Quanten: Es gibt keinen Schmetterlingseffekt bei Zeitreisen
Es ist ein beliebtes Science-Fiction-Szenario: Jemand reist in die Vergangenheit, um den Verlauf der Geschichte zu ändern. Anstatt des gewünschten Resultats ist dann aber alles anders in der Gegenwart. So hat etwa das Töten von Baby-Hitler nicht den Zweiten Weltkrieg verhindert, sondern zu einem thermonuklearen Krieg geführt, der die Erde in einen nuklearen Winter gestürzt hat.
Das ist das Resultat des Schmetterlingseffekts. Den Namen hat er durch die Kurzgeschichte „A Sound of Thunder“ aus dem Jahr 1952. Darin steigt ein Zeitreisender unabsichtlich auf einen Schmetterling und ändert so die Zukunft. Die Chaostheorie hat sich dem Schmetterlingseffekt ebenfalls angenommen. Berühmt wurde er 1972 durch den Meteorologen Edward Lorenz, der fragte, ob der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann. In beiden Fällen ist die Aussage, dass aufgrund der Komplexität der Folgeeffekte nie vorhersagt werden kann, welches Ergebnis eine bestimmte Aktion auf die Zukunft hat.
Simulierte Zeitreise
In der klassischen Physik wird eher von einem Dominoeffekt ausgegangen. Jede Aktion steht für sich und hat eine vorhersehbare Reaktion. Quantenmechaniken spielen aber nach eigenen Regeln. Deshalb war bisher nicht klar, ob es in der Quanten-Welt auch einen Schmetterlingseffekt gibt. Forscher des Los Alamos National Laboratory haben jetzt eine simulierte Zeitreise unternommen, um das herauszufinden.
Dazu haben sie einen IBM Quantencomputer genutzt. Mit Quantencomputern ist es laut den Forschern problemlos möglich, einen Vorgang zu simulieren, der rückwärts in die Vergangenheit geht. So konnten sie herausfinden was passiert, wenn sie in der Quanten-Welt in die Vergangenheit reisen, eine Beschädigung vornehmen (das symbolische Treten auf den Schmetterling) und wieder in die Gegenwart reisen.
Alice und Bob
Für ihre Simulation haben die Forscher den Platzhalter Alice und Bob kreiert. Alice bereitet ein Qubit in der Gegenwart vor. Qubits sind die kleinste Speichereinheit in der Quanten-Welt. Im Gegensatz zum normalen Bit kann es unendlich viele Zustände annehmen.
Alice lässt das Qubit jetzt rückwärts durch den Quantencomputer laufen. Tief in der Vergangenheit gibt es einen Eindringling: Bob. Der misst das Qubit. Dadurch kann das Qubit nicht mehr alle erdenklichen Zustände einnehmen: Die vielen „vielleichts“ werden zu einem „so ist es“. Das stört das Qubit und unterbricht seine Beziehung zur Quanten-Welt.
Jetzt wird das System wieder nach vorne laufengelassen, also zurück in die Gegenwart. Laut Schmetterlingstheorie müsste diese kleine Änderung im Qubit von Alice durch die vielen Möglichkeiten auf der Reise vorwärts durch die Zeit zu gewaltigen Konsequenzen führen und die ursprüngliche Quanten-Welt de facto zerstört sein.
Selbstheilende Realität
Das ist aber nicht passiert. Die Information im Qubit von Alice kehrte nach der Zeitreise mit nur sehr kleinen Beschädigungen wieder zurück, trotz der Einmischung von Bob. Die Forscher haben die Simulation noch mehrmals durchgeführt. Desto weiter sie in die Vergangenheit reisten und desto größer die simulierte Quanten-Welt war, umso weniger war die Information im Qubit von Alice beschädigt.
Für die Forscher wirkt das so, als sei „die Realität selbstheilend“. „Unsere Welt halt überlebt, das bedeutet, dass es keinen Schmetterlingseffekt in Quanten-Mechaniken gibt.“ Eine Zeitmaschine kann man damit aber nicht basteln. Die Forscher sehen es hingegen als einen Schritt zur Entwicklung von Quanten-Hardware, mit der Informationen versteckt werden können.
Außerdem könne man mit dieser Simulation überprüfen, ob ein Quanten-Prozessor tatsächlich nach den Quanten-Prinzipien funktioniert. Da dieser neu entdeckte „Nicht-Schmetterlingseffekt“ nur in der Quanten-Welt existiert, muss der getestete Prozessor tatsächlich ein Quanten-Prozessor sein, wenn das System diesen Effekt zeigt.