James Webb: ESA-Astronomin erklärt versteckte Details in den Bildern
James Webbs erste Aufnahmen sind nicht nur schön. Sie sind auch eine Demonstration dessen, was das Weltraumteleskop für die Wissenschaft leisten kann.
Um die Fülle an Informationen zu ordnen, die in den Bildern versteckt sind, haben wir mit der ESA-Astronomin Nora Lützgendorf gesprochen. Sie wird mit dem Teleskop Schwarze Löcher erforschen und war an der Entwicklung des Instruments NIRSpec beteiligt.
Die deutsche Wissenschaftlerin konnte die Bilder bereits am Sonntag das erste Mal sehen: "Das war unbeschreiblich. Ich bin auch eine, die gleich reinzoomt. Gestern habe ich den ganzen Tag damit verbracht. Es gibt so viel zu entdecken. Das übertrifft all unsere Erwartungen." Alle Bilder findet man hier in hoher Auflösung.
"Einstein pur"
Viel zu entdecken gibt es auf der Deep-Field-Aufnahme. Hier ist die Forscherin vom deutlich sichtbaren Gravitationslinseneffekt begeistert. Dabei wird das Licht von der starken Anziehung der Galaxiencluster SMACS 0723 wie von einer Linse verbogen.
Das Teleskop nutzt das, um hinter dem Cluster liegende Objekte zu vergrößern. "Man sieht die Galaxien im Hintergrund verzerrt. Eine Galaxie sieht man sogar zweimal, weil sie entlang der Kurve gespiegelt wird - das ist Einstein pur."
Das Teleskop wurde dafür gebaut, bis zu 13,5 Milliarden Jahre in die Vergangenheit zu blicken. Wie schnell man an diese Zahl herankommen würde, war aber eine Überraschung. Auf der Deep-Field-Aufnahme fanden die Astronom*innen eine Galaxie, die 13,1 Milliarden Jahre alt ist. Dicht gefolgt von 13, 12,6 und 11,3 Milliarden Jahre alten Galaxien.
Eine der aufregendsten Aufnahmen ist Stephans Quintett. Die Bilder tanzender Galaxien stecken voller Informationen. Hier wurden Daten der Instrumente NIRSpec, MIRI und der NIRCam kombiniert.
Auffällig ist eine rötliche Region in den Räumen zwischen den Galaxien. "Das sind Schockwellen. Sie entstehen, wenn die Galaxien und ihre Gase interagieren. Dort gibt es spontane Sternbildungen - das sieht man hier", sagt die Astronomin.
Haufenweise Sterne
Obwohl man sich auf den Namen "Quintett" geeinigt hat, ist eine der 5 Galaxien eigentlich im Vordergrund. Nur die Perspektive der Aufnahme lässt sie so erscheinen, als wäre sie Teil der Gruppe.
Gemeint ist die bläuliche Galaxie links. "Diese blauen Punkte, die ein bisschen nach Filmkörnung aussehen, das sind einzelne Sterne. Es ist Wahnsinn, dass wir so eine Auflösung haben."
Die Bilder von MIRI sind Rot, Blau und Grün. "Alles Rote sind staubige Gasregionen, das Blaue sind meistens Sterne und Sternenstaub. Das Grüne sind Wasserstoff und Kohlenstoff. Die gelben Punkte im Hintergrund sind dann noch weitere Galaxien."
Mit dem Spektrografen wurde dann das Zentrum der oberen Galaxie genauer untersucht. Wegen des hell leuchtenden Kerns wissen die Forscher*innen, dass dort ein Schwarzes Loch lauert. Hier kamen die Integral Field Units (IFU) zum Einsatz. Damit kann eine bestimmte Stelle ganz genau untersucht und ein Spektrum davon erstellt werden.
Sandstrand und Jets am Schwarzen Loch
Analysiert wurden die extrem heißen Gase, die von den Winden und der Strahlung des Schwarzen Lochs mehrfach ionisiert wurden. Direkt um das Zentrum der Galaxie befindet sich Silikat-Staub, wie ein sehr feiner Sandstrand.
Die Jets, also Materialströme, die vom Schwarzen Loch ausgestoßen werden, sind auf einer Aufnahme sichtbar. "Wir konnten die Geschwindigkeit der Jets messen und sehen, was sich auf uns zubewegt und was von uns weg", erklärt Lützgendorf begeistert.
