Videokamera auf der Reeperbahn.

Videokameras gibt es in Hamburg auch an anderen Orten, wie hier auf der Reeperbahn. 

© dpa/Christian Charisius/APA/DPA/Christian Charisius

Digital Life

Wie in China? Hamburg testet umstrittene KI-Videoüberwachung

In China ist Videoüberwachung omnipräsent: Bereits am Flughafen befindet sich alle paar Meter mindestens eine Kamera, meistens sogar mehrere. Wer in das Land einreisen will, muss sein Gesicht in einer Datenbank hinterlegen, damit dieses später von einem KI-System identifiziert und zugeordnet werden kann.

Bereits seit vielen Jahren setzt die politische Führung auf die großflächige Überwachung. Es ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits sorgt sie für Sicherheit, andererseits wird man dort auf Schritt und Tritt verfolgt - dem Staat bleibt nichts verborgen.

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Auch in Europa liebäugeln Politiker mit derartigen Überwachungssystemen, die für mehr Sicherheit sorgen sollen, indem sie Verbrechen oder im schlimmsten Fall sogar terroristische Aktivitäten aufklären. In der deutschen Großstadt Hamburg startet kommende Woche ein Pilotprojekt, bei dem man auch KI-gestützte Videoanalysen einsetzen wird.

Dadurch soll die dortige Polizei Gewalttaten schneller erkennen und einschreiten können. Das von Forschern begleitete Projekt könnte künftig ähnliche Vorhaben in ganz Deutschland inspirieren.

Pilotprojekt in Hamburg: So funktioniert es

Grundsätzlich soll das Ganze so aussehen: Kameras werden in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs das Geschehen im öffentlichen Raum filmen, wie sie das schon seit 2019 tun. Die dortige Videoüberwachung gilt als Musterbeispiel für gelungene Kriminalitätsbekämpfung.

Ab dem 1. September soll dann eine KI das Geschehen analysieren. Laut der Hamburger Polizei sollen die Aufzeichnungen montags bis donnerstags nur vom Nachmittag bis zum Morgen des Folgetags gemacht werden – und von Freitag bis Sonntag von 9 Uhr morgens bis 6 Uhr am nächsten Tag, berichtete der NDR.

Automatisierte Analyse durch Künstliche Intelligenz

In dieser Zeit wird dann statt eines menschlichen Polizisten eine KI den Videofeed überwachen. Die Polizei spart dadurch Personal, weil kein Mensch mehr dort sitzen muss, der die Videoaufnahmen vom Hansaplatz beobachtet. Die Aufnahmen sollen auch Trainingsdaten liefern, mit denen man ein System trainieren kann, das auch andernorts eingesetzt werden kann.

Der Hansaplatz ist bekannt als Treffpunkt von marginalisierten Gruppen wie Drogenabhängigen, Sexarbeitern und Obdachlosen. Auch zu kriminellen Vorgängen kommt es dort.

Strichmännchen und Bewegungsmuster

Die Kamerabilder, die dort aufgezeichnet werden, werden zu einer Art anonymisierten Strichmännchen umgewandelt und von einer KI ausgewertet. „Die Technologie rechnet Körper in Vektoren um, in Strichmännchen sozusagen. Und dann schätzt sie, ob deren Bewegungen bestimmten vordefinierten Bewegungsmustern entsprechen. Dazu gehören zum Beispiel Treten, Schlagen oder Würgen, aber auch Liegen und sogenannte aggressive oder defensive Körperhaltungen“, erklärte der Forscher Philipp Knopp gegenüber Netzpolitik.org.

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Datenschutzbedenken und gesetzliche Grauzonen

Die KI-gestützte Videoüberwachung wird in Deutschland unterschiedlich beurteilt: Während Befürworter wie SPD, CDU und die Grünen sagen, dass für ausreichend Datenschutz gesorgt sei, äußern Gegner wie die Linke und Datenschützer in diesem Punkt Bedenken. Sie sagen, dass Rückschlüsse auf Einzelpersonen durchaus möglich sind.

Hamburg hat ja extra ein Gesetz geschaffen, mit dem die Überwachungsdaten auch als Entwicklungsdaten genutzt werden können. Und wenn der Aufwand zu groß ist, die zu anonymisieren, dürfen diese Daten auch unanonymisiert weitergegeben werden“, sagt Knopp. Außerdem vereinfache die KI-Analyse das Geschehen und beobachte auch harmloses Verhalten wie „auf dem Boden liegen“, kritisiert Knopp.

Die KI erkennt einen Kampf.

Die KI erkennt Handlungen wie eine Rangelei.

China als Vorbild für europäische Überwachung?

Interessant ist, wie sich chinesische Konzepte wie die Überwachung öffentlicher Plätze im Namen der Sicherheit nun auch in Europa wachsender Beliebtheit erfreuen. In Deutschland überlegt man sogar, solche KI-Videoüberwachungssysteme auch außerhalb von Kriminalitätshotspots zu betreiben.

„So könnte die Polizei auch Orte damit überwachen, wo sie nur vermutet, dass dort Kriminalität auftreten könnte, weil man von dort beispielsweise gut flüchten kann, oder weil der Ort sehr belebt oder schlecht einsehbar ist“, sagt Knopp. Auch solche Ideen lassen an chinesische Verhältnisse denken.

Rechtliche Schranken durch den AI Act

So weitreichend wie in China ist das jedoch juristisch gar nicht möglich. Gesetze wie der AI Act verbieten etwa grundsätzlich den Einsatz von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, so wie das in dem asiatischen Land gemacht wird. Wer solche KI-Systeme mit Gesichtserkennung trotzdem im öffentlichen Raum einsetzen will, braucht dafür eine richterliche Sondergenehmigung.

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Man muss aber gar keine Gesichtserkennungssoftware einsetzen, um Bürger mit Daten zu überwachen – auch andere Daten wie Bewegungsmuster können viel über Einzelpersonen preisgeben.

„Dadurch, dass diese Daten zeit- und ortsbezogen sind, sind sie rückführbar auf die Person. Weil sich eine bestimmte Person zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort auf diese Art und Weise bewegt. Die müssen ja auch rückführbar sein, weil die Polizei vielleicht auf diese Person zugreifen will“, so Knopp.

Wie Netzpolitik.org anmerkt, kommen Kritiker der Hamburger Videoüberwachung laut beteiligten Wissenschaftlern derzeit kaum zu Wort. Manche Daten und Videosequenzen sollen dann ein ganzes Jahr lang gespeichert werden. Welche das sind, hat die Hamburger Polizei allerdings nicht öffentlich erklärt.

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