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© APA/AFP/TIMOTHY A. CLARY / TIMOTHY A. CLARY

Digital Life

Wie Reddit-Nutzer Hedgefonds um Milliarden brachten

Durch Vernetzung auf dem Reddit-Subforum r/WallStreetBets ist es zahlreichen Kleinanlegern gelungen, den Aktienkurs einiger totgesagter Unternehmen in lichte Höhen zu treiben. Im Zentrum steht dabei das Unternehmen GameStop, das weltweit über 5.000 Geschäfte für Videospiele betreibt - auch in Österreich. Innerhalb weniger Tage ist sein Kurs um über 1.700 Prozent gestiegen. Einige kleine Anleger konnten dadurch ihr Vermögen vervielfachen, während Hedgefonds, die an der Börse auf ein Sinken des Kurses gesetzt hatten, schwere Verluste hinnehmen müssen.

Überblick verloren

Die Aktion ist zu einem Selbstläufer geworden. Nach ersten Erfolgen durch kollektiven Aktienkauf haben die per Social Media vernetzten Kleinanleger Verstärkung erhalten. Das Forum r/WallStreetBets wurde von neuen Nutzern und Kommentaren überschwemmt und musste zwischendurch geschlossen werden, weil die Moderatoren den Überblick verloren. 2,8 Millionen Nutzer tummelten sich zuletzt in dem Forum. Die Kommunikationsplattform Discord schloss einen Kanal von WallStreetBets ebenso.

Diverse Hedgefonds mussten unterdessen herbe Verluste einstecken. Alleine das Unternehmen Melvin Capital verlor 30 Prozent seines Kapitals. Größere Partner hielten die Firma durch Zuschüsse über 2,75 Milliarden Dollar am Leben, wie die New York Times berichtet. Für die Kleinanleger von r/WallStreetBets ist das eine große Genugtuung. Sie freuen sich, auf Kosten der großen Player an der Wall Street, dem Sitz der New Yorker Börse, Profit zu machen. Mit Memes machen sie sich über die vermeintlich wehleidigen Konzerne lustig.

Die Mechanik von "Short Sells"

Um zu verstehen, wie das funktioniert, muss man sich die Mechanik von Short-Selling ansehen. Melvin Capital und andere Hedgefonds haben darauf gewettet, dass die Aktienkurse von GameStop und anderen Firmen, etwa die US-Kinokette AMC oder der Mobilgerätehersteller BlackBerry, sinken. Dazu leihen sie sich von anderen Investoren gegen eine kleine Gebühr Aktien der jeweiligen Firmen, verkaufen sie und hoffen darauf, sie später zu einem niedrigeren Preis wieder kaufen und dem eigentlichen Besitzer zurückgeben zu können.

Solche "Short Sells" sind riskante Geschäfte. Wenn sie erfolgreich laufen, streift man die Differenz zwischen dem Verkaufs- und Kaufpreis (abzüglich der Leihgebühr) als Gewinn ein. Wenn der Aktienkurs, auf dessen Sinken man wettet, allerdings wider Erwarten steigt, dann macht man Verluste. Verkauft man die Aktien zu einem höheren Preis, stoppt man die Verluste ("Covering the Short") und hakt das Ganze als Misserfolg ab. Beginnt ein Short-Seller allerdings damit, treibt er den Preis der Aktie zusätzlich in die Höhe und vergrößert damit die Verluste für andere Short-Seller.

Blasenbildung

Ein Problem an der Situation rund um GameStop ist, dass der Aktienkurs des Unternehmens völlig vom tatsächlichen Wert des Unternehmens entkoppelt wird. Der Videospiel-Händler war schon vor der Pandemie wenig gewinnbringend und leidet nun zusätzlich unter Lockdown-Maßnahmen. Steigt der Aktienkurs dennoch, entsteht eine Blase, die - wie Experten vorhersagen - mit Sicherheit irgendwann platzen wird. Kleinanleger, die ihre Aktien bis zu diesem Zeitpunkt nicht wieder verkauft haben, könnten damit am Ende ebenfalls große Verluste erleiden. Die US-Börsenaufsicht SEC ist wegen dieser Entwicklung sehr nervös. Diverse Trading-Plattformen haben den Handel mit GameStop-Aktien (unter dem Kürzel GME) bereits beschränkt, um die Blase nicht noch weiter aufzublähen.

