Wie das Fernkältenetz von Wien funktioniert
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Wenn es draußen über 35 Grad hat, wird für die Klimatisierung von großen Bürogebäuden oder Krankenhäusern viel mehr Energie gebraucht als sonst. Genauer gesagt: Es ist dreimal so viel Kühlleistung notwendig wie an Tagen, an denen es nur 25 Grad hat. „Die Hitzetage werden bekanntermaßen immer mehr und der Bedarf an Kühlung steigt sehr rasch“, sagt Burkhard Hölzl, Fernkälte-Experte bei Wien Energie, im Gespräch mit der futurezone.
1,3 Millionen Kühlschränke
Der Energiedienstleister hat deshalb vorausschauend seit 2007 in Wien ein Fernkältenetz aufgebaut, das vergleichbar mit dem in Paris oder Helsinki, den Vorreitern auf diesem Gebiet, ist. Es ist mit zwölf Kilometern Länge zwar nicht sehr lang, aber effektiv: Die 16 Fernkältezentralen verfügen über eine Leistung von 130 Megawatt. Das reicht, um zwei Millionen Quadratmeter Bürofläche zu klimatisieren und entspricht der Kühlleistung von 1,3 Millionen handelsüblichen Kühlschränken.
Jedes Jahr kommen neue Gebäude dazu und die Leistung steigt um zehn bis 15 Prozent. Allein 2018 sind bereits drei neue Kältezentralen hinzugekommen – eine davon, der Austria Campus, ist mit 12 Megawatt Kälteleistung die viertgrößte Fernkältezentrale von Wien Energie. Top drei sind die Fernkältezentralen Hauptbahnhof, Spittelau und Schottenring.
Die 16 Fernkältezentralen in Wien versorgen derzeit rund 100 Groß- und Gewerbekunden, darunter das AKH, Ringturm, Austria Campus, Erste Bank Campus, ÖBB am Hauptbahnhof, die Uni Wien, die Nationalbank, diverse Hotels am Ring sowie das Ö3-Gebäude in Heiligenstadt.
Fernkältezentralen als Basis
Die Erzeugung der Fernkälte findet dabei in sogenannten Fernkältezentralen statt. Von denen aus wird die Kälte dann über eigene Leitungen an unterschiedliche Abnehmer verteilt. „Das Fernkälte- und Fernwärme-Netz sind komplett getrennt. Wenn der Kunde sich an die Fernkälte anschließt, hat er zwei Rohre in den Keller. Eines für den Kaltwasservorlauf und eines für den Rücklauf sowie eine Übergabestation und einen Zähler, mit dem die verbrauchte Energie verrechnet wird“, erklärt . Der Grund dafür: Während das warme Wasser bei den Verbrauchern in deren Heizkörpern zirkuliert, benötigt Fernkälte kompliziertere Umsetzungen und Klima-Systeme.
Zwölf Kilometer kurz ist das Netz deshalb, weil es schon bei der Konzeption darum geht, möglichst kurze Leitungslängen zu haben. „Wir haben zuerst die Gebiete versorgt, bei denen man kurze Leitungslängen erreichen kann“, so Hölzl. Ein Großteil der Kühlenergie beim Fernkälte-Netz kommt dabei aus der Abwärme von Verbrennungsprozessen. Dazu sind die Fernkältezentralen mit den vier Müllverbrennungsanlagen verbunden. Denn im Sommer ist die Wärme, die dort erzeugt wird, der wichtigste Energieträger für die Kühlung.
So funktioniert das Kühlen
Dazu kommen sogenannte „Absorptionskältemaschinen“ zum Einsatz, bei denen Wärme anstelle von Strom verwendet wird. Damit lassen sich im Vergleich zu herkömmlichen Klimaanlagen rund 50 Prozent an CO2 einsparen. Das auf sieben Grad gekühlte Wasser wird über die Rohrleitungen zu den Kunden transportiert. Das warme Wasser kommt im Anschluss wieder zur Zentrale zurück, wird wieder abgekühlt und landet erneut im Kreislauf. „Zu Spitzenzeiten kommen elektrisch betriebene Kompressionskältemaschinen zum Einsatz, die kurzfristig für Entlastung sorgen können“, sagt Hölzl.
Im Winter kommt zudem die „Free Cooling“-Methode dazu. Dabei wird das rund zwei Grad kalte Donaukanalwasser in die Fernkältezentrale eingespeist und nach der Rückkühlung der Kältemaschinen wieder zurückgegeben. Während Büros im Winter in der Regel keine Klimaanlage brauchen, müssen Serverräume oder medizinische Geräte nach wie vor gekühlt werden. „Im Sommer können wir diese Methode nicht verwenden. Da steigt die Temperatur des Donaukanal-Wassers auf 22 Grad. Der höchste Wert, den wir gemessen haben, betrug 24 Grad“, sagt Hölzl.
Austria Campus mit Wärme und Kälte
Am Austria Campus, den jüngsten Standort des Fernkältenetzes Wiens, kommen noch weitere, innovative Methoden zum Einsatz. Bei der Kälteversorgung am Austria Campus gibt es in jedem einzelnen Gebäude noch eine Wärmepumpe. „Wenn der Kunde einen Wärme- und Kältebedarf gleichzeitig hat – etwa an einem Herbsttag, wenn die eine Seite des Gebäudes aufgeheizt ist und auf der anderen Seite alle frieren – lässt sich die frierende Seite des Gebäudes mit der Energie der anderen Seite aufheizen und umgekehrt kühlen. Das läuft über die Wärmepumpe“, erklärt Hölzl.
Dazu gibt es Kompressionskältemaschinen, die mit dem Verteilungsnetz verbunden sind. Der gesamte Kältebedarf liegt dort bei über 10.000 Megawattstunden pro Jahr. Über die neue Kältezentrale können zukünftig aber auch Gebäude außerhalb des Austria Campus versorgt werden. „Wir haben das Ganze so entwickelt, dass man die Technik öfters anwenden kann, vorausgesetzt, die bauliche Infrastruktur lässt dies zu“, sagt Hölzl.
Der Bedarf an Fernkälte wird wohl auch noch in den nächsten Jahren weiter steigen. Experten rechnen damit, dass Europa in 20 Jahren gleich viel Kühlenergie wie Heizenergie benötigen wird.
Kommentare