So gefährlich ist Esoterik
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Esoterik ist weit verbreitet. So gab es etwa einen Trend bei so manchen Bio-Betrieben: Barcodes auf Produkten wurden mit aufgeklebten oder aufgedruckten Querbalken „entstört“. In der Esoterik-Branche gilt dieser als „Gefahr“, weil dadurch angeblich eine ungesunde Strahlung freigesetzt wird. Dieser wissenschaftliche Unsinn ist nur eine der Geschichten, der die beiden Autorinnen Pia Lamberty und Katharina Nocun in ihrem Buch „Gefährlicher Glaube“ auf den Grund gingen. Wir haben mit Katharina Nocun darüber gesprochen.
futurezone: Jeder wächst mit Esoterik auf, sei es mit Sprüchen wie „auf Holz klopfen“ oder dem „Auspendeln von Wasseradern“. Was ist daran gefährlich?
Katharina Nocun: Meine Co-Autorin Pia Lamberty und ich sind zu einer Zeit aufgewachsen, in der Esoterik noch viel stärker präsent war als jetzt. In fast jeder größeren Talk-Sendung waren öfters Geistheiler*innen oder Hexen eingeladen, die obskure Wahrheiten präsentiert hatten, die aber kaum kritisch hinterfragt wurden. Auch in Mädchenzeitschriften wurden magische Rituale erklärt. Das wurde lange Zeit als unkritisch gesehen, als harmloses Extra, das nicht schaden kann. Doch das ist es nicht.
Wie kann es schaden?
Einige Hardcore-Esoteriker*innen leugnen sogar die Existenz von Viren und Bakterien. Manche würden Krebs lieber mit Vitamin C behandeln und raten von einer Chemotherapie ab. Im Wellness-Beauty-Bereich gibt es etwa Influencer, die durchaus gute Tipps geben, wenn es um Zusätze in Gesichtscremes geht. Doch dieselben Personen werben dann auch für Jaderoller, die Energien auf der Haut wiederherstellen sollen. Davon raten Dermatolog*innen ab, weil dadurch Bakterien verbreitet werden können. So etwas findet man immer wieder.
Wieso ist Esoterik dann so tief in unserer Gesellschaft verankert?
Esoterik findet eine so starke Verbreitung, weil es ein riesengroßer Markt ist. Gerade mit der Angst der Menschen lässt sich unglaublich viel Geld verdienen. Viele Influencer*innen haben auch Online-Shops, über die sie gleich die passenden Produkte vermarkten. Sie vermischen völlig unkritisch esoterische Inhalte mit seriösen Angeboten.
Weil wir gerade von Influencer*innen sprechen: Was für eine Rolle spielt das Netz bei der Verbreitung von Esoterik?
Gerade auf der Plattform TikTok haben wir beobachtet, dass man schnell in eine Art „Kaninchenloch“ fällt, wenn man sich derartige Inhalte ansieht. Wer etwa länger bei einem Pendel-Video verweilt, bekommt immer mehr davon vorgeschlagen. Die Strukturen von Social Media, die auf einem Empfehlungsalgorithmus basieren, können hier einen verstärkenden Effekt haben. Über das Netz werden Menschen auch gerne geködert, damit sie selbst Produkte auf Kommission kaufen und online in ihrem eigenen Freundeskreis anbieten.
Wenn wir an das Beispiel mit dem Barcode denken, der entstört wird. Warum ignorieren Menschen absichtlich wissenschaftliche Fakten?
Es gibt tatsächlich unterschiedliche wissenschaftliche Thesen, warum Esoterik für einige so anziehend ist. Eine These ist, dass es eine Kompensationsstrategie bei Situationen ist, in denen man die Kontrolle verliert, sich hilflos fühlt. In so einer Krise kann es als hoffnungsvoll erscheinen, wenn man glaubt, dass man die Situation durch Rituale, Heilsteine oder Gedanken positiv beeinflussen kann. Man hat dann die Illusion, mehr Kontrolle über sein eigenes Leben zu haben.
Ist das auch der Grund, warum sich Menschen, wenn sie schwer krank sind, manchmal an Wunderheiler wenden?
Wer mit einer schlimmen Diagnose konfrontiert ist, hat große Ängste vor dem, was als Nächstes passieren wird. Man denke an Krebs und die Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Es ist verlockend, an Heilsversprechen eines Gurus zu glauben, der lieber die Hand auflegt. Man klammert sich an die Hoffnung, weil es einem die Angst vor der Situation nimmt. Das kann aber dramatische Folgen haben. So kann man damit eine medizinische Behandlung so weit verzögern, dass sich das Zeitfenster schließt, in dem man eine*n Patienten/in noch retten könnte. Wenn ein Tumor aber bereits streut, stößt möglicherweise auch die evidenzbasierte Medizin an ihre Grenzen.
"Von Magie ist selten die Rede, sondern eher davon, dass man „etwas manifestiert“. Das klingt anders, als: „Ich versuche durch meine Gedankenkraft etwas magisch zum Erscheinen zu bringen.“
Es gibt außerdem das sogenannte Wissenschaftsparadox: Was genau ist darunter zu verstehen?
Einerseits gibt es Praktiker*innen, die versuchen, jeden Unsinn pseudowissenschaftlich zu legitimieren. Andererseits gibt es Menschen, die Wissenschaft komplett leugnen. Oft kommt in einem esoterischen Milieu sogar beides zusammen. Einerseits werden Studien komplett geleugnet. Es wird behauptet, dass diese gar keine Aussagen treffen können. Andererseits versuchen esoterische Konzepte oftmals, in wissenschaftlichem Mantel daher zu kommen. Von Magie ist selten die Rede, sondern eher davon, dass man „etwas manifestiert“. Das klingt anders als: „Ich versuche durch meine Gedankenkraft etwas magisch zum Erscheinen zu bringen.“ So als könnte man durch Gedankenkraft dafür sorgen, dass sich Geld auf dem Konto manifestiert.
