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Meinung

"Aber eine Studie hat gesagt!" – die Scheinwissenschafts-Falle

Manchmal ist der Verweis auf eine Studie bloß ein gefährlicher Propagandatrick.

Physik gilt als kompliziert. Wer die Grundgesetze der Natur ergründen will, bekommt es mit sperrigen Formeln und exotischen mathematischen Symbolen zu tun. Doch eigentlich ist Physik extrem einfach. Keine andere Wissenschaft befasst sich mit so simplen Objekten wie sie – mit einzelnen Atomen zum Beispiel. Oder mit der Bahn eines einzelnen Planeten um seinen Stern.

Einfache und komplexe Fragen

Wenn man solche Dinge untersucht, kann man meistens den Großteil des restlichen Universums ignorieren. Für das Verhalten eines Atoms in der Vakuumkammer ist es völlig egal, ob im Magen afrikanischer Wasserbüffel Methan entsteht. Für die Bahn eines Planeten spielt es überhaupt keine Rolle, ob Koffein das Krebsrisiko erhöht. Genau deshalb erreicht man in Naturwissenschaften wie der Physik so ein hohes Maß an Sicherheit und Präzision: Man kann einzelne Fragen isoliert betrachten und glasklar beantworten. Manchmal liefert eine einzige Messung eine eindeutige Lösung, und jede andere Meinung ist damit widerlegt.

In Sozial- und Geisteswissenschaften ist das anders. Dort hat man es mit viel komplexeren Systemen zu tun – mit dem Zusammenwirken unterschiedlicher Menschen zum Beispiel. Was bedeutet Freiheit? Wie gerecht ist unsere Gesellschaft? Wie gehen wir mit migrationsbedingten Integrationsproblemen um? Solche Fragen kann man nicht isoliert vom restlichen Universum betrachten. Sie sind mit so vielen anderen Themen untrennbar verwoben, dass man hier einfach keine glasklare Antwort finden kann. Manchmal kann man nur Meinungen diskutieren, aber keine eindeutige Lösung liefern.

Manche Leute ignorieren das und versuchen, komplizierte gesellschaftliche Probleme ähnlich zu lösen wie Probleme aus der Physik. Man verweist auf wissenschaftliche Studien und gaukelt eine naturwissenschaftsähnliche Präzision vor, die es in anderen Bereichen aber gar nicht geben kann. Das ist gefährlich. Denn bei komplexen Themen lässt sich fast jede Meinung mit irgendwelchen Studien belegen – auch wenn die Meinung gefährlicher Unsinn ist.

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Gleichberechtigung ist keine Physik

In Gleichberechtigungsdebatten lässt sich das beobachten. Es gibt Umfragen, die sagen, dass teilzeitbeschäftigte Frauen zufriedener sind als vollzeitbeschäftigte. „Die Wissenschaft hat gesprochen!“ kann man nun sagen, und sich mächtig überlegen fühlen. „Frauen wollen also keine Vollzeitjobs, Karriere ist ihnen nicht so wichtig, die Forderung nach beruflicher Gleichstellung ist somit unnatürlich!“ Nur hat man dann eben nicht verstanden, wie Wissenschaft funktioniert. Nein, das sagt diese Studie nicht aus. Es handelt sich bloß um ein isoliertes Ergebnis, das nur Sinn ergibt, wenn man es als Teil eines hochkomplizierten Themengeflechts versteht.

Woran liegt es denn, dass viele Frauen lieber Teilzeit arbeiten? Vielleicht daran, dass immer noch ein überwiegender Teil unbezahlter Pflegearbeit an Frauen hängenbleibt? Vielleicht an einem Betriebsklima, das immer noch von patriarchalen Hierarchien geprägt ist? Vielleicht an jahrtausendealten kulturell tradierten Vorstellungen, aus denen sich niemand von uns so leicht lösen kann?

Oder man untersucht den Frauenanteil in technisch-naturwissenschaftlichen Studien und stellt fest: In Ländern wie Tunesien oder Algerien, die nicht unbedingt als Hochburgen der Emanzipation gelten, ist dieser Anteil erstaunlicherweise höher als in skandinavischen Ländern mit weit fortgeschrittener Geschlechtergleichberechtigung. Haben wir nun also wissenschaftlich bewiesen, dass sich wirklich gleichberechtigte Frauen in Wahrheit gar nicht für Naturwissenschaft interessieren?

Nein, natürlich nicht. Das ist eine völlig naive Verkürzung eines vielschichtigen Problems. So sind etwa Länder mit wenig ausgeprägter Geschlechtergleichstellung oft auch Länder mit geringerem Wohlstandsniveau, da ist vermutlich der Druck ein Studium zu wählen, das gutes Einkommen entspricht, auch für Frauen ein ganz anderer als in skandinavischen Ländern mit großzügigem Sozialsystem. Außerdem sind selbstverständlich auch skandinavische Länder noch weit davon entfernt, alte, kulturell tief verwurzelte Geschlechterungerechtigkeiten hinter sich gelassen zu haben.

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Selbstinszenierung durch scheinbare Wissenschaftlichkeit

Natürlich sind solche Studien interessant. Auch bei komplexen Themen soll man sich auf Zahlen und Fakten stützen. Aber die Sache ist insgesamt eben komplizierter. Wer glaubt, eine gesellschaftliche Frage mit einer Studie für beantwortet erklären zu können, so wie man manchmal in der Physik eine Frage durch eine einzige Messung für beantwortet erklären kann, der macht einen schwerwiegenden wissenschaftlichen Fehler. Auch mit Fakten kann man lügen – wenn man einen kleinen Teil der Fakten isoliert betrachtet, obwohl sich nur im Kontext mit vielen anderen Fakten ein sinnvolles Gesamtbild ergeben würde.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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