Netzpolitik

Wien plant eigene Lösung für digitale Gästelisten

Wien und Niederösterreich bitten die Gäste von Restaurants seit kurzem zur Rückverfolgung von Infektionsketten, ihre Kontaktdaten bekannt zu geben. Seither schießen immer mehr digitale Lösungen zur Gästelisten-Registrierung aus dem Boden.

Die Wiener Wirtschaftskammer (WKW) will am Dienstag im Rathaus jetzt eine zentrale digitale Gästelistenlösung für Gastronomen vorstellen, wie Peter Dobcak von der Gastrosparte der Wirtschaftskammer Wien im Gespräch mit der futurezone, erwähnt. Die Stadt Wien lädt offiziell zu einer Pressekonferenz, um den „nächsten Schritt zur Unterstützung der von Corona hart getroffenen Gastronomie- und Kaffeehaus-Branche“ vorzustellen. Update: Laut der Stadt Wien präsentiert die Stadt dabei die Bilanz des Gastrogutscheins, die WKW stellt eine digitale Gästelistenlösung vor. Die Stadt selbst darf aus Vergabegründen keine eigene, digitale Lösung umsetzen, "begrüßt" aber die Initiative der WKW.

Die digitale Lösung wurde von wien-ticket entwickelt und soll Gastronomen Mitte Oktober kostenlos zur Verfügung stehen.

WKO sieht Vorteile

Dobcak begrüßt eine „zentrale digitale Lösung“ aus einem einfachen Grund: Man müsse sich als Gast nicht jedes Mal, wenn man ins Wirtshaus geht, extra registrieren, sondern nur einmal. In weiterer Folge muss man als Gast nur noch den QR-Code vor Ort einscannen und keine weiteren Daten mehr eingeben. Der individuelle QR-Code steht dabei direkt auf den Tischen, die Gäste müssen diesen nur noch per Smartphone einscannen.

Weitere Vorteile aus Dobcaks Sicht: „Damit erspart man sich die Diskussion mit Gästen, dass Kellner sich Nummern speichern oder abschreiben. Weder Gastronomen noch Mitarbeiter haben Zugriff auf die Daten“, sagt Dobcak. Die Daten würden ausschließlich im Fall des behördlichen Contact-Tracings den Gesundheitsbehörden zur Verfügung gestellt.

Das sei für ihn generell ein großer Vorteil von einer digitalen Registrierung. Allerdings gebe es derzeit bereits zahlreiche Insellösungen, besser sei eine wienweite Lösung, so der WKO-Fachbereichsobmann. Diese wird von einer bekannten Wiener Firma entwickelt.

Umweltfreundlich und Server in der EU

Zahlreiche Unternehmen haben den Wiener Gastronomen bereits in den vergangenen zwei Wochen gegen eine Gebühr digitale Lösungen angeboten, darunter auch die beiden Telekomriesen A1 und Magenta. Bei diesen Anbietern werden die Daten nach 28 Tagen automatisiert gelöscht. Die Lösung sei „sofort einsatzbereit“, heißt es seitens Magenta, und „umweltfreundlich“, weil weniger Papier verbraucht werde. A1 gibt an, dass die Daten auf Servern innerhalb der EU gespeichert werden und über ein Portal exportiert werden können, wenn die Behörde eine Beauskunftung verlangt. Denn, wenn es zum behördlichen Contact-Tracing kommt, ist am Ende noch immer der Gastronom dafür verantwortlich, die Daten herauszurücken.

Gastronomiebetriebe können Nutzern mit digitalen Lösungen auch die Möglichkeit geben, sich für den Newsletter anzumelden. Dieses Feature hat etwa A1 im Angebot. „Aus Datenschutzsicht ist dies erlaubt, sofern es dazu keine Voreinstellung in der App gibt und Nutzer sich freiwillig dazu entscheiden“, erklärt Georg Markus Kainz, Datenschützer vom Verein quintessenz. „Verboten wäre diese Methode allerdings, wenn das Häkchen bereits aktiviert ist und Nutzer es wegklicken müssten“, so Kainz. Hier bestehe ein Kopplungsverbot in der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Ausgehverhalten erfassbar

Der Datenschützer ist zudem kein Freund von digitalen Lösungen. Er selbst nehme bei einem Wirtshaus-Besuch kein Smartphone mit. Die digitale Registrierung würde das Tor öffnen, um ausführliche Profile einer Person anzulegen, so Kainz. „Mit einer zentralen Lösung kann das Ausgehverhalten einer Person theoretisch detailliert analysiert werden. Das ist problematisch. Eine zentrale Datensammlung ist für Cyberkriminelle außerdem viel attraktiver als einzelne, dezentrale Lösungen“, sagt Kainz. In Deutschland wurde etwa bereits eine digitale Gästelistenregistrierung der Firma Gastronovi gehackt – auch österreichische Kunden, die in Deutschland Restaurants besucht hatten, waren vom Datenleck betroffen.

„Eine Datensammlung an einer zentralen Stelle weckt Interessen und Begehrlichkeiten, darauf zuzugreifen“, sagt auch Thomas Lohninger, Geschäftsführer der Bürgerrechtsorganisation epicenter.works. Er tendiere generell eher zu „papierbasierten Lösungen“, weil man da etwas weniger falsch machen könne.

Generell müsse man bei digitalen Lösungen, vieles bedenken, so Lohninger. Er sehe aber auch das Bemühen einiger Anbieter, datenschutzkonforme und sichere Lösungen gestalten zu wollen. Die Daten müssen dabei auf jeden Fall auf Servern in Europa gespeichert werden. „Außerdem kommt es auf die richtige Verschlüsselung der Daten an.“ Gegenüber einer zentralen Lösung zeigt sich auch Lohninger äußerst skeptisch. „Wenn eine Software direkt von offizieller Stelle eingesetzt wird, muss die Lösung unbedingt Open Source sein“, so der Experte.

Stopp Corona App ist anonym

Neben den digitalen Gästelisten gibt es in Österreich auch noch die Stopp-Corona-App, eine dezentrale anonyme Lösung zum Contact Tracing. Diese schneidet bei Datenschützern von epicenter.works und Sicherheitsforschern der Firma SBA Research gut ab. Wer die App installiert hat, wird automatisch gewarnt, wenn eine Kontaktperson eine COVID-19-Infektion bekannt gibt.

Die App wurde bereits mehr als 1 Million Mal runtergeladen, wie das Rote Kreuz am Montag bekannt gab. Seit Juni wurden rund 1.800 Fälle über die App gemeldet, darunter 335 bestätigte COVID-19-Positive und 1.476 Verdachtsfälle.

Wird jemand positiv auf COVID-19 getestet, kann er dies in der App eintragen. Laut dem Roten Kreuz wird in Folge innerhalb einer Stunde eine rote Warnung verschickt und Nutzer, die in der Nähe der Person waren, erhalten eine Aufforderung, sich freiwillig in Quarantäne zu begeben. Die Stopp-Corona-App ist allerdings keine Alternative für die digitale Gästelistenlösung. Es werden von der App keine Kontaktdaten erfasst - die offizielle Behörde kann mit Hilfe dieser App niemanden über eine COVID-19-Infektion informieren, das müssen die Nutzer selbst tun.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

mehr lesen
Barbara Wimmer

Kommentare