei es üblich, nicht-personenbezogene Daten der Verwaltung generell öffentlich und maschinenlesbar verfügbar zu machen, außer sie unterliegen entsprechenden Geheimhaltungsgründen. Öffentliche Stellen in Österreich hingegen publizieren oft nur verarbeitete Informationen, aber nicht die zugrundeliegenden Daten. Ein Grund hierfür sei auch die noch immer gültige Amtsverschwiegenheit, sagt Harm: "Diese Gesetzesgrundlage und Kultur gilt es zu ändern."
Kritik von Forschern
Auch zahlreiche österreichische Wissenschaftler beklagten sich über fehlenden Zugang zu Daten zur Corona-Verbreitung. Für die Beantwortung wesentlicher Frage fehle schlicht das Datenmaterial, hieß es in einem offenen Brief an das Gesundheitsministerium. Man sei deshalb größtenteils im Blindflug unterwegs. Während man international durchaus froh sei, wenn Wissenschaftler Daten auswerten und Erkenntnisse mitteilen, würden in Österreich oft Bedenken im Hinblick auf die Wirkung von Ergebnissen vorherrschen.
Im Gesundheitsministerium reagierte man Anfang Mai auf die Kritik und kündigte die Schaffung einer Datenplattform zur Nutzung anonymisierter Daten aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) für die wissenschaftliche Community an. Zuletzt hieß es aus dem Ministerium auf Anfrage der futurezone: "Diese Arbeiten werden zeitnah abgeschlossen sein. Das genaue Datum steht noch nicht fest."
"Auf allen Ebenen verschlafen"
Die Corona-Krise werde uns noch länger begleiten, der breite Zugang zu Daten könne Erleichterung verschaffen, durch eine bessere Datenlage könne man sich viel ersparen, sagt der Ökonom Walter Palmetshofer von der Open Knowledge Foundation. Sich datentechnisch auf die weitere Entwicklung vorzubereiten, sei in Österreich aber auf allen Ebenen verschlafen worden.
Nicht personenbezogene Daten sollten standardmäßig der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, fordert Palmetshofer. Der Zugang zu Daten werde trotz gegenteiliger Ankündigungen im Regierungsprogramm aber von oben diktiert: "So funktioniert ein moderner Staat nicht."