Illustration zu E-Mail- und Telefonüberwachung
© APA/dpa/Arne Dedert / Arne Dedert

Netzpolitik

EU erlaubt Echtzeit-Überwachung von Chats

Die Mehrheit der EU-Abgeordneten hat der sogenannten ePrivacy-Ausnahme-Verordnung zugestimmt. Diese erlaubt es Anbietern von Mail- oder Messenger-Diensten, private Chat- und E-Mail-Nachrichten in Echtzeit nach verdächtigen Inhalten zu durchsuchen. Zum Einsatz kommen darf dabei auch eine sogenannte „künstliche Intelligenz“, die aber oft fehleranfälliger ist als Menschen. Die Verordnung dient dem Zweck Kinderpornografie zu entdecken und Anbahnungsversuche an Minderjährige ausfindig („Grooming“) zu machen. 

Die Ausnahmeregelung soll bis Ende 2022 gelten, dann soll es einen Entwurf für eine vollständige Verordnung geben. Der Grund für die Ausnahmeregelung ist, dass Anbieter wie Google oder Microsoft bereits bisher verdachtsunabhängig Nachrichten auf Pornografie scannen. Facebook hatte die Praxis ausgesetzt, nachdem es dafür keine Rechtsgrundlage mehr gegeben hat. Diese war vergangenes Jahr weggefallen und 2020 hat die EU-Kommission deshalb eine Übergangsverordnung vorgeschlagen. Durchsucht werden nur nicht verschlüsselte Nachrichten. 

Viele Fehlmeldungen an Polizei

Die verdächtigen Inhalte müssen auch an die Polizei gemeldet werden. Laut Patrick Breyer, EU-Abgeordnete der Piraten und Grünen Fraktion, sind allerdings 86 Prozent der an die Polizei gemeldeten Nachrichten nicht strafrechtlich relevant. „Die Annahme der EU-Verordnung ist ein schwarzer Tag für alle, die auf unbefangene und vertrauliche Kommunikation und Beratung angewiesen sind, wie Missbrauchsopfer und Presseinformanten“, so Breyer.

Auch die frühere Richterin am Europäischen Gerichtshof, Ninon Colneric, hat gewarnt, dass die Verordnung nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Die Grundrechte auf Achtung der Privatsphäre, Datenschutz und freie Meinungsäußerung würden damit unverhältnismäßig verletzt. Breyer plant eine Klage und ist derzeit auf der Suche nach Missbrauchsopfern, die als Beschwerde mittragen würden.  „Missbrauchsopfern schadet eine verdachtslose Nachrichtendurchleuchtung besonders“, so Breyer. „Gerade Betroffene sexualisierter Gewalt sind auf die Möglichkeit angewiesen, sicher und vertraulich kommunizieren zu können. Diese sicheren Räume werden ihnen nun durch die Chatkontrolle genommen. Das kann Opfer davon abhalten, Hilfe und Unterstützung zu suchen“, sagt Breyer.

Kriminelle weichen aus

Kritik kommt auch von der österreichischen Bürgerrechtsorganisation epicenter.works. "Wir zweifeln an der Zweckmäßigkeit der Ausnahme und halten diese für unverhältnismäßig“, heißt es auf futurezone-Anfrage. Man würde das angestrebte Ziel, Kinder zu schützen, verfehlen, weil die Täter*innen stattdessen auf andere Kommunikationsplattformen ausweichen würden. „Kriminelle könnten weiterhin unbeobachtete Kommunikationswerkzeuge verwenden, während die Kommunikation auf den gängigsten Plattformen durchleuchtet wird. Alle Bürger*innen unter Generalverdacht zu stellen, um Straftaten aufzuklären, kann nicht der richtige Zugang sein", so die Kritik. 

Laut Breyer wäre der richtige Ansatz stattdessen verstärkt verdeckte Ermittlungen in Kinderporno-Ringen durchzuführen. 

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

mehr lesen
Barbara Wimmer

Kommentare