Der Mythos vom gesunden Gläschen Alkohol
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Glaube nie etwas, nur weil du gerne hättest, dass es wahr ist! Das ist eine wichtige Lebensregel, die man sich immer wieder vorsagen sollte. Und selten ist sie so wichtig, wie in der Diskussion über den Alkoholkonsum: Ich trinke doch einfach ab und zu mal gerne ein Gläschen! Wäre es da nicht schön, wenn es solide wissenschaftliche Gründe gäbe, warum das völlig in Ordnung ist? Warum das eventuell bitte sogar gesund sein kann?
Tatsächlich wurden über die Jahrzehnte immer wieder wissenschaftliche Studien dazu durchgeführt. Man untersuchte den allgemeinen Gesundheitszustand möglichst vieler Menschen und befragte sie nach ihren Alkohol-Gewohnheiten. Bei Menschen, die viel Alkohol trinken, zeigt sich ganz wie man erwarten würde, ein eindeutiger Zusammenhang: Je mehr Alkohol, umso größer die Gesundheitsprobleme. Bei Menschen, die wenig Alkohol trinken, ergab sich aber ein überraschendes Bild: Wer wenig Alkohol trinkt war im Durchschnitt sogar gesünder als jemand, der überhaupt keinen Alkohol trinkt. Gibt es also eine bestimmte Alkoholmenge, die unsere Gesundheit sogar fördert?
Training für die Leber? Freie Radikale?
„Ha!“ Ruft man da als überzeugter Zeltfest- oder Weinstubenbesucher. „Ich habe es immer schon gewusst! Hoch die Wissenschaft!“ Und selbstverständlich kann man sich auch ganz leicht wissenschaftlich klingende Hypothesen ausdenken, die diesen seltsamen Zusammenhang plausibel erscheinen lassen: Vielleicht enthalten alkoholische Getränke bisher unentdeckte gesunde Inhaltsstoffe? Oder ist eine geringe Dosis Alkohol vielleicht so etwas wie ein Training für die Leber, damit sie mit anderen Giftstoffen besser umgehen kann?
Über die gesundheitsfördernde Wirkung von Rotwein liest man besonders oft: Rotwein enthält Antioxidantien, das sind Gegenspieler der sogenannten freien Radikale, die angeblich für allerlei schädliche Prozesse in unseren Körperzellen verantwortlich sind. Sollte man also regelmäßig Rotwein trinken, um sich vor freien Radikalen zu schützen? Nein. Denn Antioxidantien finden sich nicht nur in Rotwein, sondern überall in frischem Obst und Gemüse. Statt des Weins könnte man genauso gut auch Traubensaft trinken – er enthält dieselben positiven Inhaltsstoffe, aber keinen schädlichen Alkohol.
Kein Alkohol im Krankenhaus
Wie lässt sich dann aber erklären, dass in wissenschaftlichen Studien Menschen mit geringem Alkoholkonsum gesünder sind als Menschen, die gar keinen Alkohol trinken? Bei näherer Betrachtung stellt sich das als simpler Statistikfehler heraus: Unter Menschen, die völlig alkoholabstinent leben, gibt es nämlich auch solche, die wegen anderer, bereits bestehender Krankheiten keinen Alkohol trinken dürfen. Zum Beispiel Menschen, die starke Medikamente einnehmen, die man nicht mit Alkohol kombinieren darf. Oder Menschen, die im Krankenhaus liegen und dort wohl kaum Alkohol serviert bekommen. Oder ehemalige Alkoholabhängige, die sich streng von Alkohol fernhalten, um nicht rückfällig zu werden.
Wenn man all diese Gruppen zur Antialkoholiker-Gruppe dazuzählt, dann ist es nicht verwunderlich, dass diese Gruppe schlechter abschneidet als die Gruppe der Wenigtrinker. Das heißt aber offensichtlich nicht, dass Alkohol gesund ist: Ein Komapatient hat eine relativ hohe Sterbewahrscheinlichkeit, aber einen Alkoholkonsum von exakt null. Seine Überlebenswahrscheinlichkeit wird sicher nicht steigen, indem ich ihm Alkohol in die Adern spritze um ihn in die statistische Gruppe der Wenigtrinker überzuführen.
Umgekehrt kann man aber auch nicht sagen, dass man aus wissenschaftlicher Sicht unbedingt auf Alkohol verzichten soll. Wer ab und zu ein Gläschen mit Freunden trinkt und nicht in Gefahr gerät, alkoholabhängig zu werden, muss sich dabei keine Sorgen machen.
Klar ist aber auch: Alkoholismus ist ein ernstes gesellschaftliches Problem. In Österreich sterben rund 4x so viele Menschen an den Folgen von Alkoholkonsum als im Straßenverkehr. Eine Studie des Gesundheitsministeriums schätzt, dass rund 15 Prozent der Bevölkerung Alkohol in problematischem Ausmaß konsumiert. Angesichts solcher Daten sollte man Alkohol nicht mit statistischen Tricks schönrechnen. Ein Gläschen Alkohol ist nichts Schlimmes. Aber gesund ist es nicht.
Kommentare