Das wäre aber ein nützliches Feature, oder?
Jene, die solche Konzepte verbreiten, behaupten auch, dass es bei ihnen funktioniert hätte. Es gibt einige, die haben Millionen mit derartigen Pseudoratgebern verdient. Die gehören zu den wenigen, die von sich behaupten können, dass sich „etwas auf dem Konto manifestiert“. Sie haben mit unglaublichen Büchern unglaubliche Versprechen und Thesen angepriesen. Sie können diese Versprechen aber nicht einlösen. Auch das kann gefährlich sein. Denn wenn man immer nur von der bestmöglichen Option ausgeht, um keine „negativen Gedanken zu manifestieren“, kann das etwa zu finanziellen Fehlentscheidungen führen.
Im Alltag haben die meisten Menschen wenig mit Wissenschaft zu tun. Wie kann man als Mensch wissen, welche Studie nun seriös ist und welche nicht?
Das ist als Laie gar nicht so einfach und ist aber auch oft nicht einmal für Leute aus einer anderen Fachdisziplin einfach herauszufinden. Man kann sich aber an seriösen Organisationen orientieren. Es gibt allerdings auch studierte Mediziner*innen, die in ihren Praxen nicht wissenschaftlich fundierte Dinge anbieten. Da darf man sich auch vom weißen Kittel nicht blenden lassen und man sollte sich vorab ganz genau informieren, was über die Behandlungsmethoden im Umlauf ist. Ein Konzept, das Wissenschaft ausblendet, kann jedenfalls nicht per Definition ganzheitlich sein.
Es gibt auch ganzheitliche Mediziner*innen, die sich den Menschen als Ganzes anschauen, aber trotzdem ein konkretes Problem erkennen können?
Ja, ein*e guter Arzt*in, schaut sich seine Patient*innen ganzheitlich an. Damit ist aber eine ganz andere Ganzheitlichkeit gemeint als in der Esoterik. Dort ist das eine Mogelpackung. In der modernen Medizin gibt es eigene Forschungszweige, die sich etwa mit Psychosomatik auseinandersetzen, etwa damit, was Stress mit dem Körper macht oder, wie eine Psychotherapie eine Krebstherapie begleiten kann. Der Vorwurf der Esoterik, die Medizin könne nicht ganzheitlich sein, ist daher auch nicht zutreffend.
In Ihrem Buch schneiden auch Yoga und Meditation teilweise negativ ab, obwohl es dazu wissenschaftliche Studien gibt, dass diese Methoden bei Stress und Schmerzen helfen können.
Natürlich gibt es viele Dinge, bei denen man so gar pauschal nicht klar sagen kann, ob etwas zum Esoterik-Spektrum zugehörig ist oder nicht. Ich habe auch Yoga gemacht, weil das ein guter Sport ist, um den Rücken aufzubauen. Es gibt auch Studien, die ganz eindeutig zeigen, dass bestimmte Übungen einen sehr guten Effekt haben können bei einigen Beschwerden. Ähnliches gilt für Meditation. Sie kann dabei helfen, besser mit Stress umzugehen.
Wieso ist Yoga dann für Sie esoterisch besetzt?
Sowohl Yoga als auch Meditation wird teilweise auch in esoterischen Varianten angeboten. Ich hatte das selbst einmal bei einem Yoga-Kurs erlebt. In dem Raum war alles voll mit Esoterik-Büchern. Gerade im Esoterik-Bereich werden bestimmte Methoden als Allheilmittel verkauft. Auch Yoga. Das stört mich. Es ist daher wichtig zu sagen, dass es nicht für jeden gleich geeignet ist. Nach bestimmten Operationen sollte man etwa auch mit dem Arzt abklären, ob Yoga das Richtige ist. Und wenn es einem psychisch nicht so gut geht, sollte man eben auch besser einen Therapeuten konsultieren, als zu glauben, dass man sein Problem über einen Instagram-Meditationskurs lösen kann.
Meditation kann also keine Probleme lösen?
Es gibt Menschen, bei denen werden Krisensituationen dadurch nicht besser, sondern schlechter. Im Esoterik-Milieu wird zudem oftmals eine Schuldumkehr betrieben. Dann hast du angeblich nicht richtig meditiert, wenn sich dein Problem dadurch nicht löst.
Wie können wir uns von dem tiefverwurzelten Glauben, der in der Gesellschaft existiert, lösen?
Es wird immer Menschen geben, die an Esoterik glauben, das praktizieren und sich darin verlieren. Es ist ein unglaublich attraktives Angebot. Ich würde mir wünschen, dass wir uns klarmachen, dass das Label von „harmlos“ bei Esoterik ein falsches Etikett ist. Dahinter verbergen sich oft dramatische Geschichten von Angehören, die ihre Verwandten verloren haben, weil sie geglaubt haben, durch spirituelle Sitzungen wieder gesund zu werden. Es gibt ganz viele Akteur*innen in dem Bereich, die in Kauf nehmen, dass Menschen Schaden zugefügt wird oder sie sterben und denen gehört das Handwerk gelegt.
Zum Buch
Pia Lamberty, Katharina Nocun: GEFÄHRLICHER GLAUBE. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik. Quadriga Verlag. 22 Euro
Kommentare