Wie das Internet die Psychotherapie verändert
Alles schmerzt, die Müdigkeit ist ein ständiger Begleiter, Lebensfreude ein Fremdwort. Eine Depression lässt das Leben dunkel erscheinen. Einer Statistik zufolge sind 400.000 Österreicher von einer Depression betroffen – das sind 5 Prozent der Bevölkerung. Wird sie nicht oder falsch behandelt, können schwere Folgeerscheinungen auftreten.
Der psychotherapeutische Versorgungsbedarf ist demnach hoch. Im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz gibt es in Österreich jedoch keine einheitliche Regelung einer kassenfinanzierten Therapie, was zusätzlich hohe Kosten für die Bevölkerung nach sich zieht. In Anbetracht dieser Lücke sowie der anhaltenden Corona-Krise spielt das Internet eine immer wichtigere Rolle.
Aktive Mitarbeit
Psychologen der Universität Salzburg haben in Zusammenarbeit mit deutschen und Schweizer Kollegen herausgefunden, dass die Wirksamkeit einer klassischen Psychotherapie bei Depression deutlich und nachhaltig verbessert wird, wenn sie durch Internet-Interventionen oder Apps ergänzt wird. „Internet-Interventionen haben einen interaktiven und handlungsauffordernden Charakter“, sagt Studienautor Raphael Schuster von der Uni Salzburg gegenüber der futurezone. Sie sind entweder Teil eines vom Therapeuten festgelegten Behandlungsprotokolls oder werden als Stand-alone-Programme ohne therapeutische Begleitung angeboten. Die Wirksamkeit bei letzterem ist jedoch geringer, sie sind aber mit niedrigeren Kosten verbunden.
Je nach Störungsbild können sie unterschiedlich ausfallen, etwa in Form von elektronischen Tagebüchern oder interaktiven Textaufgaben. Ein Patient mit sozialer Phobie könne etwa aufgefordert werden, ein Experiment im Freien durchzuführen oder eine Konfrontation einzugehen. „Neben der Kompaktheit, Interaktivität, Multimedialität und Handlungsaufforderung haben Internet-Interventionen auch den Vorteil, dass auf der anderen Seite ein Therapeut sitzt“, ergänzt Schuster. Der kann den Prozess mitverfolgen, Feedback geben oder aufmuntern.
Nachhaltige Besserung
Die Studienergebnisse zeigen: Die Kombinationstherapie bringt einen ähnlichen Zusatznutzen für Patienten wie die Kombination von Psychotherapie und Psychopharmaka. „Wir haben Daten analysiert zur Depressivität, zum therapeutischen Prozess und zur psychischen Gesundheit. Alle diese Parameter haben sich laut Selbstbericht der Patienten deutlich verbessert“, sagt Schuster.
Hinzu kommt ein Zuwachs von 12,4 Prozent an voll gesundeten Patienten. Die Rate für ungünstige Verläufe konnte hingegen um fast 5 Prozent gesenkt werden. Auch 6 Monate nach der Behandlung blieben die Effekte stabil.
Teletherapie über Videochat
Effektiv ist auch eine Teletherapie. Während in Österreich normalerweise das Fernbehandlungsverbot gilt, wurde sie aufgrund der Corona-Krise vorerst zugelassen. Wie die Situation nach der Krise weitergestaltet wird, bleibt laut Schuster vorerst noch offen.
Eine Teletherapie wird über Softwares wie Skype oder Zoom angeboten, wobei sich das Prozedere selbst nicht ändert, erklärt der Experte. Das Gespräch findet also weiterhin von Angesicht zu Angesicht über Videochat statt.
Laut der Wiener Psychotherapeutin Sarah Kleinsasser hat sich auch diese internetbasierte Behandlungsform bereits bewährt. Während zunächst viele Patienten die Sorge hatten, dass Mitbewohner oder Familienangehörige dabei die Privatsphäre stören könnten, stellte sich das Feedback am Ende als überaus positiv heraus, erzählt sie.
Die Therapie selbst ändert sich durch das Einbeziehen des Internets – sofern die Patienten-Therapeuten-Beziehung stabil ist – Kleinsasser zufolge wenig. „Ein verändertes Setting ist für manche generell eine Herausforderung, kann aber buchstäblich einen Perspektivenwechsel zur Folge haben. Bei neuen Klienten allerdings, gelingt der Beziehungsaufbau besser in der Praxis“, sagt sie.
Spontane Termingestaltung
Ein wesentlicher Vorteil der Teletherapie sei das Entfallen der Wegzeit. „Auch ist eine spontanere Termingestaltung möglich“, so die Fachfrau. Zudem würde die Kinderbetreuungsproblematik entschärft und der Kostenaufwand durch die entfallende Miete für Therapeuten gesenkt, was eventuell günstigere Tarife für Patienten nach sich ziehen kann. Online-Behandlungen seien ihr zufolge selbst bei akutem Bedarf wie Krisen, Trauma und Psychosen besser als keine Hilfe. „Grundsätzlich ist hier das persönliche Gespräch aber vorzuziehen“, erklärt sie.
Einen Nachteil hat die Teletherapie aber auch: Laut Kleinsasser sei es manchmal schwierig, Mimik und Gestik zu lesen. „Und man ist von einer guten Internetverbindung abhängig“, sagt sie. Dennoch seien internetbasierte Interventionsformate weiterhin definitiv wünschenswert.
Suizid-Alarmknopf
Womit sich die Forschung auch seit mehreren Jahren beschäftigt, sind laut Schuster neue Funktionen, wie zum Beispiel ein Suizid-Alarmknopf. Akut gefährdete Menschen kommen in emotional äußerst starke Zustände, sodass sie die Kontrolle über sich verlieren. „In diesem Fall könnten sie den Notknopf am Handy drücken." Im Einvernehmen mit dem suizidalen Patienten können etwa auch besonders kritische Orte wie Klippen oder Brücken auf einer digitalen Karte markiert werden. Befindet er sich in der Nähe dieser Klippe, wird Alarm geschlagen und eine Streife geschickt.
Bei sozialen Phobikern hingegen seien Gadgets, die mit dem Handy verknüpft sind, denkbar. Der Patient könnte einen Brustgurt tragen, wie er bei Läufern bekannt ist, sodass seine Herzrate getrackt werden kann.
Tele-Gruppentherapien
Die Uni Salzburg forscht seit 5 Jahren auch an Tele-Gruppentherapien. „Die haben eine sehr gute Kosteneffektivität, weil man hier gleich zu sechst oder zu acht in einer Behandlung ist. DerNachteil ist Termine zu finden, die für alle Teilnehmer möglich sind“, sagt Schuster. Die Hemmschwelle an Webinaren in Gruppen ist zudem niedriger als im echten Setting.
Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) zur Vorhersage von Behandlungserfolgen oder -misserfolgen ist im Feld der Psychiatrie denkbar. „Es wird erwartet, dass dieses Forschungsfeld einen ähnlichen Innovationsgrad besitzt wie die Entwicklung der bildgebenden Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomographie, Computertomografie usw.“, sagt Schuster.
Dass technische Hilfsmittel in Zukunft in größerem Umfang eingesetzt werden, sei entsprechend internationaler Initiativen wahrscheinlich. „Während dieser Veränderungsprozess in Deutschland bereits im Gang ist, sollten in Österreich entsprechende Strategien vorbereitet werden, um eine gute Patientenversorgung gewährleisten zu können und auch um in Österreich entsprechendes Know-how aufzubauen", sagt er. Angesichts des allgemeinen Rückstands Österreichs beim Thema psychotherapeutische Versorgung wäre dies aber nur einer von mehreren Schritten.