Für Twitter zahlen: Wieso Elon Musks Argumente hinken
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Der Multimilliardär Elon Musk will aus der Online-Plattform Twitter (X) eine kostenpflichtige Plattform machen. Musk hat in einem Gespräch mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu angekündigt, dass die Nutzung von Twitter künftig nur noch gegen eine „kleine, monatliche Gebühr“ möglich sein soll. So möchte Musk sogenannte „Bot“-Konten bekämpfen. Das sind Konten, die nicht von menschlichen Nutzer*innen erstellt und betrieben werden, sondern von automatisierten Computerprogrammen. Musk sagt: „Das ist die einzige Art und Weise, die mir einfällt, um gegen riesige Bot-Armeen vorzugehen."
"Geld ist keine grundsätzliche Hürde"
Der Social-Media-Experte und Analyst Luca Hammer, der sich jahrelang mit Bots auf Twitter beschäftigt, aber die Plattform mittlerweile verlassen hat, erklärt dazu im Gespräch mit der futurezone: „Bots haben schon immer etwas gekostet. Entweder Zeit, wenn man sie selbst programmiert, oder Geld, wenn man jemand anderen damit beauftragt. Auch die Accounts selbst mussten bisher schon erstellt oder gekauft werden. Geld ist daher keine grundsätzliche Hürde, wenn es um Bots geht“, so Hammer.
Wenn jede*r Nutzer*in „ein paar Dollar“ fürs Konto zahlen würde, würden die Kosten für Bot-Betreiber steigen und diese obsolet machen, erklärt Musk. „Und dann muss man auch noch jedes Mal eine neue Zahlungsmethode finden, wenn man einen neuen Bot hat", erklärt Musk im Gespräch mit Netanjahu. Auf gut Deutsch: Für jeden neuen Account bräuchte es eine neue Kreditkarte oder andere autorisierte Zahlungsmethode.
„Durch virtuelle Kreditkarten, die teilweise von den Nutzer*innen selbst erstellt werden können, ist auch das Argument, durch die Limitierung einer bestimmten Anzahl an Accounts je Zahlungsmittel hinfällig“, so Hammer. „Es wird daher entscheidend sein, ob Botbetreiber*innen die Kosten höher einschätzen als den Nutzen. Für politische Kampagnen dürfte die Grenze dafür sehr hoch sein, für Scam-Bots hingegen niedriger“, sagt der Social-Media-Experte.
➤ Mehr lesen: Elon Musk nimmt Twitter-Nutzer seinen X-Account weg
Mehr Spam in Direktnachrichten
Tatsächlich ist es Musk, seit er die Plattform vor rund einem Jahr für 44 Milliarden US-Dollar gekauft hatte, immer wieder ein großes Anliegen gewesen, automatisierte Bot-Konten zurückzudrängen. Im Übernahme-Verfahren hat Musk dann dem ehemaligen Twitter-Besitzer vorgeworfen, diesbezüglich Zahlen zu den „echten“ Nutzer*innen gefälscht zu haben und wollte die zuvor ausgehandelte Kaufsumme reduzieren. Das ist ihm allerdings nicht gelungen.
Seit der Tesla- und SpaceX-Besitzer die Plattform übernommen hat, ist die Zahl der Bot-Accounts allerdings nicht geschrumpft, sondern das Problem wurde wesentlich sichtbarer als zuvor. Plötzlich landeten nämlich zahlreiche Spam-Nachrichten auch in den privaten Postfächern der Nutzer*innen.
Von gefälschten Job-Angeboten mit Riesen-Einkommen bis zu Fake-Angeboten für Investments landete in den digitalen Postfächern jede Menge „Mist“. Das Ganze hatte auch einen Grund. Musk entließ nämlich Tausende Beschäftigte, die sich davor etwa um die Inhalte-Moderation und Anti-Spam-Maßnahmen gekümmert hatten, um die Postfächer vor solchen Inhalten zu schützen. Von 8.000 Beschäftigten sind jetzt aber nur noch weniger als 1.000 übrig, die für die Social-Media-Firma arbeiten.
➤ Mehr lesen: Musk feuert öffentlich Mitarbeiter, der ihm auf Twitter widerspricht
Werbekunden springen ab
Derartige Spam-Nachrichten in den privaten Postfächern und unmoderierte Inhalte im Feed störten nicht nur zahlreiche Nutzer*innen, sondern sorgt auch bei Werbekunden für Irritation. Diese haben Twitter zuletzt zahlreich den Rücken gekehrt, weil ihre Werbungen im Umfeld von rassistischen und antisemitischen Beiträgen angezeigt worden waren. Denn seit der Übernahme von Musk sind derartige Beiträge explosionsartig angestiegen. Jene Forscher*innen, die auf das Problem aufmerksam machten, hat Musk übrigens verklagt.
➤ Mehr lesen: Twitter hat rund 50 Prozent weniger Werbeeinnahmen
Auch beim Gespräch mit Israels Regierungschef Netanjahu war es um die Frage des Antisemitismus gegangen. Die Anti Defamation League (ADL) warf Musk unlängst vor, zu wenig gegen antisemitische Inhalte auf der Plattform zu tun und diesen sogar Vorschub zu leisten. Musk hatte die Organisation daraufhin für Einnahmeverluste verantwortlich gemacht. Musk selbst heizte außerdem eine Verschwörungstheorie rund um den jüdischen Milliardär George Soros an, der regelmäßig Ziel von antisemitischen Angriffen ist.
Twitter wird an Relevanz verlieren
Doch ist eine Bezahlschranke auf Twitter wirklich die Lösung, um diese Probleme in den Griff zu kriegen? Musk riskiert damit auf jeden Fall viel. Denn nicht nur Bots werden mit einer Bezahlschranke die Plattform verlassen, sondern auch zahlreiche Nutzer*innen, die es sich nicht leisten können oder wollen, auf einer kostenpflichtigen Plattform zu bleiben, die wenig dafür tut, einen geschützten Raum für einen Diskurs zu schaffen. Das wiederum wird die Werbeeinnahmen weiter sinken lassen, denn diese hängen von der Zahl der aktiven Nutzer*innen ab.
„Ich begrüße den Schritt, alle Accounts kostenpflichtig zu machen, weil es alle Nutzer*innen dazu zwingt, sich zu überlegen, ob sie nicht nur moralisch, sondern auch finanziell die Kosten tragen wollen. Für die meisten wird die Entscheidung einfach sein und sie werden die Plattform verlassen. Damit reduziert sich die Relevanz der Plattform und somit verschiebt sich die Kosten/Nutzen-Rechnung für Botbetreiber*innen. Somit wird eine Bezahlschranke am Ende zu weniger Bots führen. Aber nicht, weil Botbetreiber*innen es sich nicht leisten können, sondern weil die Plattform nicht mehr relevant sein wird“, analysiert Hammer.
Im Vorfeld der Übernahme hatte Musk außerdem angekündigt: „Wenn die Twitter-Übernahme gelingt, werde ich Spam-Bots besiegen oder dabei untergehen, dies zu versuchen.“ Ein Bezahl-Abo für alle könnte tatsächlich dazu führen, dass eine dieser beiden Vorhersagen eintreffen wird.
Kommentare