LK-99: Was wurde aus dem "Supraleiter"?
“Forscher wollen Supraleiter bei Raumtemperatur entdeckt haben”: Diese Entdeckung wurde im Juli 2023 als eine der potenziell größten wissenschaftlichen Sensationen des Jahrhunderts gefeiert - sofern es denn stimmt.
Nicht nur in der Forschungs-Community verbreitete sich Meldung, sondern auch in sozialen Medien. Doch was wurde aus LK-99? Eine neue Studie scheint nun endgültig zu klären, ob es ein Supraleiter ist, oder nicht.
Die vermeintliche Entdeckung
Eine Gruppe von Physiker*innen der Korea University behauptete damals, in einem Forschungsentwurf das Material LK-99 erschaffen zu haben. Dieses habe supraleitende Eigenschaften, kann also Strom ohne Widerstand leiten.
Das Besondere: Diese Eigenschaften soll es bei Raumtemperatur haben. LK-99 wäre dadurch viel effizienter und leichter im Umgang als bisherige Supraleiter, die üblicherweise auf Temperaturen zwischen -135 und -196 Grad Celsius gekühlt werden müssen.
LK-99 soll eine Verbindung aus Blei, Kupfer und Phosphat sein. Laut den koreanischen Wissenschaftler*innen zieht sich LK-99 leicht zusammen, wodurch es sich selbst unter Druck setzt, was ausschlaggebend für seine supraleitende Fähigkeit sei. Des Weiteren sollte die entdeckte Supraleitung sogar bei bis zu 127 Grad Celsius funktionieren und damit eine Vielzahl an Anwendungen erlauben, die bisher nicht möglich waren. Nahezu jedes Gerät mit Akku würde damit länger durchhalten, weil keine Energieverluste zwischen Batterie und Stromabnehmer entstehen. Weil weniger Abwärme entsteht, könnten Rechenzentren, aber auch Spielkonsolen und Notebooks, auf aktive Lüftung verzichten oder diese zumindest stark reduzieren.
➤ Mehr lesen: Möglicher Durchbruch: Supraleiter bei Raumtemperatur gefunden
Umstrittener Videobeweis
Die Wissenschaftler*innen belegten ihre Entdeckung mit Videos, in welchen das Material scheinbar über starken Magneten schwebt. In dem ursprünglichen Video aus Korea sieht man allerdings keine gänzliche schwebende Probe, sondern eine Probe, welche zum Teil auf dem Magneten liegt. Als die Probe versehentlich zu stark angestoßen wurde, lag sie vollständig auf dem Magnet und konnte nur durch nochmaliges Anstoßen in den Schwebezustand versetzt werden. Dieses "instabile" Schwebeverhalten wird üblicherweise als Beweis gedeutet, dass das Material supraleitende Eigenschaften hat.
Die als Meissner-Effekt bekannte Eigenschaft des Schwebens ist allerdings nicht immer ein Beweis für Supraleiter. Selbst Kohlenstoff kann in starken Magnetfeldern schweben.
Verfrühte Veröffentlichung
Die Publikation bzw. die Einreichung dieser Forschungsarbeit war zwischen den koreanischen Wissenschaftlern Sukbae Lee, Ji-Hoon Kim und Young-Wan Kwon nicht wirklich abgesprochen. Letzterer, ein ehemaliges Mitglied des Teams, reichte die Arbeit im Alleingang ein. Da es sich dabei um einen “Preprint”, einen in Manuskriptform veröffentlichten wissenschaftlichen Beitrag, handelte, wurde sie von anderen Wissenschaftler*innen noch nicht geprüft und dessen Ergebnisse noch nicht reproduziert.
Die Qualität der Studie wurde von verschiedenen Forscher*innen auf dem Gebiet der Supraleitung stark kritisiert. Als Reaktion veröffentlichte die Forschungsgruppe rund um Lee und Kim ein neue ausführlichere Arbeit zu ihrer Entdeckung von LK-99. Auch diese Studie wurde von Kolleg*innen als unvollständig beurteilt.
➤ Mehr lesen: Stromleitungen und Schwebebahnen: Supraleiter erobern die Welt
Verunreinigungen
Weniger als einen Monat nach Erstveröffentlichung schließen mehrere Replikationsversuche, wie die des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart, die supraleitende Eigenschaft der LK-99 aus. Forschungsgruppen weltweit stellten das Material in ihren Laboren her und machten die darin enthaltenen Verunreinigungen für die vermeintlichen supraleitenden Eigenschaften verantwortlich.
Die neueste dazu veröffentlichte Studie eines chinesischen Forscherteams bestätigt die Ergebnisse. Die Wissenschaftler*innen in Peking stellten fest, dass beim Produktionsprozess von LK-99 die Verunreinigung Kupfer-Sulfid entsteht. Diese wurde untersucht.
Phasenübergang falsch interpretiert
Der Herstellungsprozess von LK-99 erfordert das mehrfache Erhitzen der Stoffe auf bis zu 925 Grad Celsius. Laut den koreanischen Forschenden fiel der Widerstand von LK-99 beim Abkühlen bei 105 Grad Celsius rapide ab. Das wird als Sprungtemperatur bezeichnet, ab der der elektrische Widerstand auf 0 bzw. kaum messbare Werte sinkt. Bei bisher bekannten Supraleitern liegt die Sprungtemperatur bei zwischen -135 und -196 Grad Celsius.
Bei der chinesischen Konterstudie wurde nachgewiesen, dass isoliertes Kupfer-Sulfid einen Phasenübergang hat, der beim Abkühlen auf etwa 127 Grad Celsius startet. Diese Temperatur wurde von den koreanischen Forscher*innen als maximale Betriebstemperatur für LK-99 als Supraleiter angegeben. Bei 112 Grad Celsius gab es einen rapiden Abfall des Widerstands, was schon sehr nahe an der angeblichen LK-99-Sprungtemperatur von 105 Grad Celsius ist.
Der Unterschied ergibt sich laut der chinesischen Studie aus dem Verunreinigungsgrad, also wieviel Kupfer-Sulfid bei der Erzeugung von LK-99 entstanden ist. Sie haben Proben von LK-99 mit verschiedener Menge an Kupfer-Sulfid produziert und konnten immer bei ähnlichen Temperaturen den starken Abfall des Widerstands messen. Allerdings wurde nie eine Supraleitung erreicht. Sie schlussfolgernd daraus, dass die koreanischen Wissenschaftler*innen den Phasenübergang von Kupfer-Sulfid mit dem Sprung zur Supraleitfähigkeit verwechselt haben.
Die chinesische Studie hat die Peer Review durchlaufen, wurde also von unabhängigen Wissenschaftler*innen geprüft und bestätigt. Damit dürfte jetzt endgültig klar sein, dass LK-99 leider kein Supraleiter bei Raumtemperatur ist.
Frag die futurezone
In der Rubrik "Frag die futurezone" recherchieren und beantworten wir ausgewählte Fragen zu Tech-Themen für euch.
Stellen könnt ihr sie mit einer E-Mail an die Adresse redaktion@futurezone.at - Betreff: "Frag die futurezone", ihr könnt uns aber auch gern via Social Media (Facebook, Instagram, Twitter) kontaktieren.