"Corona-Hotline 1450 könnte durch Chatbots entlastet werden"
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Das Handy ist schon längst zu unserem intimen Begleiter geworden. Das bringt mit sich, dass so gut wie nichts vor ihm verborgen bleibt. Helmut Spudich, der als Unternehmenssprecher bei Magenta Telekom und davor als IT-Journalist tätig war, nimmt sich in seinem Buch "Der Spion in meiner Tasche" unserer Beziehung zum Smartphone an. Darin zeigt er Wege auf, wie wir die exzessive Datensammlung eindämmen und die Geräte selbstbestimmt nutzen können.
Thema im Gespräch mit der futurezone war auch die Corona-Krise. Mobilfunkdaten könnten dabei helfen, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, sagt Spudich.
futurezone: In Israel greifen Geheimdienste auf Standortdaten von Mobilfunknutzern zu, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Wird damit eine Grenze überschritten?
Helmut Spudich: Wir haben eine Ausnahmesituation, in der auch in Österreich die Grundrechte massiv eingeschränkt werden. Es dürfen etwa keine Versammlungen abgehalten werden. Wir sollten uns die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll wäre, in einer solchen Situation für bestimmte Zeit diese Informationen auszuwerten. Wir haben keine Impfstoffe, warum sollten wir nicht ein anderes technisches Hilfsmittel verwenden, das uns hilft die Ausbreitung einzudämmen?
Der Zweck rechtfertigt also die Mittel?
Das gehört auf jeden Fall diskutiert. Da würde auch ein klares Monitoring dazugehören, wie bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Dazu gehört auch parlamentarische Kontrolle und es muss klar definiert sein, welche Stellen Zugang zu den Daten haben. Technisch ist das allerdings sehr komplex.
Inwiefern?
Die Technologie kommt aus der Terrorbekämpfung. Im zivilen Bereich sind wir derzeit technisch nicht dafür ausgerüstet, das können nur wenige Geheimdienste der Welt. Denn die Daten bleiben bei verschiedenen Betreibern. Man muss die Daten schichtweise aufeinanderlegen, um zu sehen, wer mit wem Kontakt hatte. Wenn ich nur die Daten von einem Betreiber habe, habe ich blinde Flecken. Dazu kommt, dass Mobilfunkdaten relativ ungenau sind, was den Standort betrifft. Man bräuchte zusätzliche Daten, etwa von Google oder Facebook.
Würde nicht Gefahr bestehen, dass sich solche Praktiken normalisieren und nach der Krise nicht verschwinden?
Wenn wir das Vertrauen in die starke Demokratie haben, dann ist das machbar. Wenn wir das Misstrauen haben, dass der Rechtsstaat das nicht aushält, werden wir es nicht tun können. Dann müssen wir an diesem Misstrauen arbeiten.
In Österreich gibt A1 die Standortdaten seiner Mobilfunknutzer anonymisiert an die Behörden weiter, um zu sehen, ob soziale Kontakte nach den Ausgangsbeschränkungen abnehmen. Verstehen Sie, dass dabei vielen Leuten mulmig wird?
Mir wird dabei nicht mulmig. Ich frage mich aber, was der Sinn dahinter ist. Wie anonym aggregierte Daten in der jetzigen Situation helfen sollen, ist mir nicht klar. Menschenversammlungen sieht man ja. Wenn mir die Daten zeigen, dass 100 Menschen in einem großen Gebäude sind, kann ich daraus nichts ableiten. Ich verstehe auch nicht, warum andere technische Hilfsmittel nicht angewandt werden.
Zum Beispiel?
Die Corona-Hotline 1450 ist überlastet. Dabei handelt es sich aber um nichts anderes als ein geschultes medizinisches Call-Center. Es wird eine Liste durchgegangen, es ist eine strukturierte Erhebung. Die könnte auch automatisiert werden, durch einen Chatbot oder eine App. Das würde Entlastung schaffen.
Google, Facebook und viele Apps haben weit detailliertere Daten über unsere Standorte als die Mobilfunker. Warum geben wir sie Ihnen so bereitwillig?
Weil es bequem ist und kurzfristig nichts kostet. Mir hat zum Beispiel das Navigationssystem von Google meine Wege unglaublich erleichtert. Im Gegensatz zu früheren Systemen ist es gratis und auch besser. Ich halte es aber für wichtig, dass man sich bewusst wird, welche Daten wir an wen abliefern.