Rache für 2008

Diversen Anlegern scheint es unterdessen völlig egal zu sein, ob die kollektive Taktik am Ende ins Verderben führt. In einem langen Kommentar bei r/WallStreetBets erklärt etwa der Nutzer u/ssauronn seine Motivation: "Während der Finanzkrise von 2008 war ich Teenager. Ich kann mich lebhaft an die enormen Auswirkungen der rücksichtslosen Aktionen der Typen in der Wall Street auf das Leben der Menschen, die mir nahe stehen, erinnern." Firmen wie Melvin Capital würden Firmen ausbeuten und Märkte manipulieren, um Geld zu verdienen. Dass Millionen Menschen nach der Krise von 2008 in Armut lebten, sei ihnen egal. Sie wurden mit staatlichen Hilfen gerettet, während andere die Rechnung zahlten.

Wenn man die Verluste für die Wall-Street-Profis maximieren könne, sei es ihm auch egal, ob er sein Investment am Ende abschreiben könne. Auch wenn das Vorgehen der Kleinanleger medial dämonisiert werde, werde er an seinen GameStop-Aktien festhalten. Rachegelüste wie dieses scheinen unter den Nutzern von r/WallStreetBets weit verbreitet zu sein. Das Austauschen von Informationen und das kollektive Vorgehen an der Börse ist per se nicht illegal. Durch das Streuen von Meldungen Aktienkurse nach oben oder unten zu treiben, ist etwas, das auch große Börsenspekulanten ständig machen.

Große Gewinne für kleine Anleger

Abgesehen vom Rache-Motiv ist das gemeinsame Hochtreiben der Aktienkurse einiger strauchelnder Firmen auch ein einträgliches Geschäft. Ein Reddit-Nutzer namens u/DeepFuckingValue, der einer der Initiatoren der Kollektivaktion sein soll, hat etwa ein Investment von 53.000 Dollar innerhalb weniger Tage zu beinahe 50 Millionen Dollar gemacht, wie der Guardian berichtet. Beispiele wie diese bescheren nun diversen Trading-Apps plötzlich stark wachsende Nutzerzahlen. Apps wie Robinhood oder WeBull erklimmen rasant die App-Store-Charts. Einige der Apps profitieren von dem Boom noch zusätzlich. Die Plattform Freetrade etwa lässt den Handel mit GameStop-Aktien nur noch zu, wenn man sich ein kostenpflichtiges Freetrade-Plus-Abo zulegt, wie CNBC berichtet.

Spaß in der Gemeinschaft

Ein drittes Motiv vieler Kleinanleger scheint zu sein, mitten in der Corona-Pandemie das Gefühl einer wachsenden Gemeinschaft mitzuerleben und durch Zusammenhalt einen gelungenen Streich zu spielen. Wie der Guardian berichtet, lautet die Eigendefinition von r/WallStreetBets "wie wenn 4Chan einen Bloomberg-Terminal gefunden hätte". Das berüchtigte Online-Forum 4Chan lebte in der Vergangenheit stets davon, gemeinsam anarchischen Unfug zu treiben. Manchmal resultieren daraus harmlose Aktionen, manchmal schwerwiegendere gesellschaftliche Bedrohungen. Im Falle von GameStop machten einige Kleinanleger jedenfalls auch "for the lulz" mit, also weil es einfach lustig ist, etablierte Wall-Street-Giganten scheitern zu sehen.

In diese Kerbe scheint auch Elon Musk zu schlagen. Mit einem Tweet samt Link auf r/WallStreetBets verstärkte der Tesla- und SpaceX-CEO wieder einmal einen aktuellen Online-Trend. Seine Äußerung schien dazu beigetragen zu haben, dass der GameStop-Aktienkurs auch nach Börsenschluss übermäßig anstieg. Auch Elon Musks Freundin, die Musikerin Grimes, macht bei dem Spaß mit und schreibt nun "Finanz-Poesie".

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Mobilität, Klimawandel, Energie, Raumfahrt und Astronomie. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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