"Vertrauen in die digitalen Fähigkeiten ist das Wichtigste"
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2017 gab die schwedische Regierung die Losung aus, die Schulen in puncto Digitalisierung an die Weltspitze bringen zu wollen. Dazu wurde in den vergangenen Jahren in Abstimmung mit den verantwortlichen lokalen Stellen sowohl die Ausrüstung der Schüler*innen als auch die Weiterbildung der Lehrer*innen verbessert und Module für den digitalen Unterricht erarbeitet. Auf die Corona-Pandemie war man deshalb gut vorbereitet. Herausforderungen gab es dennoch, erzählt Pernilla Nilsson, Generalsekretärin für Erziehungswissenschaften im schwedischen Forschungsrat, im Gespräch mit der futurezone.
futurezone: Wie sind die schwedischen Schüler*innen durch die Pandemie gekommen?
Pernilla Nilsson: Die Vorschule, Volksschule und Unterstufe waren in Schweden auch während der Pandemie durchgehend geöffnet. Wenn die Klassen wegen krankheitsbedingter Ausfälle von Lehrer*innen oder Schüler*innen dennoch geschlossen werden mussten, wurde auf Zoom unterrichtet. Das war auch in der Oberstufe der Fall. Einige Schüler*innen haben das gemocht, weil sie sich die Vorträge noch einmal anhören konnten, für andere war es sehr hart, weil ihnen die soziale Interaktion gefehlt hat. Wir haben festgestellt, dass sich die Noten nicht verschlechtert haben. Aber das Wohlbefinden der Schüler*innen hat abgenommen. Es war also eine Herausforderung. Wir haben vor allem bei praktischen Übungen einiges aufzuholen.
Hat sich die Sicht auf die Digitalisierung während dieser Zeit verändert?
Zu Beginn hat sich sehr rasch sehr viel verändert. Der Unterricht musste in vielen Fällen über Nacht ins Digitale verlagert werden. Da gab es auch viele kritische Stimmen von Lehrer*innen. Aber als sie gesehen haben, dass es ganz gut funktioniert, hat sich das gelegt. Eine Herausforderung war aber die Leistungsbeurteilung und das Abhalten von Tests in digitaler Form.
Wie waren Schwedens Schulen auf Pandemie vorbereitet?
Die schwedische Regierung hat bereits 2017 ein Digitalisierungsoffensive an den Schulen gestartet. Sie hatte den Anspruch, weltweit führend zu werden. Schweden ist, was die Technologie betrifft, auch sehr weit vorne. Wir waren also gut vorbereitet. Es braucht aber auch einen Kulturwandel unter den Lehrern und vielleicht hat die Pandemie dazu beigetragen, dass er schneller passiert. Als die Lehrer*innen gemerkt haben, dass es keinen anderen Weg gibt, den Unterricht fortzusetzen, hat es sehr viel Zusammenarbeit gegeben. Es gab etwa Facebook-Gruppen von Lehrer*innen, in denen sie sich gegenseitig geholfen und Tipps gegeben haben.
"Digitalisierung ist ein Teil der Gesellschaft, schon Ein- bis Drei-Jährige swipen am Smartphone oder Tablet."
Welche Unterstützung bekamen Lehrer*innen im Umgang mit der Technologie?
Als der Aktionsplan zur Digitalisierung an den Schulen 2018 startete, gab es an jeder Schule Lehrer*innen, deren Aufgabe es war, ihre Kollegen beim Unterrichten mit digitaler Technologie zu unterstützen. Das war von der Schulverwaltung so geplant, es gab also diese digitalen Leader, sie waren Teil des Plans. Als man sich dazu entschlossen hat, digitale Geräte an den Schulen einzusetzen, wusste man, dass es auch Unterstützung und Weiterbildung für die Lehrer*innen braucht.
Wie wurden diese Aus- und Weiterbildungsprogramme von den Lehrer*innen aufgenommen?
Die Digitalisierung an den Schulen ist unvermeidbar. Digitalisierung ist ein Teil der Gesellschaft, schon Ein- bis Drei-Jährige swipen am Smartphone oder Tablet. Sie muss also in den Unterricht integriert werden und dazu müssen wir auch Kompetenzen bei den Lehrkräften fördern - in der Lehrer*innenausbildung und in der Weiterbildung.
"Es geht bei der Digitalisierung auch nicht nur darum, die digitalen Werkzeuge zu verwenden, sondern darum, sie für einen bestimmten Zweck einzusetzen. Wenn sich Inhalte ohne diese digitalen Werkzeuge besser vermitteln lassen, sollten wir sie auch nicht verwenden."
Ist das auch eine Generationenfrage?
Es ist auch eine Generationenfrage, aber auch eine Frage der Denkweise. Wir haben ein Forschungsprojekt mit 20 Lehrer*innen zur Digitalisierung gemacht und dabei gesehen, dass es auch junge Lehrer*innen gibt, die digitalen Technologien skeptisch gegenüberstehen. Umgekehrt gab es unter älteren Lehrer*innen welche, die von den Möglichkeiten der Technologie begeistert sind. Es geht bei der Digitalisierung auch nicht nur darum, die digitalen Werkzeuge zu verwenden, sondern darum, sie für einen bestimmten Zweck einzusetzen. Wenn sich Inhalte ohne diese digitalen Werkzeuge besser vermitteln lassen, sollten wir sie auch nicht verwenden. Es geht auch um die kritische Reflexion darüber, wie diese Tools das Lernen fördern können.
Das ist auch Teil der Lehrer*innenausbildung?
Ja, wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Technologie einsetzen oder wo es sinnvoller ist, sie nicht einzusetzen. In Wissenschaftskursen sind etwa Experiment unverzichtbar, aber auch Simulationen und Visualisierungen auf digitalen Geräten können den Unterricht unterstützen
Was sind die Grundvoraussetzungen, damit die Digitalisierung an den Schulen erfolgreich sein kann?
Lehrer*innen müssen Vertrauen in den Einsatz der Technologie haben. Sie müssen aber auch die Wahl und das Selbstbewusstsein haben, sie nicht zu verwenden, wenn sie es nicht für sinnvoll erachten. Es braucht die Neugier, neue Methoden tatsächlich auszuprobieren. Um Vertrauen zu entwickeln, muss man sich an der Technologie versuchen und auch scheitern. Ohne Vertrauen erwirbt man keine digitalen Kompetenzen. Dazu brauchen die Lehrer*innen natürlich Unterstützung und Zugang zu den Geräten. Auch das ist entscheidend. Die Gesellschaft ändert sich, die Schulen ändern sich, die Schüler*innen ändern sich und damit muss sich auch der Unterricht ändern.
Disclaimer: Die Kosten für die Reise nach Stockholm wurden vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung übernommen.
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