Erneut synthetischer Embryo im Labor erzeugt
Das rein aus Stammzellen gezüchtete Embryomodell sei "wie aus dem Lehrbuch" gelungen, teilte das Team um den Molekulargenetiker Jacob Hanna am Mittwoch mit. Es soll bei der Erforschung frühen Lebens dienlich sein.
Schon im Juni dieses Jahres hatte eine ähnliche Wissenschaftsmeldung für Schlagzeilen gesorgt: Forscher*innen der University of Cambridge um die polnische Entwicklungsbiologin Magdalena Żernicka-Goetz verkündeten damals ebenfalls, erstmals aus menschlichen Stammzellen synthetische Embryos gezüchtet zu haben.
Die Forschungen haben ein Ziel: Die früheste Entwicklung des Menschen besser nachvollziehen zu können.
Basis für gesundes Leben durchleuchten
In den Tagen und Wochen nach der Befruchtung einer Eizelle durch ein Spermium wird der Grundstein für das gesunde Heranwachsen des Embryos und späteren Fötus gelegt. Fehlgeburten oder schwerwiegende Gendefekte haben oft in dieser Phase ihren Ursprung.
Was dabei genau passiert, durchblickt die Wissenschaft nach wie vor nur zum Teil. "Es ist eine Blackbox. Und das ist kein Klischee – unser Wissen darüber ist sehr begrenzt", beschreibt Hanna den Status-quo gegenüber der BBC. Dabei passiere das "Drama im ersten Monat, die restlichen acht Monate der Schwangerschaft sind vor allem viel Wachstum", schreibt Hanna in einer Aussendung zur Studie.
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In der im Fachblatt Nature publizierten Arbeit spricht das Team um den Biologen nun von der geglückten Kultivierung eines "vollständigen" Embryomodells. Es bilde alle wichtigen Strukturen, die sich im frühen Embryonalstadium entwickeln, nach. "Das ist wirklich ein lehrbuchhaftes Bild eines menschlichen Embryos vom 14. Tag", sagt Hanna.
Das Gewebe habe sogar Hormone freigesetzt, die einen Schwangerschaftstest im Labor positiv ausfallen ließen.
Video eines aus Stammzellen gewonnenen Modells eines menschlichen Embryos:
Wachstum des Zellhaufens beobachten
Der 14. Tag ist in der Forschung mit Embryomodellen zentral: In diesem Stadium werden bei einer Schwangerschaft die entscheidenden Körperachsen des Embryos ausgebildet. Der Embryo hat noch keinen Darm und kein Gehirn, auch das Herz schlägt noch nicht. Ab diesem Zeitpunkt müssen die Zellhaufen in Ländern, in denen die Forschung an menschlichen Embryos erlaubt ist, wie beispielsweise Großbritannien, vernichtet werden.
Allerdings gibt es derzeit noch keine klaren Vorschriften für aus Stammzellen gewonnene Modelle menschlicher Embryos – sie kommen menschlichen Embryos sehr nahe, sind aber nicht vollständig ident. Ihr Struktur ist einfacher, sie können sich nicht zu einem Lebewesen entwickeln und gelten als ethisch vertretbare Alternative.
Auch Żernicka-Goetz und ihre Gruppe hatten ihr Embryogewebe so lange kultiviert, bis sie etwas besser entwickelt war als menschliches nach 14 Tagen.
Zellen neu programmieren
Anstelle von Spermien und Eizellen nutzte Genetiker Hanna als Ausgangsmaterial wandlungsfähige Stammzellen. Sie wurden so umprogrammiert, dass sie ihr Potenzial, sich zu jeder Art von Gewebe im Körper zu entwickeln, entfalten konnten.
Anschließend wurden die Stammzellen mit Hilfe von Chemikalien dazu gebracht, sich in vier Zelltypen zu verwandeln, die in den frühesten Stadien des menschlichen Embryos vorkommen:
- Epiblastzellen, aus denen der eigentliche Embryo (oder Fötus) entsteht
- Trophoblastzellen, aus denen die Plazenta entsteht
- Hypoblastenzellen, aus denen sich der Dottersack bildet
- extraembryonale Mesodermzellen
Insgesamt 120 dieser Zellen wurden in einem präzisen Verhältnis gemischt. Dann ließ man der Natur seinen Lauf.
"Ein erstaunliches Phänomen"
Rund ein Prozent der Mischung begann, so erklärt es Hanna im BBC-Interview, sich spontan zu einer Struktur zusammenzufügen, die nicht vollkommen ident mit einem menschlichen Embryo ist, ihm aber stark ähnelt. "Das ist ein erstaunliches Phänomen", präzisiert Hanna, der auch von einer "exquisiten Architektur" des Embryomodells berichtet.
Die Embryoforschung ist – wie eingangs bereits angedeutet – rechtlich, ethisch und technisch heikel. Die jüngsten Erfolge von Hanna und Żernicka-Goetz treiben aber einen Forschungsbereich voran, der die natürliche Embryonalentwicklung zu medizinischen Zwecken nachahmt. Sie sind bei Weitem nicht die einzigen: Auch am IMBA – dem Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – wird zu Embryomodellen geforscht. Nicholas Rivron forscht seit etwa zehn Jahren an und mit solchen Modellen und leitet am IMBA eine entsprechende Forschungsgruppe. Die Embryomodelle, mit denen Rivron arbeitet, entsprechen ungefähr einem Entwicklungsstand bis sieben Tagen nach der Befruchtung – jenem Zeitpunkt, zu dem sich der Embryo in die Gebärmutter einnistet, wie er kürzlich im KURIER-Interview schilderte.
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Robin Lovell Badge, der am britischen Francis Crick Institute dazu arbeitet, beschreibt die jüngsten Embryomodelle aus Israel gegenüber der BBC als "ziemlich gut". "Ich finde es gut, ich finde es sehr gut gemacht, es ergibt alles einen Sinn und ich bin ziemlich beeindruckt davon", sagt er.
Wohin darf der Weg gehen?
Die Fortschritte werfen unweigerlich die Frage auf, ob die Embryonalentwicklung künftig über das 14-Tage-Stadium hinaus nachgeahmt werden sollte. Rechtlich gibt es in manchen Ländern sogar jetzt schon theoretisch die Möglichkeit dazu, da die Modelle nicht zu 100 Prozent mit echten Embryos gleichsetzbar sind.
Klar ist: Je näher derartige Modelle an einen echten Embryo herankommen, desto strittiger werden sie und die Forschungsvorhaben dahinter.
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Am Weizmann-Institut ist man jedenfalls erpicht zu betonen, dass es unethisch, illegal und im Grunde auch unmöglich wäre, mit den hergestellten Embryomodellen eine Schwangerschaft herbeizuführen. Es gehe nicht darum, das Modellgewebe in eine Gebärmutter zu transferieren.
"Dieser ethische Ansatz zur Entschlüsselung der Geheimnisse der allerersten Phasen der Embryonalentwicklung könnte zahlreiche Forschungswege eröffnen", heißt es abschließend in der Aussendung zur Studie. So könnten etwa die Ursachen vieler Geburtsfehler und Arten von Unfruchtbarkeit aufgedeckt und neue Technologien zur Züchtung von Transplantationsgewebe erarbeitet werden. "Und es könnte eine Möglichkeit bieten, Experimente zu umgehen, die an lebenden Embryonen nicht durchgeführt werden können."