Wie Quantentechnologie Europa abhörsicher macht
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"Verschlüsselung kann man heute bereits als geknackt ansehen", sagt Helmut Leopold, Leiter des Center for Digital Safety & Security am AIT Austrian Institute of Technology. Denn sobald Quantencomputer leistungsfähig genug sein werden, könnten sie die Codes, an denen derzeitige Computer scheitern oder hundert Jahre brauchen würden, in kurzer Zeit entschlüsseln. Anders als herkömmliche Computer, die nur zwischen 0 und 1 unterscheiden können, können die in Quantencomputern zum Einsatz kommenden Qbits viele Zustände einnehmen. Die Zahl steigert sich mit der verfügbaren Anzahl an Qbits exponentiell.
Werden also heute verschlüsselte Nachrichten mit sensiblen Informationen abgefangen, könnten sie möglicherweise schon in wenigen Jahren von Angreifern problemlos dechiffriert werden.
Quantennetzwerk
Quantentechnologie biete durch Quantenverschlüsselung aber auch die Möglichkeit, sich dagegen zu wappnen, sagt Leopold. Das AIT, Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung, ist auf dem Gebiet laut dem Forscher "weltweit führend" und arbeitet gemeinsam mit Partnern aus ganz Europa an der Schaffung eines solchen abhörsicheren Quantennetzwerkes.
Wie funktioniert es?
Konkret geht es dabei um den Quantenschlüsselaustausch oder wie es im Englischen heißt, "Quantum Key Distribution" (QKD). Dabei kommen Quanteneffekte zum Einsatz, um den Schlüssel von Nachrichten zu erzeugen. "Ein wesentlicher Aspekt der Technik ist das Phänomen, dass Teilchen miteinander verschränkt sind, also miteinander in Beziehung stehen", erläutert Leopold. Durch die Verschränkung würden sich die Teilchen auch an unterschiedlichen Orten genau gleich verhalten. Schicke man sie in unterschiedliche Richtungen, würde auf beiden Seiten gleichzeitig der Schlüssel erzeugt.
"Niemand kann mithören, welche Schlüssel produziert werden", sagt Leopold. Die solcherart an unterschiedlichen Punkten erzeugten Schlüssel seien absolut abhörsicher. Leopold: "Auch ein Quantencomputer kann sie nicht errechnen."
Der Aufbau der Infrastruktur für ein solches abhörsicheres Quantennetz sei ein Projekt für die nächsten 10 Jahre. Die Technologie sei aber da und könne auch bereits genutzt werden, sagt Leopold.
Behördenkommunikation und medizinische Daten
Im Rahmen des vom AIT geleiteten EU-Projekts OPENQKD soll die Technologie an 16 Standorten in Europa erprobt werden. Zur Anwendung kommen soll sie unter anderem in der Behördenkommunikation, dem Schutz sensibler medizinischer Daten, aber auch zur gesicherten Übertragung von Kontroll- und Steuerungssignalen im Bereich der kritischen Infrastruktur, beispielsweise in der Energieversorgung.
Erste Tests für die abhörsichere Datenübertragung laufen laut Leopold bereits. In Österreich soll Quantenverschlüsselung dabei etwa bei der Speicherung medizinischer Daten und bei der Kommunikation zwischen Behörden eingesetzt werden.
Miniaturisierung
Parallel zum Aufbau der Infrastruktur wird auch daran geforscht, die Technologie kleiner und billiger zu machen. Die Geräte seien heute noch so groß wie ein Videorekorder, erzählt Leopold. Ziel sei es, dass die Mechanismen, mit denen die Verschränkungen der Teilchen gemessen werden, auf einem Chip Platz finden. So ein Chip könnte dann etwa in Computern und Smartphones eingebaut werden.
Ein wichtiger Bestandteil sei auch die Kommunikation über Satellit, mit der die Beschränkung glasfaserbasierter QKD-Systeme, die nur an die hundert Kilometer Übertragungsreichweite zulassen, überwunden werden können.
Ökosystem
Bei dem EU-Projekt zum Aufbau eines sicheren Netzwerks zur Quantenkommunikation steht aber nicht nur die Forschung im Fokus. Ein wesentlicher Teil ist auch der Aufbau eines Ökosystems für Quantentechnologie-Anbieter und Entwickler.
Die Grundlagenforschung laufe ins Leere, wenn es keinen Markt gebe. Es brauche Hersteller, die die Produkte bauen und vertreiben, Servicebetreiber, die sie warten und Anwender, die sie nutzen", sagt Leopold: "Es geht auch darum, Anreize zu setzen und das Ökosystem zu stimulieren. Dazu braucht es europaweite Kooperation."
Quantentechnologie
Die EU will in den nächsten 10 Jahren mehr als eine Milliarde Euro in Quantentechnologie stecken. Der Bereich umfasst nicht nur Quantencomputer. Auch Quantenkommunikation und Quantensensoren sind Teil davon. In Bezug auf die Technologieverfügbarkeit und die Marktreife gebe es dabei große Unterschiede, sagt Helmut Leopold vom AIT. Zum Einsatz kommen werde Quantentechnologie zunächst zur Erfüllung spezieller Aufgaben, komplementär zu bestehenden Technologien.
- Quantencomputer. Die Rechner, die statt mit binären Bits mit sogenannten Qbits arbeiten, befinden sich noch in einer frühen Phase. Google, IBM und chinesische Technologiefirmen investieren viel Geld in den Bereich. In Österreich arbeitet das aus der Universität Innsbruck hervorgegangene Start-up Alpine Quantum Computing an einem Quantenrechner. Erste spezielle Anwendungen gibt es im Bereich der Chemie und der Pharmaindustrie. Mit Allzweck-Quantencomputern ist nicht vor 2030 zur rechnen.
- Quantenkommunikation. Durch Quantennetzwerke soll vor allem die Sicherheit der Datenübertragung verbessert werden. Aus den Quantennetzwerken könnte in den nächsten 5 bis 10 Jahren auch eine Art paralleles Quanteninternet wachsen, in dem Quantengeräte miteinander kommunizieren.
- Quantensensoren. Dabei werden quantenmechanische Eigenschaften genutzt, um Veränderungen in Magnetfeldern erkennen zu können. Schon heute können sie zur Messung von Gehirnaktivitäten eingesetzt werden. Künftige Einsatzgebiete umfassen die satellitenunabhängige Navigation, aber auch in Smartphones und in der Unterhaltungselektronik könnten Quantensensoren in 10 bis 15 Jahren etwa zur Messung von Geschwindigkeit oder Erdanziehung zum Einsatz kommen.
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