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Meinung

Der Schwindel mit den Vitaminen

Es klingt doch so einleuchtend: Um Viren zu bekämpfen brauchen wir ein gutes Immunsystem. Und daher sollten wir möglichst viele Vitamine und Mineralstoffe aufnehmen. Die COVID-19-Aufregung wäre sicher schnell wieder vorbei, wenn nur einfach alle brav ihre Vitamintabletten nehmen würden!

Diese Idee verbreitet sich derzeit rasend schnell, aber sie ist völlig falsch. Unser Immunsystem wird nicht einfach besser, wenn wir zusätzliche Vitamine schlucken. Man sollte auf jeden Fall misstrauisch werden, wenn jemand Nahrungsergänzungsmittel verkaufen möchte oder von „orthomolekularer Medizin“ erzählt. Das ist meistens wirkungslos und manchmal sogar gefährlich.

Eine Personengruppe gibt es, die ihr Immunsystem tatsächlich durch Nahrungsergänzung verbessern kann – nämlich unterernährte Menschen mit Mangelerscheinungen. Wer sich ausreichend und abwechslungsreich ernährt, braucht normalerweise keine Nahrungsmittelzusätze. Unser Immunsystem kann man nicht einfach hochdrehen wie den Lautstärkeregler unserer Stereoanlage. Es ist ein kompliziertes, fein ausbalanciertes System – effektiv im Bekämpfen von Viren und Bakterien, aber nicht überaktiv, weil es sonst zu Autoimmunerkrankungen kommen würde. Das lässt sich nicht einfach mit ein paar Vitaminpillen verbessern.

Orthomolekulare Medizin: Auch Nobelpreisträger liegen falsch

Der Glaube an die wundersame Macht der Vitamine geht unter anderem auf Linus Pauling zurück. Er war Chemie- und Friedensnobelpreisträger, entwickelte dann später die „orthomolekulare Medizin“ – und ist der beste Beweis dafür, dass auch doppelte Nobelpreisträger haarsträubenden Unsinn verbreiten können. Pauling war davon überzeugt, dass hochdosierte Vitamine gegen Krebs helfen. Heute wird die orthomolekulare Medizin auch oft angeboten, um „das Immunsystem zu stärken“.

Wissenschaftliche Tests zeigten allerdings, dass das nichts bringt: Vitamin C schützt nicht vor Erkältungen, das ist inzwischen klar. Auch eine angebliche Stärkung des Immunsystems durch Vitamin D lässt sich nicht belegen. Es mag sein, dass Menschen mit Vitaminmangel häufiger unter bestimmten Krankheiten leiden, aber das heißt nicht, dass Vitamine gegen diese Krankheiten helfen. Nicht jeder Zusammenhang ist ein ursächlicher Zusammenhang: Profigitarristen reißt relativ häufig mal eine Gitarrensaite. Das heißt aber nicht, dass mich eine gerissene Gitarrensaite zum Profigitarristen macht.

Das Wundermittel gibt es nicht

Es gibt durchaus auch wissenschaftlich sinnvolle Tipps, um das Immunsystem in Schuss zu halten: Wir sollten uns abwechslungsreich ernähren, uns bewegen und Stress vermeiden. Magische Wundervitamine können wir uns sparen. Im Extremfall können Vitamin-Überdosierungen sogar ungesund sein. Und wer glaubt, aufgrund irgendwelcher Zauber-Vitamine sich nicht mehr an die allgemein empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen halten zu müssen, der spielt nicht nur mit dem eigenen Leben, sondern in Zeiten einer Epidemie auch mit dem Leben anderer.

Zur Person

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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