Science

Wie die Meeresvermüllung ins Wasser fällt

29 Millionen Tonnen. So viel Plastikmüll könnte sich in 20 Jahren im Meer ansammeln, werden keine Eingriffe in die aktuelle Kunststoffpolitik, -wirtschaft und -infrastruktur vorgenommen. Das wäre ein Anstieg von 18 Millionen Tonnen im Vergleich zum derzeitigen Stand, wie ein internationales Forscherteam rund um Martin Stuchtey von der Uni Innsbruck ermittelt hat. Gemeinsam mit der Non-Profit-Organisation Pew und der Umweltberatung SYSTEMIQ haben die Experten ein neuartiges wirtschaftswissenschaftliches Modell entwickelt, das den Eingriff in die Natur und die Kunststoffmenge weltweit quantifiziert.

Untersucht wurden 6 Szenarien zur Senkung des Plastikmülls der Meere, beginnend bei keiner Veränderung des Status quo über einzelne Fortschritte bis hin zu einer kompletten Umgestaltung. Den Berechnungen zufolge könnten sofortige, global koordinierte Maßnahmen die Verschmutzung bis 2040 grundsätzlich um fast 80 Prozent senken. Konkret bedeutet das etwa eine Reduzierung der  Kunststoffproduktion und Plastikersatz durch Alternativen wie Papier und kompostierbare Materialien, etwa Stärke. Auch die Ausweitung der Abfallsammlung in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen könnte viel bewirken. Schließlich müsste das Recycling gesteigert und Exporte von Plastikabfällen verringert werden. 

Weiterverarbeitung

Davon sind wir aber noch weit entfernt: Trotz erheblicher Anstrengungen würden 2040 immer noch über 5 Millionen Tonnen Plastik im Jahr in die Ozeane gelangen. „Die vollständige Beseitigung der Meeresverschmutzung durch Plastik würde eine drastische Steigerung von Innovation und Investitionen, mit bedeutenden technologischen Fortschritten, neuen Geschäftsmodellen und einem stärkeren Fokus auf Forschung und Entwicklung erfordern“, sagt Forscher Martin Stuchtey.

Die gibt es zum Glück schon, wenn auch noch vereinzelt. Unter anderem entwickelt das junge niederösterreichische Start-up Doing Circular Maschinen primär für Entwicklungsländer, mit denen Kunststoff recycelt und zu neuen Produkten weiterverarbeitet werden kann. „Müll ist leider überall. Doch anstatt verbrannt zu werden oder ins Meer zu gelangen, wird er von uns wieder in den Kreislauf eingeführt“ sagt Raphaela Egger von Doing Circular. Er wird gesammelt, sortiert, gewaschen und getrocknet. „Danach  kommt er in die erste Maschine, ein manueller oder Motor-Granulator“, sagt sie. Das Granulat wird in Folge in einer Spritzgießmaschine erhitzt und in eine neue Form gepresst. 

Langfristige Produkte

„Wir achten darauf, was vor Ort gebraucht wird – etwa Prothesen, Regenrinnen, oder Gesichtsschutz-Schilder“, sagt sie. Von Letzteren hat Doing Circular in der Corona-Krise 45.000 Stück produziert und wurde dafür Ende Juli von der UNO ausgezeichnet.  Laut Egger  wurden so auch  über 100 Jobs geschaffen. 

Wesentlich sei, dass die Erzeugnisse aus Plastikmüll langlebig und sinnvoll sind, denn sie sollen nicht wieder im Müll landen. Sollten etwa die Masken trotzdem einmal nicht mehr gebraucht werden, könnten sie Egger zufolge wieder zerkleinert und zu Linealen für Schulkinder oder baulichen Teilen wie Bodenfliesen verarbeitet werden. „Wir wollen ein kreiswirtschaftliches Denken fördern und umweltbewusst und sozial agieren. Unsere Maschinen sind außen aus Holz und können so leicht in die jeweiligen Länder verschickt und repariert werden. Dort erzeugen die Menschen dann neue Formen“, so die Jungunternehmerin. 4 Maschinen wurden bereits entwickelt, weitere werden derzeit noch erforscht. 

