Wirtschaftswissenschaft: Kann man Menschen ausrechnen?
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Die Ökonomie hat nicht den besten Ruf. Manche Leute halten es grundsätzlich für einen Fehler, menschliches Wirtschaften in seelenlosen, technokratischen Formeln beschreiben zu wollen. Wir sind doch keine Maschinen, die man in Zahlen fassen kann! Ist Ökonomie etwa gar keine Wissenschaft, sondern bloß eine politische Ideologie? Nein, dieser Vorwurf ist unfair.
Im Zentrum der Kritik steht oft der „homo oeconomicus“ – die Grundidee, dass der Mensch auf logische, rationale und nutzenorientierte Weise Entscheidungen trifft. Aus 2 gleich guten Produkten wird man das billigere wählen, aus 2 gleich teuren das bessere. Mit diesem Konzept gelingt es, menschliches Verhalten mathematisch zu beschreiben und das Spiel von Angebot und Nachfrage zu erklären.
Jeder optimiert – nur eben unterschiedliche Dinge
„Aber es stimmt doch nicht, dass wir immer egoistisch unseren Nutzen maximieren wollen!“, heißt es dann oft. Was ist mit Kooperation, mit altruistischem Verhalten? Was ist, wenn wir Geld freiwillig spenden, um einer Sache zu dienen, die uns wichtig ist? Der Mensch ist keine Geldmaximierungsmaschine – ist damit das Konzept vom „homo oeconomicus“ nicht widerlegt?
Nein – das ist bloß ein verbreitetes Missverständnis. Niemand behauptet, der Mensch würde in jeder Situation bloß den eigenen materiellen Besitz optimieren. Es gibt viele Dinge, die uns wichtig sind: Zuneigung, gesellschaftlicher Status, eine gesunde Umwelt – nicht nur unser Kontostand. Jede Kombination dieser Dinge hat für uns einen bestimmten persönlichen Wert, und diesen Wert versucht ein „homo oeconomicus“ zu maximieren – das ist alles.
Was in unserer persönlichen Nutzenfunktion welchen Wert hat, hängt von uns selbst ab. Ein überzeugter Umweltschützer, der an seinem freien Tag Kröten über die Straße trägt, handelt genauso rational als „homo oeconomicus“ wie eine Investmentbankerin. Vermutlich weisen die beiden bestimmten Dingen unterschiedlich viel Wert zu, aber das ist weder unlogisch noch unmathematisch. Das bedeutet: Wie man die mathematischen Methoden der Ökonomie in der Praxis einsetzt, hängt tatsächlich von ideologischen Überzeugungen ab – aber die Methoden selbst können unabhängig von jeder Ideologie nützlich sein.
Auch Psychologie ist nicht unlogisch
Wahr ist auch, dass das Konzept des „homo oeconomicus“ seine Grenzen hat. Aus psychologischen Experimenten weiß man, dass unsere Entscheidungen manchmal davon abhängen, auf welche Weise uns die Optionen präsentiert werden. Die Aussage „Wenn Sie sich zu spät anmelden, wird eine zusätzliche Strafgebühr fällig“ ist logisch betrachtet dasselbe wie „Wenn sie sich früh genug anmelden, bekommen Sie Rabatt“. Menschen reagieren aber unterschiedlich auf diese beiden Aussagen.
Aber das weiß man in der Wirtschaftswissenschaft natürlich. An solchen kuriosen Phänomenen zerbricht die Wirtschaftswissenschaft nicht – im Gegenteil, sie wächst dadurch. Selbstverständlich können auch solche Phänomene wissenschaftlich untersucht und in ein logisches Modell eingefügt werden.
Wer glaubt, in der Ökonomie gehe es bloß um simple Kosten-Nutzen-Rechnungen in Euro oder Dollar, der hat sich geirrt. Man kann sich prinzipiell für alles ein mathematisches Modell ausdenken – für Kooperation oder Konkurrenz, für Altruismus oder Rachsucht. Dafür braucht man manchmal viel kompliziertere Mathematik als wir sie in der Schule gelernt haben, aber es ist möglich.
Die Frage ist am Ende nur, ob das Modell zur Wirklichkeit passt. In manchen Bereichen der Ökonomie ist das ganz sicher so: Wenn man Geld druckt und jedem Menschen eine Million Euro schenkt, wird die Inflation steigen. Das ist unvermeidlich, das hat Naturgesetzcharakter. Andere Phänomene sind schwieriger zu beschreiben – versuchen sollte man es trotzdem.
Politisch verbogene Wissenschaft
Natürlich ist die Ökonomie enger mit Politik und Ideologie verwoben als die Festkörperphysik oder die Quantenchemie. Schon die Auswahl der Forschungsfragen ist eine politisch gefärbte Entscheidung: Untersucht man das Wachstum der Schwerindustrie? Oder soziale Ungleichheit? Oder die Verfügbarkeit von sauberer Umwelt? Aber auch, wenn es hier Meinungsverschiedenheiten gibt, heißt das nicht, dass die Methoden der Wirtschaftswissenschaften falsch sind. Man kann sie eben unterschiedlich anwenden. Wir Menschen sind Akteure, die bestimmte Ziele verfolgen, und das kann man mathematisch beschreiben – das gilt immer.
Manchmal gibt es auch Leute, die ökonomische Formeln mit Gewalt verbiegen, damit ein Ergebnis herauskommt, das ihnen politisch gefällt. Das ist dann schlechte Ökonomie. Das muss man kritisieren, indem man klar sagt, wo der Fehler liegt: Wurde im Modell etwas Wichtiges übersehen? Wurde mit schlechten Daten gearbeitet? Wer solche Fehler findet, stellt damit aber nicht die Ökonomie insgesamt in Frage, sondern verbessert sie. Und genau das muss das Ziel sein: Schlechter Wissenschaft darf man nie Wissenschaftsfeindlichkeit entgegensetzen – sondern bessere Wissenschaft.
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