Bodeneffektfahrzeug: Der Mix aus Boot und Flugzeug ist wieder in
Bodeneffektfahrzeuge gelten als Exoten unter den Fortbewegungsmitteln. Sie sind eine Mischung aus Wasserfahrzeug und Flugzeug und nicht darauf ausgerichtet, in großer Höhe zu fliegen. Stattdessen machen sie sich ein physikalisches Phänomen zunutze, um effizient vorwärtszukommen: den Bodeneffekt.
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In Bodennähe bilden sich unter den Tragflächen von Bodeneffektfahrzeugen nämlich Luftkissen, auf denen die Fahrzeuge sozusagen reiten. Diese Luftkissen reißen allerdings ab, je höher das Fahrzeug steigt. Als Faustregel gilt: Der Bodeneffekt tritt nur auf, wenn die Flughöhe die halbe Flügelspannweite nicht überschreitet.
Schneller als Schiffe, billiger als Flugzeuge
Bodeneffektfahrzeuge haben mehrere Vorteile: Sie sind sehr effizient, denn durch den Bodeneffekt erhalten sie zusätzlichen Auftrieb. Dadurch steigt die Reichweite und es können große Lasten transportiert werden. Außerdem kann man sie günstiger herstellen als Flugzeuge. Im Vergleich mit Booten und Schiffen spricht die hohe Geschwindigkeit für die Bodeneffektfahrzeuge. Sie können Geschwindigkeiten von über 500 km/h erreichen.
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Gerade für die Dekarbonisierung der Schifffahrt würden sich die gleitenden Wasserfahrzeuge daher eignen, argumentieren Befürworter. Schwere Batterien seien für die Fahrzeuge kein Problem und mit einer Batterieladung komme man viel weiter, als würde man ein herkömmliches Boot mit einem Akku ausstatten.
Wasserstoff statt Akkus
Das US-Start-up Sea Cheetah will sogar auf Wasserstoff setzen, um die Reichweite noch weiter zu erhöhen. Wasserstoff lässt sich zudem deutlich schneller tanken, als Batterien laden können - das wäre vorteilhaft für einen Fährbetrieb bzw. Gütertransport auf fixen Routen.
Das Unternehmen befindet sich allerdings noch in einer frühen Phase und hat bisher nur Renderings veröffentlicht. Darauf ist ein Bodeneffektfahrzeug zu sehen, das von 2 Propellern angetrieben wird.
Die Schwimmkörper unterhalb der Tragflächen dienen wohl gleichzeitig als Tanks, in denen der Wasserstoff gespeichert ist. Ob dabei komprimiertes Gas oder flüssiger Wasserstoff zum Einsatz kommt, ist ebenso wenig bekannt, wie der Antrieb des Fahrzeugs.
Infrage kommt, den Wasserstoff über eine Brennstoffzelle in Elektrizität umzuwandeln, die die Motoren antreibt, oder ihn direkt in spezielle Verbrennungsmotoren zu leiten. Das Bodeneffektfahrzeug soll jedenfalls mit einer Geschwindigkeit von mehr als 250 km/h unterwegs sein und 3 Mal weiter kommen als batteriebetriebene Modelle.
Bodeneffektfahrzeuge im Laufe der Zeit
1920er-Jahre: Das Phänomen des Bodeneffekts wurde bekannt, da Piloten feststellten, dass ihre Flugzeuge im niedrigen Landeanflug effizienter zu sein schienen
1960er-Jahre: Die Technologie wurde weiterentwickelt, hauptsächlich in der Sowjetunion. In diese Zeit fällt auch die Entwicklung des "Kaspischen Seemonsters". In den USA forschte der deutsche Ingenieur Alexander Lippisch an den Fahrzeugen
1970er-Jahre: Das Modell Rhein-Flugzeugbau X-113 basierte auf einem Entwurf von Lippisch und flog 1970 erstmals über den Bodensee. Günther Jörg sah Fehler beim Design und entwarf das Tandem Airfoil Flairboat, das seiner Meinung nach besser war. Bis 2004 hatte er 16 Prototypen gebaut.
