Peter Glaser: Zukunftsreich

Die Regenschirmrevolution

Der Regen hat seine Sommerleichtigkeit abgelegt, jetzt kommt er kälter und von schärferem Wind getragen. Aber er bleibt Regen, dieses große, frische Gefühl. Eine Unerfreulichkeit, wenn man von A nach B muß und es gießt. Eine Freude an der Welt, wenn man Zeit hat, dem Regen zuzusehen und in ihn reinzugehen. Künstler versuchen sich immer neu an der Unendlichkeit von Regenstimmungen. Der japanische Maler Hokusai, der mit seiner große Welle berühmt geworden ist, hat auch Regen gezeichnet. Wir haben computergenerierten Regen, und die hyperrealistischen Gemälde von Elizabeth Patterson und die von Gregory Thielker, die beide immer wieder Blicke durch Windschutzscheiben hinaus in den Regen malen. Und da sind die Nacht und die Lichter im Regen, eine schöne Minute lang, in „Lights and Water“ von James Adamson.

Diesseits der Dämlichkeitsdemarkationslinie

Bemerkenswert ist, dass Regenschirme offenbar weit mehr als andere Erfindungen zu Experimenten entlang der Grenze ins Bizarre reizen. So gibt es etwa eine japanische Schirmkugel, die an die Kuppeln von Buckminster Fuller erinnert und bei Regen als tragbare Kabine zum Einsatz kommt. Auch Tänzer inspiriert die Idee der Schirmkugel. Es gibt Umbrella Transformer, die, gleichfalls knapp diesseits der Dämlichkeitsdemarkationslinie, die Verwandlungsfähigkeit von Regenschirmen unter Beweis zu stellen versuchen, hier die vom Schirm zur Tragetasche. Es gibt auch eine Schirmschulterhalterung für Menschen, die beide Hände voller Einkaufstüten haben und bei der einen Zweifel befallen, ob der verheißene Nutzen noch stattfindet, wenn das Hilfsmittel sich an einem Körper in Bewegung befindet.

Der sogenannte Dogbrella ist ein Regenschirm für kleine Hunde, der aussieht wie ein in einer Sturmbö umgestülpter Menschenregenschirm. Wobei schon der Name ein Fehlgriff ist – Dogbrella setzt sich aus zwei Worten zusammen, die nicht zusammenpassen. Wie Fremde in einem vollen Bus werden sie aneinandergepreßt. Das entstandene Kompositum ist unelegant und häßlich, ein Wortmonster. Es spricht von dem, was es nicht kann. Dazu gibt es die dem Hundeschirm geistesverwandten Schirm-Hüte des Modedesigners Alexander McQueen, Gott hab ihn selig.

Und schon kommen Computer und das Netz ins Spiel: Sho Hashimoto und Takashi Matsumoto von der Keio-Universität in Tokio haben „Pileus" entwickelt, einen Regenschirm, den man auch als Monitor verwenden kann. In seinem Griff sind unter anderem ein drahtloser Netzzugang, eine kleine Digitalkamera und ein zierlicher Projektor untergebracht. Fotos, die man mit dem Schirmgriff schießt, werden automatisch auf Flickr eingestellt. Alle Flickr-Fotos mit der individuellen Kennung des Regenschirms können anschließend in den Projektor im Schirmgriff geladen und nach oben auf den Schirmstoff projiziert werden. Die Konstrukteure sehen den Schirm als mobilen Browser, der dafür sorgen soll, dass aus einem Regentag (oder einer Regennacht) ein Vergnügen wird. Ist ein weiterer Schirmnutzer in der Nähe, kann man sich gegenseitig Bilder oder Videos schicken. In Entwicklung ist ein GPS-System für den Schirm und diverse Google Maps-Anwendungen.

Japaner verfügen im übrigen über eine der unseren haushoch überlegene Regenschirmkultur. Sobald es regnet, materialisieren überall durchsichtige Wegwerfregenschirme, und in Restaurants, Hotels und Kaufhäusern gibt es neben den Eingängen Regenschirmeinwickelmaschinen, in denen der nasse Regenschirm mit einer kondomartigen Plastikhülle überzogen wird. Es wäre es im höchsten Maß peinlich, den Fußboden mit dem Schirm naßzutröpfeln. Wenn man rausgeht, steckt man den Schirm in die neben der Einwickelmaschine stehende Regenschirmauswickelmaschine. Sie zieht die nasse Plastikhülle ab und behält sie ein. Vor besonders feinen Kaufhäusern gibt es Geräte mit großen Seitenwänden, in denen man, ohne dass ein Umstehender naßgespritzt wird, seinen Schirm erst ausschütteln kann, ehe man ihn in die Einwickelmaschine steckt.

Klarsichtig kollisionsgeschützt

Verwunderlich ist, dass der Flickr-Schirm mit dunklem Stoff bespannt ist. Derlei Schirme sieht man kaum in japanischen Großstädten. Die üblichen Wegwerfschirme sind durchsichtig, da es sonst ständig Kollisionen geben würde, während man sich durch die dicht an dicht fließenden Menschenmassen bewegt. Vielleicht sollten Schirmingenieure auch Abstandssensoren in den Schirmgriff integrieren und visuelle Kollisionswarnungen auf den Schirmstoff projizieren. Vielleicht sollten sie's aber auch bleiben lassen, warten, bis es wieder wärmer wird und barfuß durch den Regen spazieren.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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