Wie Wiener Architekten ein Raumschiff lebenswert machen
Das Leben im Weltraum stellt man sich als Science-Fiction-Fan wohl sehr futuristisch vor. Man träumt von großen, hellen Privatquartieren, einem Fenster, von dem aus man die Erde sehen kann und minimalistischen Designs. In der Realität hat das Leben auf einer Raumstation wohl eher U-Boot-Charme. So beschreiben es zumindest die Weltraum-Architekt*innen Barbara Imhof und René Waclavicek im Gespräch mit der futurezone.
"Auf der einen Seite ist man immer wieder schockiert, was man bereit ist den Menschen anzutun. Auf der anderen Seite freuen wir uns, wenn wir es schaffen, gegenzusteuern und eine Lösung zu finden, die es ein bisschen erträglicher macht", beschreibt Waclavicek ihre Arbeit. Zusammen mit Waltraut Hoheneder betreiben sie das Weltraumarchitekturbüro LIQUIFER in Wien und in Bremen. Sie haben sich auf das Bauen in extremen Umgebungen spezialisiert - zum Beispiel auf dem Mond und auf Raumstationen.
Jeder Zentimeter zählt
Dafür beraten sie Raumfahrtagenturen wie die ESA bei Projekten für Mars, Mond und Raumfahrt. Eines davon war die Planung des Wohnmoduls I-Hab für die neue internationale Raumstation Lunar Orbital Platform-Gateway (LOP-G). Sie soll als Forschungslabor und Zwischenstopp auf dem Weg zum Mars dienen. Dafür wird sie im Mondorbit bleiben. Das Lunar Gateway ist ein gemeinsames Projekt von NASA, ESA, der kanadischen Raumfahrtagentur CSA und der japanischen JAXA. Dort sollen Astronaut*innen bis zu 90 Tage leben und arbeiten. Anders als die ISS, die ein bewohntes Labor ohne dedizierten Wohnbereich ist, soll das Lunar Gateway sogar 2 Wohnmodule erhalten.
Diese Bereiche zu gestalten ist eine fordernde Aufgabe. Bevor etwas designt werden kann, sind die Ingenieure am Werk, die unter anderem die lebenserhaltenden Systeme entwickeln. Die nehmen zusammen mit Stauraum und der Laboreinheit den Großteil des Platzes ein. Für die Architekt*innen heißt es dann, um jeden Zentimeter zu kämpfen: "Es ist eine ziemliche Herausforderung, in so ein kleines Volumen alles unterzubringen was nötig ist, um Menschen dieser Umgebung überhaupt am Leben erhalten zu können. Wenn die Maschine funktioniert, beraten wir in Konsortien, wie der Raum ergonomisch und psychologisch zumutbar wird", erklärt Waclavicek.
Ein Tisch ohne Stühle
Denn natürlich reicht es nicht, wenn die Menschen dort nur überleben. Sie müssen belastbar, aufmerksam und gesund bleiben. Dazu gehört es auch, ihnen einen Lebensraum zu schaffen, der so angenehm wie möglich ist. Gebraucht werden mindestens eine Hygieneeinheit, ein privater Rückzugsraum und ein Gemeinschaftsraum. Dort steht ein Wasserspender, ein Gerät zum Essen erwärmen und ein Tisch ohne Stühle - denn in der Schwerelosigkeit sitzt man ohnehin nicht. Diese 3 Funktionen unterzubringen ist schon Millimeterarbeit, erklären die Architekt*innen.
"Für die Psyche ist das richtige Licht wichtig, das die Raumatmosphäre ausmacht. Außerdem ist es sinnvoll Pflanzen zu integrieren, die natürlich wachsen, um die man sich kümmert und die ein Stück Gewohnheit von der Erde mitbringen", erklärt Barbara Imhof. Und auch Privaträume müsse man schaffen. "Spricht man mit der Besatzung einer Raumstation, erinnern sie sich immer an gemeinsame Abendessen. Da kommen alle zusammen, man tauscht sich aus". Doch auch Orte, an denen man sich ungestört mit den besten Freund*innen austauschen kann, seien wichtig, denn nicht alles kann und will man in der großen Runde besprechen.