Die Daten zeigen vor allem das Zusammenspiel von Webbs Instrumenten. "Es gibt viele Objekte, die mit der Kamera und dem Spektrografen untersucht werden", erklärt die Astronomin. Dann wird erst ein Bild gemacht, um zu entscheiden, wohin die Spektrografen gerichtet werden sollen. "Wir haben aber auch Parallelmodi und können mit 2 Instrumenten zu verschiedenen Orten blicken."
Babyfotos der Sterne
Das optisch beeindruckendste Bild ist sicherlich der Carinanebel. Was die Weltraumagenturen malerisch als "kosmische Klippen" oder "Berge" bezeichnen, sind sehr dichte Gas- und Staubwolken. "Das Gas, das man davon hochdampfen sieht, wird von den Sternen evaporiert, die in den Gaswolken sitzen."
Ausgewählt wurde der Ausschnitt weil er "besonders schön" ist, erklärt Lützgendorf. Aber auch, weil er zeigt, welchen Unterschied eine Infrarotkamera ausmacht. "Das Problem ist, dass Sterne in ihrer Wolke sind, in der sie sich gebildet haben. Diese Babysterne würden wir gern sehen und das geht mit Infrarot."
Galaxien-Fotobomb
Auf die Bilder des Südlichen Ringnebels hat sich eine Galaxie geschlichen. Sie ist auf dem NIRCam-Bild links sichtbar. Das ist fürs Erste ganz witzig, aber kann es passieren, dass man bei Beobachtungen einfach "zu viel" sieht? "Es gibt Gegenden von denen wir wissen, dass Objekte sehr dicht beieinander liegen. Da sind Beobachtungen schwierig, daher schaut man in andere Richtungen, weil zu viele Sterne im Vordergrund sind". Diese eine Galaxie stört die Aufnahme des Südlichen Ringnebels aber nicht.
Kannibalen-Stern gefunden?
Besonderes Augenmerk sollte man hier auf das in rotes Gas gehüllte Zentrum des MIRI-Bilds richten. Denn hier sieht man deutlich einen zweiten Stern (Blau) neben dem zentralen Weißen Zwerg (Rot). Er ist in eine Gaswolke gehüllt.
Das wirft bereits erste Fragen auf, denn eigentlich hätte er bereits seine letzte Schicht abwerfen müssen. Ob er möglicherweise seinen Begleiter kannibalisiert, also Material von ihm anzieht, wollen Forscher*innen jetzt herausfinden.
Gerade der Vergleich der Nah- und Mittelinfrarotaufnahmen zeigt hier deutlich, wie viel mehr Webb sichtbar machen kann. Denn auf dem NIRCam-Bild ist der Doppelstern nicht zu sehen.
Wolkenhimmel auf WASP-96b
Für Laien ist die Spektralanalyse der Atmosphäre des Exoplaneten WASP-96b auf den ersten Blick vielleicht nicht so beeindruckend wie die anderen Bilder. Für die Forscher*innen allerdings schon. Denn niemand wusste, welche Qualität die Daten haben werden, die man erhält.
Die gute Nachricht ist: "Dass wir Wasser gefunden haben und daraus schließen konnten, dass es Wolken gibt, war schon ein riesiger Schritt. Es war einfach, dieses Spektrum mit einer kurzen Belichtungs- und Bearbeitungszeit zu bekommen", erklärt Lützgendorf. Was früher erst nach langwierigem Datensammeln, kombinieren und bereinigen möglich war, funktioniert jetzt in kürzester Zeit.
"Wir haben noch Bilder in der Hinterhand"
Diese Bilder beenden zwar das Warten, sind aber auch der Anfang einer neuen Forschungs-Generation. Denn mit dem heutigen Tag beginnen die ersten Wissenschaftler*innen ihre eigentliche Arbeit. Wann die Studien dazu veröffentlicht werden, steht buchstäblich noch in den Sternen.
NASA, ESA und CSA haben jedoch vorgesorgt, versichert Nora Lützgendorf: "Wir haben mehr Bilder in der Hinterhand, die in den nächsten Monaten veröffentlich werden."