ÖBB: "Zu den Spitzenzeiten wird es deutlich mehr Züge geben"
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Zwei Milliarden Euro stecken die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) in die Digitalisierung ihrer Infrastruktur. Die futurezone hat mit ÖBB-Infrastruktur-Vorstand Johann Pluy über die Pläne und das "Internet of Trains" gesprochen.
futurezone: Die ÖBB sprechen von der Bahn von morgen, die nur mittels Digitalisierung zu realisieren sei. Was kann man sich darunter vorstellen? Schienen, Strecken und Bahnhöfe lassen sich ja nur bedingt digitalisieren.
Johann Pluy: Die Bahn steht vor riesigen Herausforderungen. Bis 2030 müssen in Österreich zumindest 50 Prozent weniger Benzin und Diesel verbraucht werden, um die Klimaziele zu erreichen. Das bedeutet, dass die Transportkapazitäten im Personen- wie auch Güterbereich auf der Bahn stark erweitert werden müssen. Unser Ziel ist eine Verdoppelung unserer Leistungsfähigkeit bis 2040. Und diese Steigerung ist nur mit modernster Technik zu erreichen. Die Bahn von morgen hat nichts mehr mit der Bahn von heute zu tun, es ist schon eine Revolution, die derzeit stattfindet. Allein im aktuellen Rahmenplan bis 2027 sind da rund 2 Milliarden auf der Infrastrukturseite vorgesehen.
Wie anders wird die Bahn von morgen sein? Was werde ich als Fahrgast davon merken?
Die Bahn von morgen ist schneller, bequemer, noch pünktlicher, versorgt die Kund*innen mit Real-Time-Informationen und ist mit anderen Verkehrsträgern optimal vernetzt. Die Infrastruktur kann von den Bahnunternehmen deutlich effizienter genutzt werden. Zu den Spitzenzeiten wird es deutlich mehr Züge geben, was nicht nur für die Pendler*innen große Erleichterungen bringen wird.
Digitalisierung des Bahnbetriebs
Zur Digitalisierung des Bahnbetriebs gehören einige Bereiche, von denen die meisten für die Reisenden unbemerkt im Hintergrund ablaufen. Von der Digitalisierung würden aber auch sie profitieren.
Zu den Bereichen, die am meisten von der Digitalisierung profitieren, zählen:
- Fahrplanerstellung
- digitale Zugvorbereitung und Bereitstellung
- automatische Übermittlung von Fahrplänen mit tagesaktuellen Einschränkungen wie Sperren, Langsamfahrstellen oder Behinderungen auf der Strecke
- Energieoptimierung
- Echtzeitinfos auf die Triebfahrzeuge den Bahnbetrieb
Was wird da im Detail verändert?
Block 1 ist die Digitalisierung des Bahnbetriebs. Das heißt: Wir digitalisieren alles rund um die Zugfahrt selbst, damit sie effizienter wird.
Block 2 ist dann die Infrastruktur selbst. Wir müssen schauen, dass wir beim Warten, Inspizieren und Bauen optimieren – und auch das funktioniert mit Digitalisierung. Zum Beispiel: Wie bekommt der Instandhaltungsmitarbeiter bei einer Störung eine optimale Botschaft zum Problem? Hier ist eines unserer Kernprojekte der Digitale Zwilling. Er ist eine perfekte digitale Kopie der gesamten Infrastruktur der Bahn bis zur letzten Schraube. Damit können Simulationen verschiedenster Art und etwa Vermessungen als Vorbereitung für bauliche Maßnahmen am Computer durchgeführt werden – was Streckensperren minimiert. Auch der Zustand der Anlagen wie etwa der Oberleitungen wird dann digital überwacht – was einen weiteren wichtigen Schritt zu Predictive Maintenance, also vorausschauender Wartung, bedeutet.
Wie wirkt sich das auf den Fahrplan aus?
Traditionell funktionierte der Zugverkehr so: Jeder Fahrdienstleiter schaute sich seinen Abschnitt an und übergibt das dem nächsten - also jeder war für seinen Mikrokosmos zuständig. Wir wollen jetzt das Netz gesamtheitlich anschauen und daraus einen optimalen Fahrplan machen.
Und wie würde der aussehen?
Die Grundidee ist einfach: Kürzere Zugabstände fahren. Darum dreht sich sehr viel. Das bedeutet bessere Taktung bei gleichzeitiger Steigerung der Sicherheit. Um das zu erreichen, müssen wir zu jedem Zeitpunkt präzise wissen, wo genau sich welcher Zug befindet. Denn die Züge haben ja einen viel längeren Bremsweg als Fahrzeuge mit Gummireifen. Fahren auf Sicht wie beim Auto ist also im Normalbetrieb nicht möglich, deshalb sind die Abstände auch viel größer.
Thema Unpünktlichkeit: Wie sehr fallen da Störungen ins Gewicht?
Die ÖBB zählen zu den pünktlichsten Bahnen in Europa, mit Pünktlichkeitsquoten von 95 Prozent und mehr. Die meisten Verspätungen sind tatsächlich sogenannte Grenzverspätungen. Aber es gibt bei den Störungen im Betrieb fast nichts, was es nicht gibt: Zum Beispiel verirren sich immer wieder auch Personen in den Gleisbereich, dann müssen wir aus Sicherheitsgründen die Strecken sperren.
Und wie hilft Digitalisierung bei solchen Störungen?
