TrapWire: Wikileaks schürt Überwachungsängste
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Vor allem in den USA ist die Aufregung groß: TrapWire, eine Überwachungs-Software, die frühzeitig die Planung von Terrorattacken erkennen können soll, soll den Wikileaks-Informationen zufolge in Großstädten in den USA und Großbritannien zum Einsatz kommen. In Las Vegas sollen Hotels und Casinos damit ausgerüstet sein, in New York 500 Überwachungs-Kameras im U-Bahn-Netz. Auch die Londoner Downing Street, offizieller Amts- und Wohnsitz des britischen Premierministers, soll mit TrapWire kontrolliert werden. Um das System in Seattle und Washington DC zu installieren, nahm das US-Heimatschutzministerium insgesamt 832.000 Dollar in die Hand.
Video-Analyse gegen Terror
TrapWire arbeitet auf Basis von Überwachungsvideos und soll verdächtige Bewegungen (z.B. eine Person, die ein Paket vor einer Militärstützpunkt liegen lässt) erkennen und Alarm schlagen. In Los Angeles soll 2010 ein Anschlag dank der Software verhindert worden sein. Was derzeit viele Netzaktivisten, Bürgerrechtler und Datenschützer besonders aufregt: TrapWire soll die Datenbanken der verschiedenen Städte miteinander vernetzen können und nicht nur gegen Terroristen, sondern auch gegen Kleinkriminelle oder Demonstranten ins Feld geführt werden - für Kritiker ein scharfer Eingriff in die Privatsphäre.
Dass die Hersteller-Firma von TrapWire, 2004 als Abraxas Applications gegründet und heute unter TrapWire Inc. laufend, von ehemaligen hochrangigen CIA-Mitarbeitern betrieben wird, hat die Ängste vor einer geheimen Totalüberwachung zusätzlich geschürt.
Spektakuläre Umstände
Wie die Informationen ans Tageslicht kamen, klingt ebenfalls spektakulär: WikiLeaks bekam Ende 2011 von Anonymous-Hackern etwa fünf Millionen interne E-Mails des US-Think-Tanks Strategic Forecast (kurz Stratfor) zugespielt, die ein sehr schiefes Licht auf die geheimdienstlichen Praktiken der Privatfirma aus Texas warfen. Nun wollte WikiLeaks speziell auf TrapWire bezogene E-Mails veröffentlichen und wurde plötzlich von einer anonymen Gruppe namens AntiLeaks im Netz angegriffen. Mit DDoS-Attacken mit bis zu 10 Gigabit eingehenden Datenvolumen pro Sekunde wurden die Wikileaks-Server bombardiert und schließlich in die Knie gezwungen - offensichtlich, um die TrapWire-Enthüllungen zu unterdrücken.
Dass es sich bei AntiLeaks einfach nur um junge patriotische US-Amerikaner handelte, die sich angeblich am “Terroristen” Julian Assange rächten, wollten viele WikiLeaks-Unterstützer angesichts des eine Woche langen massiven Angriffs nicht glauben. Seit Dienstag ist www.wikileaks.org wieder wie gewohnt erreichbar - die Whistleblower-Plattform ist auf den Anbieter CloudFlare ausgewichen.
Veraltete Informationen
Die mediale Aufmerksamkeit für die Stratfor-E-Mails war also spätestens Anfang dieser Woche voll da. Vor allem aus der elektronischen Post von Stratfor-Chef Fred Burton, der unter anderem mit TrapWire-Mitarbeiter Michael Maness kommunizierte, wurden die brisanten Details über die Überwachungs-Software herausgelesen. Dass Stratfor-Mitarbeiter die Funktionen der TrapWire-Software oft bejubelten, hat wohl vor allem damit zu tun, dass sie eine Provision von 8 Prozent bekommen sollten, wenn sie die Lösung der Regierung von Texas schmackhaft machen würden.
Wie effizient TrapWire tatsächlich ist, ist derweil zu hinterfragen: Der New York Times zufolge sollen Seattle und Washington DC das Projekt wieder abgebrochen haben, und die New Yorker Polizei bestreitet überhaupt den Einsatz von TrapWire. Das ist wenig überraschend: Denn seit kurzem ist im Big Apple offiziell das “Domain Awareness System” im Einsatz, mit dem Videodaten von 3000 Kameras “live” auf Anschlagsszenarien oder kriminelle Taten analysiert werden können (
Dass TrapWire gerade jetzt als neuer großer Feind der Privatsphäre und als Beleg für die staatliche Totalüberwachung herhalten muss, hat vor allem mit den besonderen Umständen zu tun. Stratfor-Chef Fred Burton dürfte bereits im Oktober 2010 in einem Blog-Eintrag auf Posterous (mittlerweile von Twitter aufgekauft) über den TrapWire-Einsatz geschrieben haben, was damals offensichtlich nur wenige Hundert Leser interessiert hat. 2011 hat die Polizei-Chefin von Washington DC außerdem bereits bei einer Anhörung im US-Repräsentantenhaus vom TrapWire-Einsatz berichtet, und in einem Bericht des US-Justizministeriums von 2010 wird die TrapWire-Installation in Las Vegas erwähnt - eine große Neuigkeit ist die Überwachungs-Software also nicht.
WikiLeaks fährt Kampagne
Die aktuelle Diskussion über TrapWire ist also hauptsächlich WikiLeaks zu verdanken. Assange und Co. haben neue Aufmerksamkeit auf eine eigentlich alte Story gelenkt - noch dazu auf eine, die teilweise nicht mehr aktuell ist und eine Software zum Thema hat, die schon von anderen überholt wurde, wie das New Yorker Beispiel zeigt. “WikiLeaks wird zunehmend zu einem Greenpeace für digitale Bürgerrechte”, sagt der Medienwissenschaftler Felix Stalder, der am Buch “WikiLeaks und die Folgen” mitgeschrieben hat. “Weil der anonyme Upload nicht mehr funktioniert und die Infrastruktur nur schwer aufrechtzuerhalten ist, hat WikiLeaks nicht mehr so viele neue Enthüllungen wie früher.” Stattdessen würde sich die Whistleblower-Plattform immer mehr zur Kampagnen-Seite entwickeln, die Themen, die einem kleine Kreis bereits bekannt sind, für die breite Masse aufbereitet. “WikiLeaks wird zu einem Aufmerksamkeits-Generator.”
Diese frische Aufmerksamkeit rund um WikiLeaks kann die Plattform derzeit auch gut gebrauchen. Sie ruft derzeit zu 2,7 Millionen Dollar Spenden auf, um die Gerichtskosten von Julian Assange (er kämpft derzeit für Asyl in Ecuador), neue Kampagnen, Mitarbeitergehälter und Ausgaben für die Sicherheit bezahlen zu können. WikiLeaks hat also nicht nur neues Licht auf eine Spionage-Software in Staatsdiensten geworfen, sondern konnte sich selbst auch wieder ein wenig ins Rampenlicht rücken.
Anmerkung: Anfragen der futurezone an Wikileaks-Sprecher Kristinn Hafrnsson und sowie an TrapWire blieben bis dato unbeantwortet.
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