Studie: Twitter verdrängt traditionelle Pressearbeit der Parteien
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Die Nutzung des Kurznachrichtendiensts Twitter erhöht die Chancen von Parteien signifikant, die Themenagenda von Medien zu beeinflussen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Medienforschern der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) für die Schlussphase des Nationalrats-Wahlkampfs 2017. Dabei verlor die „klassische“ Pressearbeit an Relevanz, während die Twitteraktivität massiv anstieg.
Für ihre im Fachjournal „Journalism“ veröffentlichte Studie untersuchten die Medienwissenschafter Josef Seethaler und Gabriele Melischek sämtliche 9.000 Tweets und mehr als 1.000 Presseaussendungen, die von den Parteibüros sowie den Spitzenkandidaten von ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen, NEOS und Liste Pilz im Vorfeld der Wahl abgesetzt wurden. Dazu kamen noch 2.500 Medienbeiträge. Betrachtet wurden dabei die sechs Wochen vor dem Wahltermin, in denen die große Gruppe der Unentschlossenen ihre Wahlentscheidung trifft.
Themensetzung verlagert
Resultat: Die versuchte Themensetzung verlagerte sich von klassischer PR-Arbeit wie Presseaussendungen und Pressekonferenzen zum Teil auf Twitter. Setzte in den sechs Wochen vor früheren Nationalratswahlen jede Parlamentspartei durchschnittlich rund 450 Presseaussendungen ab, waren es im Wahlkampf 2017 nur mehr rund halb so viele. Besonders massiv reduzierte die ÖVP: Sie kam sogar nur mehr auf ein Drittel der Aussendungen vergangener Wahlkämpfe.
NEOS führend
Im gleichen Zeitraum stieg laut Studie aber die Twitteraktivität der Parteien: Führend dabei waren die NEOS mit 3.200 Tweets, die ÖVP kam auf 2.000, die Grünen auf 1.600, die SPÖ auf 1.500, die Liste Pilz auf 700 und die FPÖ abgeschlagen auf knapp 100. Als einzige Partei verzeichneten die Freiheitlichen mehr Presseaussendungen (140) als Tweets - das lag auch daran, dass die Partei zu diesem Zeitpunkt keinen Twitter-Account hatte und auch Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache eher selten twitterte. Die Autoren verweisen darauf, dass laut anderen Studien „rechtspopulistische Parteien eher Facebook statt Twitter als Kommunikationsplattform nutzen“.
Dabei gelang es den Parteien „außerordentlich gut, ihre Agenda und ihre Themen in die Medien zu bringen“, heißt es in einer Aussendung der ÖAW. Twitter wird zwar nur von vier Prozent der Österreicher genutzt, aber von mehr als 60 Prozent der heimischen Journalisten.
„Amtsinhaberbonus“
Auch in der Social-Media-Welt gibt es aber eine Art „Amtsinhaberbonus“ der Regierungsparteien: Sie können „ihre“ Themen besser in den Medien platzieren. Kleinere Parteien haben nur dann eine Chance, wenn sie ein eigenständiges Themenprofil aufweisen. „Besetzen sie die gleichen Themen wie große Parteien, geraten sie ins Hintertreffen“, so die Wissenschafter.
Gleichzeitig würden die Studienergebnisse aber zeigen, dass auch die Macht der Regierungsparteien begrenzt sei: Die Politik passe sich an die Medien an - diese seit rund 30 Jahren beobachtete Entwicklung setze sich auch auf Social Media fort. Gleiches gelte für die zunehmende Personalisierung: „Spitzenkandidat/innen erhalten insbesondere dann mediale Aufmerksamkeit, wenn sie jene Themen aufgreifen, die zuerst von den Medien selbst vorgegeben wurden.“
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