Aus Müll wird Erdöl

Statt Plastikmüll zu schreddern wollen Wissenschaftler der französischen Recycling-Firma Carbios ihn auflösen. Sie haben ein mutiertes Bakterien-Enzym  erzeugt, das eine Tonne Plastik in 10 Stunden zersetzen kann. Das ist das effizienteste Enzym dieser Art, das bisher entwickelt wurde. Bis spätestens 2025 soll es im großindustriellen Maßstab erzeugt werden. 

In diesem Jahr schon will das Unternehmen Igus mit einer Niederlassung in Oberösterreich eine sogenannte Cat-HTR-Anlage (Catalytic Hydrothermal Reactor) von Mura Technology Limited bauen lassen. Nicht-recycelbarer Kunststoffmüll kann damit innerhalb von 20 Minuten in Erdöl umgewandelt werden. In nur einem Jahr frisst eine Anlage bis zu 20.000 Tonnen Plastik. Für den Prozess sind nur Wasser, Druck und hohe Temperaturen nötig.  

Satellit-Aufnahmen

Auch künstliche Intelligenz (KI) wird im Kampf gegen die  die weltweite Plastikvermüllung eingesetzt.  Das britische Plymouth Marine Laboratory hat ein KI-gestütztes System entwickelt, das Kunststoffabfälle im Meer erkennt. Die KI analysiert Aufnahmen der Sentinel-2-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation ESA, die die Erde umkreisen. 

Das vom Plastik absorbierte und reflektierte Licht bildet eine sogenannte „spektrale Signatur“, wodurch es sich von anderen Meeresobjekten, etwa Seetang, unterscheidet. Diese Signatur dient als Trainingssatz für den Algorithmus, um die Objekte in verschiedene Kategorien einzuteilen. Ist der Müll lokalisiert, kann er gezielt aus dem Wasser gefischt werden. Das System erzielt derzeit eine Genauigkeit von 86 Prozent, Ziel sind 100.     

So wird „Popcorn“ aus Mikroplastik gefischt

Während Plastik im Meer deutlich sichtbar ist, können wir Mikroplastik im Wasser mit bloßem Auge meist nicht erkennen. Laut der National Oceanic and Atmospheric Administration handelt es sich bei Mikroplastik um kleine Kunststoff-Teilchen mit einem Durchmesser unter 5 Millimeter. Die feinen Partikel können sogar im Trinkwasser nachgewiesen werden – die gesundheitlichen Auswirkungen müssen aber noch genauer untersucht werden. 

An der Filterung der feinen Kunststoffpartikel scheitern sogar moderne Kläranlagen. TEDxVienna-Speaker Katrin Schuhen aus Deutschland hat daher eine Lösung entwickelt, mit der die mikroskopisch kleinen Schadstoffe auf einfache Weise aus dem Wasser gefischt werden können. 

Biologisch abbaubar

Beim von ihr entwickelten Verfahren „Wasser 3.0 PE-X“ wird eine biologisch abbaubare und ungiftige  Lösung aus Hybridkieselgelen ins Wasser gespritzt. Diese Flüssigkeit wirkt wie ein Klebstoff, sodass die winzigen Plastikteilchen miteinander verklumpen. Sichtbar werden sie in Folge, wenn sie wie Popcorn als weiße Bällchen an der Wasseroberfläche auftauchen und mit einem Netz herausgeholt werden können.   

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Andreea Bensa-Cruz

Andreea Bensa-Cruz beschäftigt sich mit neuesten Technologien und Entwicklungen in der Forschung – insbesondere aus Österreich – behandelt aber auch Themen rund um Raumfahrt sowie Klimawandel.

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