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Vom Dschungel ins All: Wo das James-Webb-Teleskop abheben wird

Französisch-Guayana ist ein spezieller Ort. Es ist fast exakt so groß wie Österreich, allerdings sind 90 Prozent der Fläche von tropischem Regenwald überzogen. Kommt man aus dem 10 Grad kalten, verregneten Paris und steigt in Cayenne aus dem Flugzeug, merkt man das sofort: Die Luftfeuchtigkeit liegt irgendwo zwischen 70 und 80 Prozent, die Sonne knallt mit heißen 30 Grad auf die Region, die unweit des Äquators liegt. Kleine Raketenmodelle im Eingangsbereich des Flughafens Félix Éboué machen schnell deutlich: Hier dreht sich alles um die Raumfahrt.

Im Süden teilt sich das Gebiet eine Grenze mit Brasilien – und obwohl man 9 Stunden mit dem Flugzeug über den Atlantik geflogen ist, bezahlt man mit Euro und kann sein EU-Roaming nutzen. Als Region und Departement von Frankreich befindet man sich auf europäischem Boden, die Landessprache ist dementsprechend auch Französisch. Genau hier, mitten im Dschungel, befindet sich das Guiana Space Center, der Weltraumbahnhof der ESA, nahe der drittgrößten Stadt, Kourou. Und es ist der denkbar beste Standort für den Flug ins Weltall.

Daten und Fakten zum Guiana Space Center

  • Gebaut wurde der Weltraumbahnhof 1968 von der französischen Raumfahrtbehörde CNES; seit Gründung der ESA 1975 starten europäische Raketen von dort
  • Der erste Start einer Ariane-1 war am 24.12.1979, seither gab es über 250 Starts von Ariane-Raketen
  • Neben Ariane starten auch die kleineren Vega-Raketen und die russischen Sojus-Raketen. Jede Rakete benötigt ein individuelles Launchpad
  • Neben CNES und ESA sind weitere Firmen vertreten: Arianespace ist Launch Operator, Air Liquide Spatial Guyane (ALSG) produziert flüssigen Sauerstoff und Wasserstoff vor Ort, Regulus produziert ebenfalls Brennstoff und Europropulsion kümmert sich um die Raketen-Booster
  • Das gesamte Gebiet ist 690 km² groß, aber nur 30 Prozent davon werden aktuell genutzt

"Der beste Weltraumbahnhof der Welt"

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Erste ist die Natur, denn in der Region gibt es weder Orkane noch Erbeben, die einen Start gefährden könnten. Die unmittelbare Nähe zum Atlantik sorgt dafür, dass abstürzende Teile niemanden treffen, sondern einfach im Wasser landen.

Noch wichtiger ist aber die Äquatornähe. Kourou ist nur 580 Kilometer vom Äquator entfernt und liegt auf dem 5. Breitengrad. Deshalb können die Raketen den Slingshot-Effekt nutzen und brauchen weniger Treibstoff. Denn die Geschwindigkeit der Erdumdrehung wird immer höher, desto näher man dem Äquator kommt (dort sind es 1.670 km/h). Das sorgt für mehr Schwung, genauer einen sogenannten Geschwindigkeitsbeitrag von 461 m/s.

Damit ist man anderen Weltraumbahnhöfen, die größtenteils weit in der nördlichen Hemisphäre liegen, überlegen. Und darauf sind die Beteiligten auch sehr stolz. Auf der kleinen Faltkarte, die ich mir vom Komplex mitgenommen habe, steht vorne ohne falsche Bescheidenheit: „The best launch range in the world!“.

Durch den Regenwald

Den tropischen Regenwald habe ich eigentlich nur hinter einer Scheibe gesehen, denn mein Tag war durchgetaktet. Mit dem Bus wurde unsere kleine Gruppe an Journalist*innen von unserem Hotel in Cayenne zum Weltraumbahnhof gebracht. Die Fahrt dauert etwa eine Stunde in der man hauptsächlich Grün und nur wenige Menschen sieht.

Normalerweise wären wir in Kourou untergekommen, der Grund unserer Reise sorgte aber für komplett ausgebuchte Betten in der Stadt. Einige wenige Pressevertreter*innen aus Europa und den USA durften die letzte Gelegenheit nutzen, um das neue James Webb Weltraumteleskop (JWST) zu sehen, bevor es im Dezember ins All gebracht wird. Zwei Tage lang waren wir im Guiana Space Center unterwegs und konnten beobachten, wie so ein historischer Launch vorbereitet wird (dazu lest ihr später mehr auf futurezone.at).

Am Eingang des Guiana Space Center wird man von einem Modell der Ariane-5 begrüßt

Natur und Technik

Man fühlt sich sehr klein, wenn man den Weltraumbahnhof betritt. Das mag daran liegen, dass man von einem riesigen Modell einer Ariane-5-Trägerrakete begrüßt wird. Oder an dem Zaun aus Stacheldraht, der um das Gelände gespannt ist. Wie mir später Daniel de Chambure erzählt  - er betreut für die ESA die Ariane-Launchsysteme („Acting Head Ariane 5 Adaption & Future Missions“) – soll der Zaun ungebetene Gäste draußen halten. Das betrifft Personen, die sich auf das Gelände schleichen wollen, aber auch allerlei Getier. „Wir haben hier manchmal auch Jaguare, die sehen wir dann über die Überwachungskameras“.

