Am Flughafen und bei Groß-Events: Wie kann man Blitze vorhersagen?
Große Flughäfen wie Wien-Schwechat überlassen kaum etwas dem Zufall: Eng getaktet starten und landen dort jeden Tag Hunderte Flugzeuge. Zehntausende Passagiere samt Gepäck werden abgefertigt und Tausende Mitarbeiter kümmern sich um einen reibungslosen Ablauf. Angesichts dieses hohen Organisationsgrads ist nur schwer vorstellbar, dass es noch immer eine große Gefahr gibt, die den gesamten Flughafen lahmlegen kann.
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Die Rede ist nicht etwa von Terroranschlägen, sondern von Gewitterwolken. Macht sich eine solche über einem Flughafen breit, kann ein Shutdown“ verhängt und der gesamte Betrieb auf unbestimmte Zeit eingefroren werden, weil Blitze gefährlich für die Arbeitskräfte und Technik am Rollfeld sind. Verspätungen, Chaos und große wirtschaftliche Schäden können die Folge sein.
Blitze sind rätselhaft
Der Energietechniker Stephan Pack forscht seit Jahrzehnten an der TU Graz an Blitzen. Gemeinsam mit dem Nachwuchsforscher Lukas Schwalt entwickelt er ein Prognosewerkzeug, das die Wahrscheinlichkeit von Blitzschlägen in Echtzeit berechnen kann. Bei ihrem 3-jährigen Forschungsprojekt Real Time Lightning Risk Assessment kombinierten die Forscher eine über 100 Jahre alte Messtechnik mit Künstlicher Intelligenz (KI) und moderner Datenanalyse.
Auch wenn es angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten absurd klingen mag, lässt sich derzeit kaum vorhersagen, wann und wo ein Blitz einschlägt. Die Entladungen geben Forschern immer noch Rätsel auf. „Weltweit ist eines der großen Themen, wie eine so große elektrische Ladung in einer Wolke überhaupt entstehen kann, dass es zu diesen massiven Stromentladungen kommen kann“, sagt Pack. Eine herannahende Gewitterwolke baut durch sich bewegende Luftmassen sehr dynamisch Ladung auf und ab. Ob es wirklich blitzt, hänge von der tatsächlichen Ladung in der Wolke ab, die jederzeit auch einfach „zerbröseln“ könne.
Derzeitige Vorhersagemodelle bauen vorwiegend auf das Blitzortungssystem ALDIS und das Wetterradar der Austro Control. „Damit kann man die Ladungsmenge in der Wolke aber nicht messen“, sagt Pack. Erst, wenn es tatsächlich geblitzt hat, werden diese Warnsysteme aktiviert.
„Historische“ Geräte
Mit der neuen Berechnungsmethode der Forscher soll man mit einer 75-prozentigen Wahrscheinlichkeit rund 30 Minuten im Vorhinein sagen können, ob ein Blitz an einem Ort einschlagen wird und wann die Gefahr wieder vorüber ist.
Mit sogenannten Feldmühlen ermittelten sie dazu die Feldstärke – das ist die Konzentration der elektrischen Ladung in der Luft. Am Flughafen Graz stellten die Forscher dazu 6 von diesen Geräten auf. „Der Knackpunkt unseres Projekts war, dass wir über die Messung der Feldstärke an der Erdoberfläche eine Aussage über die Ladungsansammlung in der Wolke machen wollten“, erklärt Pack. Aus der Wolkenforschung weiß man, wann die Ladung so kritisch wird, dass sie sich entlädt.
Diese Messdaten kombinierten sie im Anschluss mit weiteren Informationen, wie Wetterradarbildern und Blitzortungen. Diese kommen von der Austro Control und dem Blitzortungssystem Aldis. Mit der Kombination aus allen Daten wird dann ein künstliches neuronales Netz trainiert – also die KI angelernt.
Blitze kommen nicht mehr aus heiterem Himmel
Noch ist ihr Prognosewerkzeug nicht fertig, denn jetzt werden die Algorithmen verfeinert. Die Idee ist, dass man künftig Feldmühlen bei Bedarf aufstellt, die dann die elektrische Ladung der Luft in Echtzeit messen sollen. Die entwickelten Algorithmen sagen, wann der erste und wann der letzte Blitz wahrscheinlich einschlagen wird.
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Insgesamt könnte die Technologie für mehr Sicherheit und Gewissheit sorgen: Am Flughafen Wien kommt es im Sommer etwa immer wieder zu Shutdowns. Im Juli 2024 mussten deshalb 40 Flüge abgesagt werden.
2019 konnten am US-Flughafen Denver rund 600 Flüge nicht wie geplant starten und ein Millionenschaden soll daraus entstanden sein. Mit besseren Prognosen könnte man diese Ausfälle verkürzen.
Sportveranstaltungen und Festivals
Festivals und Sport Blitze sind nicht nur am Flughafen eine Gefahr. „Denken Sie an das Woodstock der Blasmusik oder das Frequency Festival mit mehr als 100.000 Gästen. Dort sind Shutdowns wesentlich schwieriger durchzusetzen“, meint Pack. Für die Organisatoren von Großveranstaltungen wäre es wichtig zu wissen, wie risikoreich eine Gewitterzelle ist. Mit konkreteren Einschätzungen könnte man solche Situationen besser managen.
Fakten
Elektrische Ladung
wird durch die Bewegung der Luftmassen in Gewitterwolken auf- und abgebaut. Ab einer bestimmten Ladungsansammlung entstehen Blitze.
Feldmühlen
sind Messgeräte, die um 1900 erfunden wurden. Damit kann man die Konzentration der elektrischen Ladung in der Luft (Feldstärke) messen. Zur Ermittlung des Blitzrisikos werden sie bereits auf US-Raketenstartplätzen genutzt, in Europa ist das neu.
100 Millionen Volt
hat ein Blitz, der auf der Erde einschlägt. Im Flachland beträgt die Feldstärke bei Schönwetter ca.100 Volt, in Gebäuden ist sie noch niedriger.