Science

Innsbrucker Forscher beobachten erstmals quantenmechanische Tunnelreaktion

Harry Potter gelangt zum Gleis 9 3/4, indem er durch eine Wand geht. Was im Alltag unmöglich ist, gehört in der Quantenwelt zur Normalität: Teilchen können undurchdringliche Barrieren überwinden. Das wird als „Tunneleffekt“ bezeichnet. Innsbrucker Physiker*innen ist es nun erstmals gelungen, eine chemische Tunnelreaktion experimentell zu beobachten. Wie sie im Fachjournal „Nature“ berichten, handelt sich dabei um die langsamste je beobachtete Reaktion mit geladenen Teilchen.

Seit knapp 100 Jahren ist bekannt, dass ein Teilchen auch dann eine Barriere überwinden kann, wenn es gar nicht die dafür notwendige Energie besitzt. Hintergrund dieses „Tunneleffekts“ ist, dass in der Quantenmechanik Position und Geschwindigkeit eines Teilchens nicht gleichzeitig exakt bestimmt werden können. Man kann nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen. Daher kann sich etwa ein Atom mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch hinter einer Energiebarriere aufhalten.

Reaktion zwischen geladenem atomaren und molekularem Wasserstoff

Technologisch wird dieser Quanteneffekt bereits vielfach genutzt, etwa im Rastertunnelmikroskop und in Flash-Speichern. Auch der Alpha-Zerfall von Atomkernen kann damit erklärt werden.
Der Tunneleffekt spielt auch bei chemischen Reaktionen eine Rolle, etwa wenn dadurch chemische Reaktionsbarrieren überwunden werden. Allerdings lassen sich solche Tunnelreaktionen nur sehr schwer vorhersagen. Denn die quantenmechanisch exakte Beschreibung einer chemischen Reaktion mit mehr als 3 Teilchen ist schwierig, bei mehr als 4 Teilchen nahezu unmöglich.

Roland Wester und sein Team vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck haben in ihrer Arbeit eine der grundlegendsten molekularen Reaktionen untersucht - und zwar zwischen geladenem atomaren Wasserstoff und molekularem Wasserstoff. Diese einfache Reaktion kann vollständig quantenmechanisch beschrieben werden.
Dazu verwendeten sie Deuterium, also ein Wasserstoff-Isotop mit zusätzlich einem Neutron im Kern. Dieses Isotop wird negativ geladen, also zu einem Ion, in eine Ionenfalle eingebracht und auf rund minus 263 Grad Celsius abgekühlt. Anschließend wird die Falle mit Wasserstoff-Gas befüllt, das aus Molekülen mit jeweils zwei Wasserstoffatomen besteht.

Weniger als 1 Prozent der Teilchen reagiert

Trotz der tiefen Temperaturen kommt es zwar zu vielen Kollisionen, allerdings fehlt den Deuterium-Ionen die Energie, um auf konventionelle Weise mit den Wasserstoff-Molekülen zu reagieren. In sehr seltenen Fällen passiert das durch den Tunneleffekt aber dennoch: „Die Quantenmechanik erlaubt es, dass Teilchen die energetische Barriere durchbrechen und es zu einer Reaktion kommt“, erklärte Erstautor Robert Wild aus Westers Team in einer Aussendung. Bei dieser Reaktion entstehen negativ geladene Wasserstoff-Ionen und Wasserstoff-Deuterium-Moleküle.

„Wir ließen das Experiment rund 15 Minuten laufen - das ist erheblich länger als in den meisten Laboren weltweit für diese Ionen technisch möglich ist“, erklärte Wester gegenüber der APA. Anschließend bestimmten die Forscher*innen die Zahl der entstandenen Wasserstoff-Ionen, aus der man ableiten kann, wie oft es zu einer Reaktion gekommen ist. In der langen Beobachtungszeit habe weniger als 1 Prozent der Teilchen chemisch reagiert - womit es sich um die langsamste je beobachtete Reaktion mit Ionen handelt.

Erstes präzises Modell für Tunneleffekt

Langsam sei allerdings relativ, da es auch davon abhänge, wie viel Wasserstoff den Deuterium-Ionen als Reaktionspartner angeboten wird, betonte Wester. Korrekter müsste man daher von der Reaktionswahrscheinlichkeit von einem Stoß aus 100 Milliarden sprechen - nur so selten kommt es zu einer Tunnelreaktion. Dieser Wert deckt sich mit jenem, den theoretische Physiker*innen 2018 errechnet hatten. Damit wird den Forscher*innen zufolge erstmals ein präzises theoretisches Modell für den Tunneleffekt in einer chemischen Reaktion bestätigt.

Von dieser erstmaligen Messung einer Tunnelreaktion, die auch theoretisch gut verstanden wird, erhoffen sich die Wissenschafter*innen ein besseres Verständnis für weitere chemische Reaktionen, hinter denen der Tunneleffekt vermutet wird.

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