Am Rollprüfstand werden Verbrauchswerte von Pkw ermittelt

Am Rollprüfstand werden Verbrauchswerte von Pkw ermittelt

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Wie entstehen die Reichweitenangaben bei E-Autos?

Wer von Herstellern und Händlern wissen will, wie weit ein Elektroauto mit einem vollen Akku kommt, erhält üblicherweise eine Kilometerangabe mit dem Hinweis NEFZ oder WLTP (oft auch NEFC bzw. WLTC). Hinter den Kürzeln stehen zwei verschiedene Fahrzyklen, der Neue Europäische FahrZyklus bzw. die Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure. Dabei handelt es sich um Messverfahren, mit denen der Verbrauch von Neufahrzeugen festgestellt wird.

Doch wie funktionieren die eigentlich genau und warum kommen am Ende unterschiedliche Werte heraus?

Einheitliches Verfahren

Die Idee, einheitliche Verfahren zur Überprüfung des Verbrauchs von Pkw festzulegen, kam erstmals durch die stark zunehmende Motorisierung in den 60er-Jahren auf. Nach der ersten Ölpreiskrise 1973 wurde in Europa der Standard für den Neuen Europäischen Fahrzyklus entwickelt. Die Messmethode sah die Ermittlung von Roll- und Luftwiderständen auf der Straße und eine anschließende Verbrauchsmessung auf einem Rollenprüfstand vor. Dabei musste ein exakt festgeschriebenes Fahrprofil durchlaufen werden, das verschiedene Beschleunigungs- und Leerlaufmuster bis zu einer Maximalgeschwindigkeit von 120 km/h vorsah.

Was Autofahrer jedoch schnell merkten, war, dass NEFZ-Werte mit realen Verbrauchswerten wenig übereinstimmten. Kein Wunder, denn den Fahrzeugherstellern wurden im NEFZ einige Schummeleien erlaubt. So konnten Fahrzeuge etwa mit minimalem Gewicht, abgeklebten Fugen, besonders spritsparenden Reifen sowie Abschaltung interner Stromverbraucher (z.B. Heizung, Klimaanlage) getestet werden. Auch das verbrauchsstarke Fahren mit höherer Geschwindigkeit bildete der NEFZ kaum ab.

Mehr Realitätsnähe

Der WLTP-Zyklus (WLTC) sollte realitätsgetreuere Daten liefern. Die Verbrauchsmessung beginnt dabei im Gegensatz zum NEFZ mit einem Kaltstart. Das Fahrprofil ist dynamischer, enthält weniger Leerlaufphasen, stärkere Beschleunigungsvorgänge und längere Phasen bei hoher Geschwindigkeit (bis zu 131 km/h). Die am Prüfstand zurückgelegte Fahrstrecke steigt beim WLTP von 11 auf 23,25 Kilometer. Statt 20 wird 30 Minuten lang getestet. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 47 statt 34 km/h beim NEFZ.

Seit 1. September 2017 müssen Neufahrzeuge in der EU die WLTP durchlaufen - das gilt für Pkw mit Verbrennungsmotor genauso wie für Elektroautos. Bei Benzinern oder Diesel-Pkw muss jedoch seit September 2019 zusätzlich zur WLTP ein RDE-Test durchgeführt werden. Die "Real Driving Emissions" werden im normalen Straßenverkehr ermittelt. Neue Fahrzeuge müssen dabei unter den vorgeschriebenen Abgasnormen (derzeit Euro 6d) bleiben.

Vorher-Nachher-Vergleich

Elektroautos durchlaufen auf dem WLTP-Prüfstand genauso wie Verbrenner vier Fahrzyklen (niedrige bis sehr hohe Geschwindigkeit). Am Ende wird die Batterie wieder vollgeladen, um den Verbrauch anhand der geladenen Strommenge zu ermitteln.

Wer führt die Messungen überhaupt durch? "Für die Zulassung auf den heimischen Markt werden die Verbrauchswerte von Pkw im Rahmen der Typenprüfung an der TU Wien und an der TU Graz gemessen. Die Ergebnisse erhält das Verkehrsministerium (BMVIT), das dann die Zulassung erteilt", erklärt ÖAMTC-Cheftechniker Thomas Hametner.

Praxis immer noch anders

Bei Elektroautos ergibt die WLTP einen Verbrauchswert in Kilowattstunden pro 100 gefahrenen Kilometer. Stellt man diesen Wert der Gesamtkapazität des jeweiligen E-Auto-Akkus gegenüber, ergibt sich die theoretische Reichweite. Während WLTP-Angaben deutlich realitätsnäher als jene des NEFZ sind, kann die tatsächliche Reichweite in der Praxis dennoch abweichen. Es kommt dabei auf den Fahrstil, das Streckenprofil, Witterung (Rollwiderstand ist bei Regen z.B. höher) und Außentemperaturen an.

Im WLTP werden für diese Faktoren relativ milde Ausgangswerte angenommen. Die Umgebungstemperatur beträgt bei den Rollprüfstandtests etwa normierte 23 Grad Celsius. Um an eine Reichweitenangabe laut WLTP heranzukommen, muss man also in der Praxis äußerst zahm fahren, auf der Autobahn nur mäßig schnell unterwegs sein, möglichst geringe Höhenunterschiede überwinden, die Klimaanlage ausgeschaltet lassen und das Auto im Winter am besten stehen lassen.

Strengere USA

In den USA geht es bei der offiziellen Einschätzung des Durchschnittsverbrauchs etwas strenger zur Sache. Die Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) kombiniert bei ihren Messungen mehrere unterschiedliche Fahrzyklen. Der älteste und wichtigste Test hört auf den Namen FTP-75. Bei anderen Fahrzyklen werden u.a. harsche Umweltbedingungen angenommen, etwa Außentemperaturen von -7 Grad Celsius.

Am Ende liefert die EPA Verbrauchswerte als Miles Per Gallon Equivalent (MPGe). Diese Werte werden von Elektroautoherstellern oft als Maß für die beste Energieeffizienz herangezogen. An der Spitze der EPA-Rangliste wechselten sich zuletzt Tesla Model 3 und Hyundai Ioniq Electric ab.

Test-Vielfalt

Neben offiziellen Behörden werden Verbrauchstests auch von Autofahrerclubs, Fachmedien und vielen weiteren Institutionen durchgeführt. Dabei kommen ganz unterschiedliche Kriterien zur Anwendung. "Verbrauchsmessungen unterscheiden sich alle ein wenig", meint Thomas Hametner. Der ÖAMTC misst bei Elektroautos etwa den Stromverbrauch während Prüfstandtests konstant und lässt in seine Ergebnisse auch Ladeverluste beim Aufladen einfließen.

Für Privatpersonen und Unternehmen, die an der Neuanschaffung eines Elektroautos interessiert sind, ist die Vielfalt der Messverfahren freilich wenig hilfreich. Gerade wenn das Auto spezielle Voraussetzungen erfüllen soll, empfiehlt sich intensives Studieren von E-Auto-Foren oder persönlichen Erfahrungsberichten.

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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