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Netzpolitik

EU-Kommissarin Vestager: „Wir wollen Europa nicht zu China machen“

Am Mittwoch hatte die EU-Kommission neue Regeln für künstliche Intelligenz (KI) vorgestellt. „Das EU-Gesetzesvorhaben ist das erste seiner Art, das KI reguliert. Wir müssen KI vertrauen können und dazu müssen wir die Risiken eingrenzen, die damit einhergehen“, sagt die EU-Vizepräsidentin und Digitalkommissarin Margrethe Vestager am Donnerstag beim virtuellen Club-Talk des österreichischen Presseclubs Concordia vor Journalisten, Anwälten und EU-Parlamentariern. „Außerdem ist es wichtig, dass wir die Werte von Europa festschreiben, denn ich möchte Europa nicht zu China machen“, sagt Vestager.

Die Anspielung gilt dem dortigen „Social Credit“-System, das mit dem Gesetzesvorschlag der EU in Europa verhindert werden soll. Das System in China sieht vor, regelkonformes Verhalten zu belohnen und Fehlverhalten zu bestrafen. „Ich möchte keine Bestrafung einführen, wenn jemand etwas zu spät zahlt, und ihn dann von diversen Services ausschließen“, so Vestager.

Margrethe Vestager beim Club Talk des Concordia Presseclubs

Gesichtserkennung an öffentlichen Plätzen

Eines der bereits im Vorfeld der Regulierung umstrittensten Themen des KI-Gesetzesentwurfs ist der Einsatz von Biometrie und Gesichtserkennung an öffentlichen Orten. Im Vorschlag der EU-Kommission ist ein Verbot vorgesehen, es wurden aber auch einige Ausnahmen definiert. Dazu zählen etwa die Festnahme, Identifizierung und Suche nach Straftätern und Verdächtigen bei allen Straftaten, für die eine maximale Haftstrafe von wenigstens drei Jahren vorgesehen ist. Doch auch vermisste Kinder sollen gesucht und Terrorismus soll durch den Einsatz der Technologie an öffentlichen Orten verhindert werden dürfen.

Bürgerrechtsorganisationen, die Arbeiterkammer und zahlreiche Europäer, die die Petition „Reclaim your Face“ unterzeichnet haben, fordern allerdings ein gänzliches Verbot der Technologie an öffentlichen Plätzen. Terrorismus werde nicht selten als Ausrede herangezogen, um mehr Massenüberwachung einzuführen, so der Tenor. 

Starke Schranken gegen Schlupflöcher

Die futurezone fragte die EU-Kommissarin daher, wie derartiges verhindert werden könne. Vestager antwortete: „Wir haben darüber intern sehr lange diskutiert, bevor wir den Entwurf veröffentlicht haben. Es war eine intensive Diskussion“, so die Kommissarin. „Wir haben uns dann dafür entschieden, sämtliche biometrische Echtzeiterfassung zu verbieten, also auch das Tracking, wie jemand läuft, oder aufzunehmen, ob jemand an einem bestimmten Ort gerade spricht“, erklärt die Digitalkommissarin.

Damit es zu keinem Schlupfloch kommen könne, habe man die Grenzen äußerst eng geschnürt. „Bei Terrorismus gilt die Ausnahme nur, wenn man einen speziellen Terroristen sucht und das muss dann auch ein Gericht genehmigen“, sagt Vestager. „Der Eingriff muss verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass die Echtzeit-Überwachung nicht die ganze Zeit bleiben darf, sondern nur für ein spezifisches Zeitfenster und auch nicht generell dann gilt, wenn Terrorangst herrscht.“ Mit diesen Schranken sei man sich sicher, dass es zu keiner überschießenden Nutzung der Technologie kommen könne. „Außerdem gilt die Datenschutzgrundverordnung für alle anderen Menschen nach wie vor. Behörden können das Material nicht für die Ewigkeit speichern.“

Für die Zukunft gerüstet

Die Regeln für KI sollen auch Europas Wirtschaftsstandort stärken, weil Firmen und Behörden mit den Regeln Klarheit darüber bekommen, was für sie künftig erlaubt ist und was nicht, so die EU-Kommissarin. Vestager hofft, dass gerade der öffentliche Bereich jetzt einige der „harmlosen“ KI-Systeme einsetzen wird, damit kleinere und mittlere Unternehmen nachziehen werden. „Die orientieren sich häufig an dem, was die Verwaltung tut“, erklärt Vestager auf eine Frage von Universitätsprofessor Nikolaus Forgo.

Die neuen Regeln sollen außerdem so gestaltet sein, dass diese auch dann gelten, wenn neue Technologien dazu kommen. „Wir haben manche Formulierungen absichtlich relativ vage gehalten, damit auch neue Technologien davon erfasst sein können und sich Entwickler schon bei der Planung daran orientieren können, ob ihr Produkt diesen Vorgaben entspricht, oder nicht“, sagt Vestager.

Technologie wird vieles selbst lösen

Vestager selbst meinte - vielleicht auch ironisch -, gerne Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) durchzulesen, bevor sie Websites besucht. „Manchmal vergesse ich dann auch, warum ich eigentlich auf diese Seite wollte“, sagt sie. Doch sie verstehe, dass man nicht immer AGB lesen könne, bevor man einen Dienst aufrufe. „Auch das wird Technologie einmal für uns lösen“, beruhigt sie.

Als Beispiel nennt sie Apples neue Tracking-Initiative. App-Anbieter müssen bei den Nutzern die Erlaubnis einholen, bevor sie deren Daten über ihre App und über die Website anderer Unternehmen hinweg verfolgen. Das würde mit einer simplen Frage passieren: „Erlaubst du dieser App, deine Daten zu nutzen?“, so Vestager: „Und genau solche Lösungen brauchen wir. Der Einsatz von Technologie muss immer auf fairen Bedingungen beruhen.“

Zudem kündigte Vestager an, dass man in der EU an einer Lösung für Gesundheitsdaten arbeite, denn in der Covid-19-Pandemie habe man gelernt, wie wichtig Daten sein. Nähere Infos oder einen Zeithorizont gab es dazu allerdings noch keine.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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