1979: Das erste Modell der sowjetischen A-90 Orljonk wurde in den Dienst gestellt
1987: Die sowjetische Lun-Klasse wurde in den Dienst gestellt. Nur ein Exemplar wurde gebaut
1993: Die letzten Exemplare des Modells A-90 Orljonk wurden außer Dienst gestellt
1996: Das US-Unternehmen Universal Hovercraft präsentierte sein Bodeneffektfahrzeug "Hoverwing"
2001: Basierend auf der Arbeit von Lippisch entwickelte Hanno Fischer den Airfish 3 und den Airfish 8, der 2001 seinen Jungfernflug antrat
2011: Das Bodeneffektfahrzeug WSH-500 von Fischer Flugmechanik führt Tests in Korea durch. Es kann bis zu 50 Passagiere transportieren
2021: Regent beginnt mit der Entwicklung seines "Seagliders"
2022: Das Liberty-Lifter-Projekt des US-Militärs beginnt
2024: Sea Cheetah will ein wasserstoffbetriebenes Fahrzeug entwickeln
Batteriebetriebene Modelle
Solche batteriebetriebenen Modelle sind in ihrer Entwicklung bereits weiter. Das US-Unternehmen Regent baut gerade an einem lebensgroßen Prototyp seines Seagliders. Dieser solle 12 Passagiere 290 Kilometer über Küstengewässer transportieren können.
Ob die geplante Markteinführung 2025 gelingt, darf allerdings bezweifelt werden - zunächst stehen ausgiebige Tests auf dem Programm. Einen funktionsfähigen, kleineren Prototyp gibt es allerdings bereits.
Nichtsdestotrotz ist die Nachfrage nach den Bodeneffektfahrzeugen groß. Das Unternehmen konnte laut eigenen Angaben bereits mehr als 600 Aufträge im Wert von 9 Milliarden US-Dollar lukrieren. Zu den zukünftigen Kunden zählen Fluggesellschaften, Frachtunternehmen und Fährenbetreiber aus aller Welt.
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Ob elektrische Bodeneffektfahrzeuge erfolgreicher werden als jene mit fossilen Treibstoffen, wird sich zeigen. Das 2001 in Deutschland entwickelte Fischer Airfish AF-8 sollte eigentlich als eine Art Bootstaxi in Ozeanien eingesetzt werden. Das Fahrzeug fand aufgrund technischer Probleme und finanzieller Schwierigkeiten der Produzenten allerdings keine große Verbreitung.
Nach mehreren Unternehmensumstrukturierungen will nun ST Engineering aus Singapur eine überarbeitete 10-sitzige Version des Airfish AF-8 2025 auf den Markt bringen. Die Türkei hat bereits Interesse bekundet, um damit Touristen zu befördern. ST Engineering bietet das Fahrzeug auch für militärische Zwecke an.
Militärischer Einsatz: Das Seemonster
Der militärische Einsatz von Bodeneffektfahrzeugen (russisch: Ekranoplan) wurde bereits in den 1960er-Jahren geprüft. Die Sowjetunion konstruierte mit dem “Kaspischen Seemonster” ein Gefährt, das 100 Meter lang war, eine Flügelspannweite von etwa 40 Metern besaß und 550 Tonnen Zuladung mit Geschwindigkeiten von über 500 km/h transportieren konnte. Durch den Gleitflug in Bodennähe konnte es zur damaligen Zeit nicht durch feindliches Radar erfasst werden.
Von dem streng geheimen Fahrzeug wurde wohl nur ein Exemplar gebaut, das 1980 bei einem Unfall sank. Auf das Kaspische Seemonster folgte die Lun-Klasse mit ebenfalls nur einem Exemplar und die A-90 Orljonk, von der immerhin 5 Stück gebaut wurden. Die letzten davon wurden 1993 außer Dienst gestellt.
Mittlerweile soll das Konzept allerdings auch für die militärische Nutzung wiederbelebt werden. Die Forschungs- und Entwicklungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums arbeitet seit 2022 mit einem Boeing-Tochterunternehmen am Liberty Lifter - einem Bodeneffektflugzeug, das 100 Tonnen Ladung fassen kann und 12.000 Kilometer weit kommen soll. Der Erstflug eines kleineren Modells ist für 2027 angesetzt.