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Meinung

Versklavt in der 15-Minuten-Stadt: Die Oxford-Verschwörung

Kameras sollten ermöglichen, dass zu bestimmten Zeiten nur Anrainer*innen die Straße mit Autos nutzen. Daraus wurde die Theorie gesponnen, dass Menschen ihren Wohnort nicht verlassen dürfen.

Es begann mit einer Idee, die harmloser kaum sein könnte: In einer gut geplanten Stadt sollte alles, was man im Alltag braucht, in 15 Minuten erreichbar sein – von der Schule über die Arztpraxis bis zum Freizeitangebot. Man soll nicht ans andere Ende der Stadt fahren müssen um einkaufen zu können, sondern sollte alles Wichtige in leicht erreichbarer Nähe vorfinden. Das ist gut für die Lebensqualität, es spart Zeit und es reduziert den Autoverkehr.

Dieser Gedanke klingt fast banal. Er ist ungefähr auf dem Niveau von „Nachts ist es dunkler als mittags“. Oder „Eis ist kälter als Hühnersuppe“. Aber bemerkenswerterweise wurde diese simple Idee von der „15-Minuten-Stadt“ in letzter Zeit zur verrückten Verschwörungstheorie umgebaut: Eine „stalinistische Überwachung“ sei geplant, man wolle den Menschen die Bewegungsfreiheit nehmen. Das ist völliger Unsinn – aber man kann daraus eine Menge über Verschwörungstheorien lernen.

Verkehrsberuhigung in Oxford

Ausgangspunkt der Geschichte ist Oxford: Dort will man solche „15-minute-neighbourhoods“ schaffen – mit Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung und Parks in Gehreichweite für alle. Niemand verliert dabei. Wer trotzdem eine Stunde unterwegs sein möchte und lieber am anderen Ende der Stadt einkaufen geht, kann das selbstverständlich auch in Zukunft tun.

Zusätzlich wollte man in Oxford aber auch mit sogenannten „traffic filters“ gegen den überbordenden Autoverkehr vorgehen: An 6 verschiedenen Stellen in der Stadt sollte probeweise die Durchfahrt mit Autos eingeschränkt werden. Kameras sollen die Nummernschilder scannen. Anrainer, Taxis oder Pflegekräfte dürfen durch – anderen ist zumindest zu bestimmten Tageszeiten an diesen Stellen die Durchfahrt verboten. Trotzdem kann man immer noch von jedem Punkt in Oxford zu jedem anderen Punkt in Oxford mit dem Auto fahren – man muss nur eventuell eine andere Strecke wählen als bisher.

Das kann man nun gut oder schlecht finden. Man kann es als unnötig kompliziert oder als wenig effektiv kritisieren, man kann grundsätzlich gegen Kameraüberwachung sein. Doch darum ging es nicht, als Ende 2022 dann Stimmung gegen dieses Projekt gemacht wurde: Obwohl es sich bei der „15-Minuten-Stadt“ und den „traffic filters“ um 2 ganz unterschiedliche Ideen handelt, wurden sie zu einer einzigen Verschwörungstheorie zusammengebacken: Man würde Leute in Stadtvierteln mit 15-Minuten-Radius einsperren, hieß es. „Die da oben“ würden bestimmen, wer sich wann wohin bewegen darf. Man dürfe angeblich mit dem Auto seine 15-Minuten-Zone nicht mehr verlassen.

Das wäre natürlich verrückt. Die 15-Minuten-Zonen sollen ja gerade dafür sorgen, dass man alles Wichtige ohne Auto erreichen kann und man nur noch für besondere Anliegen und weitere Strecken auf das Auto angewiesen ist. Das Auto auf Fahrten innerhalb einer kleinen Zone zu beschränken, wäre daher völlig widersinnig. Aber wen kümmert Logik, wenn man in dystopischen Phantasien schwelgen kann?

Die Bürger würden in einem ewigen „Klima-Lockdown“ eingesperrt werden, hieß es bald. Auf Demonstrationen war von „Kommunismus“ und „Sklaverei“ die Rede, der kanadische Autor Jordan Peterson warnte vor „tyrannischen Bürokraten, die entscheiden, wo man fahren darf“. Nichts davon hatte irgendjemand gefordert – man wollte einfach nur den Verkehr einschränken und Nahversorgung für alle sicherstellen.

Verschwörungstheorien kennen, um ihnen auszuweichen

Diese völlig irrational entgleiste Oxford-Debatte zeigt uns aber eines: Man muss Verschwörungstheorien kennen, beobachten und verstehen – um zu vermeiden, dass man unnötigerweise neue Verschwörungstheorien triggert.

Wenn es zum Beispiel die Verschwörungstheorie gibt, dass die Corona-Pandemie nur erfunden worden sei, um die Menschen in Lockdowns zu Hause einzusperren, dann ist es nicht klug, von einem „Klima-Lockdown“ zu sprechen, wie das manche Umweltschutzgruppen tun. Auch wenn man damit etwas Harmloses meint, sollte man sich bewusst machen, dass der Begriff leicht missverstanden werden kann und Widerstand provoziert. Und wenn es durchaus berechtigte Sorgen über Datenmissbrauch gibt, dann wäre ein simpler Poller, der die Straße absperrt, vielleicht klüger als eine Kamera, die Nummernschilder scannt und speichert.

Verschwörungstheorien gehen nicht mehr weg. Sie sind jetzt Teil unseres Lebens. Man sollte ihnen nicht nachgeben, man sollte versuchen, sie zu widerlegen. Aber man muss sie zur Kenntnis nehmen, ihre Mechanismen verstehen und versuchen, ihnen nicht durch schlecht formulierte Forderungen unnötig Futter zu liefern.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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