Das Areal ist riesig und hauptsächlich grün. Nur in der Ferne sieht man aus dem dichten Baumdach immer wieder einen Launchtower herausragen. In der Halle, in der Ariane-5 zusammengesetzt wird, ist lautes Vogelgezwitscher zu hören, während 4 Männer an der Hauptstufe herumschrauben, die JWST ins All bringen wird. 

Auch auf dem Launchpad, das in Kürze in Rauch und Feuer gehüllt werden wird, wenn sich Ariane-5 mit beeindruckender Gewalt ins All heben wird, sitzen Vögel und zwitschern. Es ist so friedlich, man kann sich kaum vorstellen, was dort in wenigen Wochen los sein wird. Um die Umwelt nicht zu stark zu belasten, werden regelmäßig Wasser- und Luftproben genommen und die Pflanzen- und Tierwelt beobachtet.

Dieser Vogel - meine Google-Suche ergab, es ist wohl ein "Schwefeltyrann" - macht es sich auf einem der 4 Blitzableiter des Ariane-5-Launchtowers gemütlich.

Teufelsinsel

Vom Launchpad der Ariane-5 aus überblickt man weite Teile des Gebiets. Sieht man in Richtung des Atlantik, entdeckt man 3 Inseln. „Der Ort, an dem Papillion spielt“, erklärt mir Jean-Marc Durand, der Chef von Arianespace in Französisch-Guayana und zeigt auf die Inselgruppe. Er meint den gleichnamigen Roman von Henri Charrière. Er handelt auf der Teufelsinsel („Île du Diable“), die ihrem Namen als ehemalige Strafkolonie alle Ehre machte.

Mehr als 80.000 Menschen wurden zwischen 1854 und 1946 dorthin verschleppt und zu Zwangsarbeiter*innen gemacht. Das tropische Klima, schlechte Hygiene und krankheitsübertragende Moskitos sorgten für eine extrem hohe Sterblichkeit. Heute können Tourist*innen die 14 Hektar große Insel besuchen. Seit dem Bau des Guiana Space Center kümmert sich die französische Raumfahrtagentur CNES um die Insel und hält dort historische Gebäude instand. Während eines Raketenstarts wird sie evakuiert, da herabfallende Teile dort landen könnten.

Die Inseln, die man in der Ferne sieht, haben eine dunkle Vergangenheit.

Fremdenlegion und Pariser Feuerwehr

Gesichert wird das gesamte Gelände und die Gewässer davor, insbesondere während eines Starts, von der französischen Fremdenlegion, der Gendarmerie und der Pariser Feuerwehr. Letztere entsendet ihr Personal jeweils für 6 Jahre nach Kourou, dann wird das Team ausgetauscht.

Ihre Anwesenheit nimmt man allerdings kaum wahr, lediglich einige Sicherheitsposten kontrollieren unseren Bus. Sich dort zu Fuß zu bewegen ist unmöglich, das Gelände ist 690 km² groß. Außerdem ist es sicherlich nicht im Sinne der Sicherheit, wenn 20 Journalist*innen unkontrolliert durch die Gegend wuseln. Für die Mitarbeiter*innen stehen Autos bereit, ich habe aber auch einige Mitarbeiter*innen auf dem Fahrrad gesehen.

Rum, Kolonialismus und Raketenstarts

Es ist schwierig, sich nicht von diesem Ort in seinen Bann ziehen zu lassen. Die Einheimischen sind sehr freundlich und offen. Kaum ein Kulturschock war die Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel, während der sich mein Taxifahrer über die Corona-Regeln ausließ - sie waren ihm zu locker, denn gerade hatten die Restaurants wieder aufgesperrt. Dort schenkt man übrigens lieber zu viel als zu wenig Rum aus und reicht auch ungefragt bei jeder Gelegenheit Ti Punch (viel Rum, wenig Limette) oder Caipirinha.

Trotzdem ist es natürlich immer mit einem unangenehmen Gefühl verbunden, wenn man in ein Gebiet kommt, in dem Europa in der Vergangenheit ziemlich gewütet hat, man aber glücklicherweise sein EU-Roaming nutzen kann, während man am Tropen-Strand liegt. Dass dieser Ort perfekter nicht sein könnte, um Raketen ins All zu schicken - und mit James Webb bald eines der wichtigsten unbemannten Projekte starten wird - leuchtet mir aber ein.

Auch wenn man sich, anders als in Cape Canaveral (USA), nicht sonderlich um Tourist*innen bemüht, können sich Interessierte einen Platz buchen, um einen Raketenstart zu beobachten. Das geht über die Webseite von CNES (hier). Viele Plätze sind nicht verfügbar, also sollte man schnell sein. Ein unvergleichliches Erlebnis ist der Besuch jedenfalls. 

Ich war tatsächlich selbst da. Die Geschichten lest ihr in den Wochen bis zum Start des James Webb Teleskops.

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Franziska Bechtold

frau_grete

Liebt virtuelle Spielewelten, Gadgets, Wissenschaft und den Weltraum. Solange sie nicht selbst ins Weltall kann, flüchtet sie eben in Science Fiction.

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