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© APA/AFP/NICOLAS ASFOURI / NICOLAS ASFOURI

Netzpolitik

"Russland hat als Erster erkannt, dass soziale Netzwerke eine Waffe sein können"

Wo vorher nicht viel mehr als rauchende Schornsteine standen gibt es nun ein neues Weiterbildungszentrum, Sportangebote und auch die Straßen und Bahnverbindungen in die südwalisische Stadt Ebbw Vale wurden ausgebaut. Finanziert wurden die Infrastrukturmaßnahmen von der EU. Dennoch stimmten beim Brexit-Referendum im Jahr 2016 62 Prozent der traditionell der Arbeiterklasse angehörenden Bürger*innen der Kleinstadt für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Die britische Journalistin Carole Cadwalladr, die für den Guardian und den Observer arbeitet, wollte wissen warum und stieß auf die Datenfirma Cambridge Analytica. Die erstellte mit Daten von Facebook Nutzer*innen-Profile, die auch dazu genutzt wurden, um mit gezielter Werbung auf dem Online-Netzwerk Stimmung für den Brexit zu machen.

Mit Botschaften wie "Die Türkei wird der EU beitreten" wurden dabei bewusst Ängste adressiert. Zu sehen waren sie aber nur von Leuten, die aufgrund ihrer Facebook-Nutzerdaten als dafür anfällig identifiziert wurden. In einem TED-Talk bezeichnete Cadwalladr die Vorgänge rund um die Brexit-Abstimmung in Großbritannien 2019 als den "größten Wahlbetrug seit hundert Jahren". Vor kurzem war sie auf der Konferenz Sphere des Cybersicherheitsunternehmen WithSecure in Helsinki zu Gast. Wir haben Sie am Rande der Veranstaltung zum Interview getroffen.

Carole Cadwalladr

futurezone: Was hat sich seit dem Auffliegen des Cambridge-Analytica-Skandals verändert?
Carol Cadwalladr:
Es ist ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass Daten eine Waffe sein können. Sie können missbraucht werden, um Nutzer*innen zu manipulieren. Auch die öffentliche Wahrnehmung von Facebook hat sich radikal verändert. Anfang 2017 galt Mark Zuckerberg fast als potenzieller Präsidentschaftskandidat. Heute haben viele Leute sehr negative Ansichten über Technologieunternehmen.  

An den Praktiken hat sich nichts geändert?
Dass wir jetzt auch besser davor geschützt sind, glaube ich nicht. Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem wir die Probleme sehen. Wir haben aber noch immer keine wirkliche Lösung für sie.

Der Cambridge-Analytica-Skandal hat zu strengeren Vorschriften in Bezug auf politische Werbung in sozialen Netzwerken geführt. Hat das nichts gebracht?
Wir können jetzt zumindest sehen, welche Werbungen auf Facebook ausgespielt werden. Wir wissen aber nicht, wie viel Geld dafür ausgegeben wurde oder auf wen sie abzielen. Wir haben also nach wie vor viele Informationen nicht und das macht uns verwundbar.

Der britische Milliardär Aron Banks, der die Leave-EU-Kampagne finanziert hat, hat Sie wegen ihrer Recherchen persönlich verklagt.
Aaron Banks war von Anfang an Teil meiner Recherchen. Die Brexit-Kampagne hatte enge Verbindungen zu Cambridge Analytica. Ich habe einerseits diese Drohung aufgedeckt, die von Facebook ausgeht, andererseits hatte ich die Last dieser Klage auf meinen Schultern.

Sie haben im Zusammenhang mit den Cambridge-Analytica-Daten auch Verbindungen zu Russland offengelegt.
Russland hat als Erster erkannt, was für eine erstaunliche Waffe soziale Medien sein können. Das hat lange auch niemand bemerkt und selbst jetzt, wo wir wissen, dass solche Dinge passieren, ist es sehr schwer ihnen auf die Spur zu kommen. Die Technologieunternehmen machen noch immer nicht genug, um uns davor zu schützen. Wir wissen, dass es auch andere Staaten und Akteure machen und dass die Techniken viel ausgefeilter geworden sind.

Sie haben auch die Frage gestellt, ob die Demokratie soziale Netzwerke überleben kann?
Die Frage ist, ob Demokratie und Social Media miteinander kompatibel sind. Die Demokratie ist auf eine offene Debatte und eine funktionierende Öffentlichkeit angewiesen und sie ist darauf angewiesen, dass dies durch Gesetze geschützt wird. Aber diese Gesetze funktionieren nicht mehr.

Inwiefern?
Vorschriften zur Wahlkampffinanzierung können leicht unterlaufen werden. Man kann vorgeben, jemand anderer zu sein und so viel ausgeben, wie man will. Und auch die öffentliche Debatte funktioniert nicht mehr, weil sie von Leuten manipuliert und beeinflusst werden kann, die vielleicht nicht einmal aus Ihrem Land kommen. Dazu kommt, dass die Algorithmen auf virale Inhalte optimiert sind und dafür sorgen, dass sich Fake-News und andere fragwürdige Inhalte schnell verbreiten. Sie sind darauf programmiert, Leuten Angst zu machen. Das ist mit einer freien und fairen Wahl nicht vereinbar.

Welche Maßnahmen braucht es, um das unter Kontrolle zu bringen?
In Europa passiert einiges dazu. Aber ich glaube, dass die Monopolnatur der Technologieunternehmen ein zentrales Problem ist. Es würde helfen, wenn man sie aufspaltet. Vieles ist auch nur eine Frage des Geldes. Wenn sie mehr für Content-Moderatoren ausgeben würden, wäre das sicherlich dienlich. Die Sicherheit sollte an erster Stelle stehen.

Welche Rolle spielt der traditionelle Journalismus. Kann er die Leute überhaupt noch erreichen?
Das Problem ist, dass auch das Geschäftsmodell des Journalismus durch die Technologieunternehmen zerstört wurde. Wir wissen, dass es an vielem fehlt. Es gibt kaum noch Lokaljournalismus und es gibt viel zu wenig investigativen Journalismus, der die Machthaber und diese massiven Unternehmen kontrollieren kann.

Sie sind auf Twitter sehr aktiv. Was halten Sie davon, dass Elon Musk den Kurznachrichtendienst übernehmen will?
Das ist wirklich besorgniserregend. Es hat uns allen gut getan, dass Donald Trump nicht mehr auf Twitter war. Das könnte sich jetzt ändern.  

Sehen Sie Alternativen zu Twitter?
Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt. Es hängt auch davon ab, ob solche Alternativen genügend Leute anziehen können. Im Moment ist es noch Twitter. Aber vielleicht zwingt Elon Musk uns ja dazu, Alternativen zu suchen.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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