Standortdaten sind nicht der einzige heikle Punkt. Auch Gesichtserkennung hat ein großes dystopisches Potenzial. Braucht es eine gesetzliche Regulierung?
Das große Erwachen findet langsam statt. Aus der EU kommt der Vorschlag eines Moratoriums. Das halte ich für sinnvoll. Man soll sich nicht von der technologischen Reife treiben lassen, sondern vor allem die soziale Reife der Technologie betrachten. Das hilft uns, zu sehen, wo der potenzielle Nutzen liegt und wie wir verhindern können, dass es uns schadet. Die EU ist mächtig genug das zu bewirken.
Sie sprechen in ihrem Buch auch digitale Assistenten und smarte Lautsprecher an, in denen sie verbaut sind. Reduziert man sie auf rein technische Funktionen, stellt man sich praktisch eine Wanze ins Wohnzimmer. Wie hat sich unser Verhältnis zur Technik geändert, dass das für viele Leute kein Problem ist?
Es geht um Vermenschlichung. Die Möglichkeit mit Geräten zu sprechen hat eine verführerische Dimension. Wenn Geräte zurücksprechen, wird die Bindung intensiv. Früher waren es Tamagotchis - kleine digitale Wesen, die wir gefüttert haben. Durch diese Beziehung vergessen wir, was dahintersteckt.
Sie plädieren dafür, das positive Potenzial der Technologie zu nutzen. Wo sehen Sie das vor allem?
Der Mensch erfindet Technologie, weil sie für ihn notwendig ist. Je früher wir in der Lage sind, die negativen Bereiche zu begrenzen, desto besser funktioniert die Nutzung im Positiven, etwa im Gesundheitsbereich. Die Apple Watch kann zum Beispiel Vorhofflimmern erkennen und so buchstäblich lebensverlängernd sein. Auch Fridays for Future wäre ohne Smartphones und die Dienste darauf nicht denkbar gewesen. Andererseits bringen sie auch Hass im Netz hervor. Die Ambivalenz ist da. Wir müssen das unter Kontrolle bringen.
Es wird viel über die Notwendigkeit der digitalen Entgiftung - Digital Detox - gesprochen. Macht uns das Smartphone krank?
Wir haben noch zu jeder Technik den Umgang damit erlernen müssen. Das werden wir schaffen.
Sind die Apps nicht auch so gestaltet, dass sie ein Suchtverhalten fördern?
Das stimmt, aber die Frage ist, was uns an die Geräte bindet. Mich binden die Menschen und ihre Inhalte an Facebook, Instagram oder Twitter. Die Apps versuchen natürlich aus kommerziellem Interesse das zu steigern. Das gelingt aber nur, wenn auch die Inhalte passen.
Die Ökobilanz von Smartphones ist verbesserungsbedürftig. Geräte wie das Fairphone, das sich leicht reparieren lässt, konnten sich bisher nicht durchsetzen. Warum?
Das beginnt sich zu ändern. Der Zyklus, in dem Smartphones ausgetauscht werden, verlangsamt sich auf durchschnittlich 3 Jahre. Wir müssen aber auch als Konsumenten länger und sorgfältiger mit den Geräten umgehen. Die Reife der Technologie hilft dabei, denn die Verbesserungen von einer Generation zur nächsten sind nicht so groß. Wichtiger als die Reparaturfähigkeit sind Rücknahme und Weiterverkauf der Geräte. Wenn wir Teile wiederverwenden können und Rohstoffe nur noch aus Recycling gewinnen, würde das stark helfen.
Was war eigentlich Ihr erstes Handy?
Ein Ericsson-Gerät, noch im D-Netz.
Mit welchen Geräten werden wir in 10 Jahren kommunizieren?
Das Smartphone hat locker noch eine Lebensdauer von 10 Jahren. Man sagt, Geräte gehen in Funktionen anderer Geräte auf. Vielleicht sagen wir bald dem smarten Lautsprecher, dass er uns verbinden soll. Ich glaube aber nicht so recht daran. Der Mensch braucht so etwas wie einen Fetisch und das Handy ist ein sehr guter Fetisch.
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