Digitalisierung kann da die Verfügbarkeit der Infrastruktur optimieren. Ein Beispiel: Auf der Tauernstrecke zwischen Salzburg und Villach ist etwa Starkregen vorhergesagt. Das heißt, dass wir unser Instandhaltungspersonal alarmieren, strategisch gut positionieren und, falls die Mure kommt, rechtzeitig aufräumen. Da müssen wir alles dazu verwenden, um da besser zu werden. Drohnen können hier zum Beispiel bei der Frühaufklärung helfen und uns sagen, ob etwa umgestürzte Bäume ins Gleis oder die Oberleitung hängen oder ob die Schiene durch Wasser unterspült ist. Diese Nachrichten und Fotos oder Videos können in Echtzeit an die Betriebsführung übermittelt werden, die sofort die geeigneten Maßnahmen einleitet. Damit wird enorm Zeit gespart.
Echtzeitinfos sind auch in der Logistik sehr wichtig. Wenn ich zum Beispiel beim Terminal Wels auf ein Frachtgut warte, aber weiß, dass an der Adriaküste die Bora bläst. Da kann ich mir sicher sein, dass das Schiff zu spät kommt. Darauf kann man sich einstellen. Man kann einiges machen, um “Amazon-ready” auf der Schiene zu werden.
Daten von Sensoren spielen dabei wahrscheinlich eine wichtige Rolle.
Ja, das wird immer wichtiger. Daher haben wir jetzt eine Datenfabrik aufgebaut, die diese unstrukturierten Daten sammelt und auswertet. So können wir zum Beispiel ermitteln, ob wir unsere Infrastruktur früher oder später instand halten müssen.
Hört sich so an, als entwickle sich das Bahnnetz zum Internet of Things.
Wir sprechen vom „Internet of Trains“. Wir müssen aber gleichzeitig darauf achten, dass wir nicht zu viel Komplexität hineinbringen. Wenn wir eine Weiche haben mit 49 Sensoren, geht sich da noch was aus? Wir haben immerhin einen Outdoorbetrieb und müssen dementsprechend vorsichtig sein mit Sensoren, die wir für betriebskritische Entscheidungen brauchen. Auf die müssen wir uns nämlich verlassen können.
Digitalisierung bietet auch mehr Angriffsfläche für Cyber-Attacken. Wie will man sich davor schützen?
Wer digitalisiert und nicht das Thema Cybersicherheit am Radar hat, macht einen Riesenfehler. Wir sind ja nicht nur Schienennetzbetreiber, sondern auch Telekom-Netzbetreiber und Energienetzbetreiber. Wir haben 3 Netze, die wir schützen müssen.
Wir haben daher ein Cyberdefense-Center aufgebaut und dazu noch ein Security-Operations-Center, das präventiv arbeitet. Schulung und Awareness sind dabei das Um und Auf, wir haben nicht wenige Sicherheitsschulungen, die jede Mitarbeiter*in machen muss.
Sind diese Teams konzernintern organisiert oder ausgelagert?
Wir als kritische Infrastruktur lagern nichts aus, das wäre zu heikel. Bei der forensischen Analyse, also wenn eine bereits ausgeführte Attacke genauer untersucht werden sollte, würden wir Spezialist*innen von außen hinzuholen.
2015 sagte der damalige Bahnchef Christian Kern, dass WLAN im Railjet schwieriger sei als WLAN im Space Shuttle. Stimmt das heute immer noch?
Damals hatte das mit dem sogenannten Handover zu tun. In einem Railjet sind bis zu 800 Leute, die alle surfen wollen. Die kommen dann alle gleichzeitig vom Einzugsgebiet von Mast A ins Einzugsgebiet von Mast B und das verursacht dann Verbindungsprobleme. Damals sind daran alle Technikzulieferer gescheitert. Aber das haben wir mittlerweile selbst gelöst. Wir haben damals 1.500 Kilometer Schienennetz mit Mobilfunk ausgerüstet, bauen jetzt weitere 1.750 Kilometer aus und rüsten das andere von 4G auf 5G auf. Die Details dazu verhandeln wir gerade mit den Mobilfunknetzbetreibern und stecken 150 Millionen Euro wieder ins Upgrade und den Ausbau hinein.
All die Investitionen müssen aber auch von Menschen umgesetzt werden. Wie stark sind die ÖBB vom Fachkräftemangel betroffen?
Wir suchen sehr, sehr viele Menschen beim ÖBB-Konzern, allein in der ÖBB Infrastruktur gilt es heuer, 1.559 Arbeitskräfte zu finden. 674 Stellen sind derzeit noch offen. Insgesamt suchen wir im Gesamtkonzern jedes Jahr rund 3.000 neue Kolleg*innen, das ist nicht ohne. Und der Arbeitsmarkt wird sich aufgrund der Demografie sicher noch weiter verändern.
Spart man durch die Digitalisierung nicht auch viele Mitarbeiter*innen ein?
Wir machen das nicht, um die Leute wegzurationalisieren, sondern für eine höhere Verfügbarkeit der Infrastruktur. Digitalisierung bedeutet ja auch Arbeitserleichterungen. Bei der digitalen, automatischen Kupplung zwischen Waggons braucht man kein Muskelberg mehr zu sein. Da öffnet sich zum Beispiel das ganze Berufsbild des Verschiebers - weil momentan haben wir bei 2.520 Verschiebern 13 aktive Verschieberinnen.
Und wie sieht es mit komplett autonomen Fahrten aus?
Also wir richten unsere Systeme so her, dass wir jedem Zug, der in Österreich fährt, sagen können, wie er fahren soll. Ob die Gesellschaft möchte, ob jetzt vorne jemand drinsitzt oder nicht, das ist eine ganz andere Geschichte. Jedenfalls sind Züge ohne Lokführer derzeit kein Thema bei uns.
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