Community outreach volunteer coordinator greets young volunteer

Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen bilden das Rückgrat einer solidarischen Gesellschaft

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Die Zukunft der ehrenamtlichen Arbeit

Unglaublich viele Österreicher*innen investieren viel Zeit in ehrenamtliche Tätigkeiten. Um ihre Leistungen zu würdigen, hat das Parlament das Ehrenamt 2021 und 2022 zu seinem Schwerpunktthema erhoben. Im Zuge dessen wurden 2 Forscher des Fachbereichs Angewandte Politikwissenschaft der FH Campus Wien beauftragt, eine Studie über die Zukunft des Ehrenamtes durchzuführen.

71,2 Prozent waren schon mal Ehrenamtliche

Paul Schmidinger und Wolfgang Tomaschitz führten eine quantitative Erhebung durch und analysierten die Ergebnisse eines Crowdsourcing-Projekts und eines eintägigen Dialogforums im Parlament, um sich ein Bild über den aktuellen Zustand des Ehrenamtes, sowie den Sorgen und Zukunftswünschen der darin tätigen Menschen zu machen.

Die repräsentative Befragung ergab, dass 71,2 Prozent der Österreicher*innen schon einmal ehrenamtlich tätig waren oder sind. Wie viele Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt ehrenamtlich aktiv sind, unterliegt größeren Schwankungen, erklärt Wolfgang Tomaschitz. "Studien zeigen, dass normalerweise zwischen 25 und 30 Prozent der Bevölkerung ein Ehrenamt ausüben. In Krisenzeiten steigt der Anteil aber auf fast 50 Prozent."

Einkommen macht Unterschied

Die Verteilung über die Altersgruppen ist relativ gleich. Die Erhebung hat allerdings gezeigt, dass es große Unterschiede je nach Einkommensniveau gibt. Besser verdienende Menschen sind eher freiwillig für eine Sache engagiert. Auch sind höher Gebildete eher ehrenamtlich tätig. Diese Ergebnisse dürfen jedoch nicht zu dem falschen Schluss führen, dass Menschen niedrigerer Einkommens- und Bildungsschichten weniger solidarisch eingestellt sind.

Südwest-Nordost-Verschiebung

Zudem ist in den Ergebnissen innerhalb Österreichs eine geografische Verschiebung erkennbar. Im Südwesten des Landes ist der Prozentsatz der Menschen, die schon einmal ehrenamtlich tätig waren, höher als im Nordosten. Schlusslicht ist Wien.

"Wien ist hochklassig organisiert, es gibt weniger Notwendigkeit, sich ehrenamtlich einzubringen", meint Tomaschitz. "Außerdem spielt in den übrigen Bundesländern die ländliche Kultur eine große Rolle. Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr oder einer Kapelle zu sein, gehört dort für viele Menschen einfach zum Leben dazu." Männer und Frauen sind zu einem relativ ähnlichen Anteil ehrenamtlich tätig, allerdings unterscheidet sich die Art ihrer Tätigkeiten erheblich und ist noch sehr stark traditionell verteilt.

Der Anteil ehrenamtlich tätiger Männer ist etwa in Sportvereinen, sowie bei Rettung, Feuerwehr oder Zivilschutz deutlich höher. Frauen sind dagegen wesentlich stärker im Bildungsbereich, in der Altenbetreuung, in Kirchen und Religionsgemeinschaften, Kultur und Umweltschutz aktiv.

Diskussion beim Dialogforum zum Thema Ehrenamt

Mehr Absicherung notwendig

Für das Dialogforum in der Ehrenamtsstudie wurden im Parlament Vertreter*innen zahlreicher Freiwilligenorganisationen eingeladen. Dabei nahmen sie in Gruppen an mehreren Workshops zu unterschiedlichen Themen rund um das Ehrenamt teil. Die Workshops wurden moderiert und jeweils auch von Nationalratsabgeordneten besucht.