Cool versus funktional
Viel Spielraum dafür gibt es nicht. Zwar verändert sich das Volumen des Wohnmoduls während der Planungsphase ständig, allerdings wird es eher kleiner als größer. Derzeit sind ca. 48 Kubikmeter für das I-Hab angesetzt. Das entspricht einem Raum von 4 x 4 x 3 Metern. Besonders geräumig ist das nicht. Die Aufgabe der Architekt*innen ist es, die Weltraumagenturen hier zu beraten. "Wir sagen ihnen, wann es zu schwierig wird, die Wohnelemente gut zu benutzen. Dann bleibt uns nur übrig zu hoffen, dass unsere Auftraggeber unsere Einschätzung teilen. Man muss mit dem Arbeiten, was man bekommt", sagt Waclavicek.
Dass man da nicht sprichwörtlich nach den Sternen greifen kann und sich an dem orientiert, was wir aus Filmen und Serien kennen, liegt auf der Hand. Trotzdem haben es private Firmen wie SpaceX oder Blue Origin geschafft, neben Funktionalität auch Coolness in die Raumfahrt zu bringen. Auch die NASA springt immer wieder auf diesen Zug auf und versucht z.B. durch spektakuläre Videos ein bisschen Scifi-Feeling zu vermitteln. Ein wirklicher Faktor ist das bei der Arbeit von LIQUIFER aber trotzdem nicht. "Private Firmen müssen das einlösen, was sie versprechen: die Zukunft und Science Fiction", erklärt Imhof. Solche Stimmen gebe es zwar auch bei der NASA, ESA und Co. Letztendlich siegt dort aber immer das Prinzip Form-Follows-Function.
Häuser aus Mondstaub
Mehr Freiheiten hat das Team bei der Grundlagenforschung. Wie kann man eine Behausung am Mond bauen, die Bewohner*innen vor gefährlicher Strahlung schützt? Wo kommen die Bauteile dafür her? Und wie ressourcenschonend kann ein solches Habitat gebaut werden? Die Antwort darauf ist in den meisten Fällen ein 3D-Druck-Verfahren, das Material verwendet, das es auf dem Mond bereits gibt.
Beim Projekt „RegoLight“ etwa testete LIQUIFER gemeinsam mit Partner*innen, ob aus dem Mondstaub (Regolith) Teile gedruckt werden können, aus denen man sichere Behausungen bauen kann. Das würde bedeuten, die Baumaterialien müssten nicht erst mühsam von der Erde zum Mond transportiert werden. Die zukünftigen Bewohner*innen einer Mondbasis müssen dort vor gefährlicher kosmischer Strahlung und tödlichen Sonnenwinden verlässlich geschützt sein. Das Ergebnis könnte aussehen wie Iglus.
Selbstversorgung und Recycling
Bevor so ein Mond-Haus überhaupt entsteht, muss der Weg dorthin buchstäblich gepflastert werden. Denn Mondstaub, der bei Start und Landung aufgewirbelt wird, ist für Maschinen tödlich. Deswegen entwickelt LIQUIFER derzeit geeignete Pflastersteine. Außerdem soll bei einem weiteren aktuellen Projekt namens "Smartie" bereits ein IoT-System für die extraterrestrische Produktion von Baustoffen und den Recyclingprozess entstehen. Auf die Weltraum-Architekt*innen wartet also viel Arbeit, um die Explorations-Pläne der Menschheit mit auf den Weg zu bringen.
Die Lehren, die aus diesen Konzepten gezogen werden, lassen sich auch für die Erde anwenden. Die Strategie im Weltraum laute, größtmögliche Unabhängigkeit von der feindseligen und ressourcenarmen Umwelt zu schaffen. Auf der Erde dienen diese Konzepte dann dem umgekehrten Zweck, nämlich den Einfluss des Menschen auf die Umwelt so gering wie möglich zu halten. "Wir beschäftigen uns viel mit Oberflächenarchitektur. Bei einer Raumstation kann man aus einem Erfahrungsschatz schöpfen, es gibt Archetypen. Aber für das Errichten einer Mond- oder Marsbasis gibt es keine Fallbeispiele und das ist gerade ziemlich spannend", sagt Waclavicek.