Wasserstoff aus der Tube
Wasserstoff wird großes Potenzial zugeschrieben, um fossile Brennstoffe zu ersetzen und so die Energiewende voranzutreiben. Durch Umwandlung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Quellen sollen künftig große Mengen des Gases bereit stehen. Der Wasserstoff soll für den Ausgleich saisonaler Schwankungen in der Stromproduktion, aber auch im Transportbereich verwendet werden.
Ein statt 700 bar
In Brennstoffzellenfahrzeugen wird Wasserstoff in speziellen Tanks gelagert. Darin herrschen 700 bar - soviel Druck wie in Meerestiefen von 7100 Metern. In größeren Fahrzeugen wie Autos, Bussen und LKW können solche Tanks relativ einfach eingebaut werden. In kleinerem Format, etwa für Elektro-Motorroller, sind solche Drucktanks weder am Markt vorhanden noch technisch sinnvoll. Wasserstoff kann nun aber auch bei normalem Luftdruck gespeichert werden, in Form einer zähflüssigen Paste.
Entwickelt wurde die "Powerpaste" von Forschern des Fraunhofer Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) in Dresden. Sie sehen eine ganze Reihe zukünftiger Anwendungsmöglichkeiten. Abgesehen von Elektro-Motorrädern könnte sie auch Range Extender antreiben, um die Reichweite von Elektroautos zu erhöhen. Sie könnte Drohnen länger fliegen lassen, Brennstoffzellen für die Stromerzeugung beim Camping oder Notstromaggregate antreiben.
Herstellung und Einsatz
Das zähflüssige, hellgraue Material entsteht in einem mehrstufigen Prozess. Zunächst wird Magnesiumpulver bei 350 Grad Celsius mit gasförmigem Wasserstoff vermischt. "Das Pulver saugt Wasserstoff auf wie ein Schwamm", erklärt IFAM-Forscher Marcus Vogt, der 2014 mit der Entwicklung der Powerpaste begann. Das daraus resultierende Magnesiumhydrid wird mit öligem Ester sowie mit Metallsalz kombiniert. Letzteres wird benötigt, damit die träge Paste reaktionsfreudiger wird.
Im Einsatz wird die Powerpaste mit Wasser in Kontakt gebracht. Dabei wird sowohl der im Magnesiumhydrid gespeicherte Wasserstoff freigesetzt, als auch Wasserstoff aus dem Wasser. Das Gas wird in eine Brennstoffzelle geleitet, wo es mit Sauerstoff reagiert und dabei Strom erzeugt - der wiederum in einen Akku oder direkt zu einem Elektromotor fließen kann.
Leichte Verteilbarkeit
In der Vorstellung der Forscher könnte die Powerpaste in Kartuschen gelagert und so z.B. in Fahrzeuge eingesetzt werden. Dazu füllt man die ca. 2- bis 2,5-fache Menge Wasser in einen separaten Tank. Man benötigt keinen Druckbehälter und kein spezielles Betankungssystem. Die Powerpaste ließe sich deshalb auch leichter verteilen als gasförmiger Wasserstoff. Auf Tankstellen könnten etwa große Metallfässer aufgestellt werden, aus denen die Paste abgezapft wird.
Im Betrieb wird die Paste aus der Kartusche gedrückt. Das kann z.B. durch einen Stempel geschehen, "wie bei einer überdimensionierten Silikon-Kartusche aus dem Baumarkt", meint Vogt. Noch leichter ginge das Herausdrücken mittels Druckluft. "Mit einem Industriepartner arbeiten wir an einer Lösung, bei der ein miniaturisierter Kompressor zum Einsatz kommt."
Selbst Meerwasser geeignet
Das Wasser, das mit der Powerpaste reagiert, muss nicht hochrein sein. Vogt: "Vom Regen über Süßwasser aus einem See und sogar Meerwasser geht alles." Letzteres sei zwar eine Herausforderung für die Systemkomponenten, aber die Reaktionsfähigkeit leide darunter nicht. "Schlecht ist nur sehr kalkhaltiges Wasser, weil man dann den Energiegehalt der Powerpaste nicht voll ausschöpfen kann." Das Wasser, das durch die Reaktion in der Brennstoffzelle ensteht, kann in den Wassertank rückgespeist werden.