Die Themen, die im Fokus der Debatten standen, repräsentierten diverse strukturelle Herausforderungen der Freiwilligenarbeit. Ein angesprochener Punkt war jener der Einkommensunterschiede. "Es gibt eine Tendenz zu der Auffassung, dass man sich ein Ehrenamt erst mal leisten können muss", erklärt Tomaschitz. "Wenn man finanziell unter Druck steht, kann man wenig Zeit für anderes erübrigen. Durch diese Tatsache kann jedoch die Gefahr bestehen, dass Personen von ehrenamtlicher Tätigkeit ausgeschlossen werden, auch wenn sie grundsätzlich mitmachen wollen."

Hauptberufliche sind wichtig

Als Lösung für diese Problematik wurden u.a. Vergünstigungen für Freiwillige bei Steuern, Sozialversicherung oder anderen Abgaben vorgeschlagen. Für eine bessere Absicherung ehrenamtlich Tätiger könnten auch Vergütungen für Fahrpreise oder Rabatte beim Einkaufen, etwa mit Hilfe einer "Ehrenamts-Card", sorgen.

Die finanzielle Unterstützung von Freiwilligenorganisationen ist maßgeblich, um es Personen zu ermöglichen, dort hauptberuflich zu arbeiten. "Im Krisenfall Tausende Freiwillige zu haben, ist schön, aber nur zu bewältigen, wenn Hauptberufliche beschäftigt sind", die das Engagement der Ehrenamtlichen organisieren und kanalisieren, führt Tomaschitz zu einem zentralen Anliegen der am Dialogforum beteiligten Organisationen aus.

Ideensammlung während eines der Workshops

Gütesiegel für Unternehmen

Ein weiterer diskutierter Problembereich war die Unterstützung Ehrenamtlicher durch ihre Arbeitgeber*innen. "Freiwilligenarbeit geschieht nicht immer in der Freizeit, das Ausmaß muss daher häufig mit dem/der Arbeitgeber*in ausgehandelt werden", erläutert Tomaschitz. "Die Diskussion hat aber gezeigt, dass es wahrscheinlich dennoch nicht sinnvoll wäre, ein formelles Recht auf ehrenamtliche Arbeit einzuführen, weil Arbeitnehmer*innen für Unternehmen dadurch unattraktiver werden könnten. Sie könnten dadurch am Arbeitsmarkt sogar diskriminiert werden."

Als besserer Lösungsvorschlag gilt, eine freiwilligenfreundliche Unternehmenskultur zu schaffen. Eine Möglichkeit wäre etwa ein Gütesiegel für Unternehmen, die Freiwillige beschäftigen und/oder sich ihnen gegenüber kooperativ verhalten. Für sie könnte das einen Imagegewinn darstellen.

Anrechnung von Leistungen

Für einige Freiwillige problematisch ist auch, dass ihre Tätigkeiten formal nicht als Ausbildung oder als Erwerb bestimmter Fähigkeiten anerkannt werden. "Hier gibt es aber Unterschiede: Für Jüngere wäre eine Anrechnung sehr willkommen, etwa, wenn sie ehrenamtlich als Sanitäter*innen arbeiten. Pensionist*innen andererseits sind Dinge wie ECTS-Punkte möglicherweise nicht so wichtig."

Ein Nachteil der Anerkennung von Leistungen auf formellem Weg wäre ein hoher bürokratischer Aufwand, der gerade für kleinere Organisationen kaum zu stemmen wäre. "Eine Lösung dafür wären Freiwilligenzentren, die Organisationen Formalisierungsschritte abnehmen könnten. Im Dialogforum herrschte hohe Einigkeit, dass es ein Netz solcher Zentren geben sollte."

Boden für die Solidarität

Einigkeit herrscht auch in der Auffassung, dass ehrenamtliche Tätigkeit sehr wichtig für eine Kultur des Zusammenhalts in der Gesellschaft sei. "Das ist der Boden, auf dem Solidarität basiert", sagt Tomaschitz. "Der Tenor unter Freiwilligenorganisationen ist, dass viel selbstbewusster Lobbyarbeit gemacht werden müsste, etwa in Schulen. Jugendliche sollten darin eingeführt werden, etwas Sinnvolles und Gemeinsames zu tun."

Die Ergebnisse der Studie sollen nun in eine Novellierung des Freiwilligengesetzes einfließen. Diese ist laut Tomaschitz in Arbeit und soll im Herbst im Parlament weiter verhandelt werden.

 

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Campus Wien entstanden.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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