Wie sieht es im Winter aus? Die Paste bleibt bis minus 20 Grad fließfähig. "Wir haben auch Rezepturen, die erst weit darunter fest werden", meint Vogt. Das Wasser kann mit Frostschutzmittel versetzt werden.
Einschränkungen
Bei der Leistungsfähigkeit sind dem Powerpasten-System derzeit noch Grenzen gesetzt, erklärt Vogt. Man kann also z.B. noch keine allzu starken Motoren damit antreiben. "Es gibt da noch Skalierungsproblematiken, etwa beim Abführen der Wärme, die bei der Reaktion entsteht", sagt Vogt. "Derzeit sind wir also noch auf der Suche nach Einstiegsmärkten. Das heißt aber nicht, dass perspektivisch nicht auch Autos damit betrieben werden könnten."
Die momentan beste Chance, auch im Automobilbereich eingesetzt zu werden, hat die Powerpaste bei Range Extendern. Diese Generatoren, die die Akkus von Elektroautos aufladen und so mehr Reichweite ermöglichen, kommen auch mit wenig Leistung aus. Range Extender mit Powerpaste könnten auch laufen, wenn das Auto geparkt ist. Das IFAM forscht in diese Richtung bereits gemeinsam mit Automobilzulieferern.
Ressourcen
Die Frage, welchen Wirkungsgrad die Powerpaste erreicht, sei nicht so leicht zu beantworten, meint Marcus Vogt. "Es kommt immer drauf an, wo Sie die Systemgrenzen ziehen. Ich spreche lieber von der Gesamtenergiebilanz, wobei auch die Herstellung und das Recycling der Powerpaste miteinbezogen ist. Sie beträgt bis zu 80 Prozent."
Bei der Gewinnung der Rohstoffe für die Powerpaste gebe es momentan vor allem ein Problem: "Das Magnesium wird momentan meist in China durch ein sehr unsauberes Verfahren hergestellt. Das war schon mal anders. In den USA, wo früher mehr Magnesium gewonnen wurde, gab es einen saubereren Prozess. Wie Marktforscher voraussagen, wird sich diese Form der Magnesiumherstellung aber wieder etablieren."
Recycling
Wenn die Powerpaste einmal mit Wasser reagiert und seinen Wasserstoff freigesetzt hat, bleibt ein Rückstand übrig, der die Konsistenz von Pudding hat, erklärt Vogt. Momentan wird dieser Rückstand in Beuteln gesammelt. "Er hat noch Nutzen für andere Anwendungen, aber die Energie ist raus", sagt Vogt. "Man kann durch chemische Prozesse aber wieder neues Magnesiumhydrid daraus machen."
Für die praktische Anwendung hat das IFAM die Idee, den Rückstand in eine leere Powerpaste-Kartusche einzufüllen. Als Anwender könnte man dann eine verbrauchte Kartusche mit dem Restmaterial gegen eine neue eintauschen.
Perspektive
Derzeit baut das Forschungsinstitut eine Produktionsanlage auf, die Ende 2021 einsatzfähig sein und rund 4 Tonnen Powerpaste pro Jahr herstellen soll. "Wir wollen damit die Wirtschaftlichkeit unseres Konzepts zeigen, den Produktionsprozess automatisieren und Erfahrungen sammeln", sagt Vogt. "Momentan produzieren wir die Paste händisch. Durch die Arbeitskosten unserer Laboranten ist das Produkt noch sehr teuer."
Das Interesse an der Powerpaste sei enorm, meint Vogt. Er habe bereits Anfragen aus aller Welt erhalten und ist überzeugt, dass die Nachfrage nach dem Wasserstoffspeicher steigen wird. "Die Erfindung reicht ja ins Jahr 2014 zurück. Damals hatte ich eine erbsengroße Kugel dieser Masse, die wie Fugenkitt aussah, in der Hand und dachte mir 'Ah ja, interessant, aber was mache ich jetzt damit?'. Ich freue mich sehr, dass dieses Thema an Fahrt aufgenommen hat."