Microsoft Bing mit ChatGPT im Test: Inspiration statt harte Fakten
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Quasi über Nacht hat es Microsoft geschafft, seine belächelte Suchmaschine Bing wieder auf den Plan zu bringen. Mit einer gelungenen Ankündigung stellten sie eine KI-basierte Version ihrer Suchmaschine vor und brachten Google mit einem funktionierenden Prototyp zumindest kurzzeitig ins Schwitzen (mehr dazu hier). Entwickelt wurde sie zusammen mit OpenAI, basierend auf deren gehyptem ChatGPT.
Inzwischen können immer mehr Menschen, die sich auf die Warteliste setzen ließen, die Testversion verwenden. Ich bin eine davon und in meinem Test zeigt sich: Das Ergebnis ist faszinierend und ernüchternd zugleich.
Als ich meinen Test begonnen habe, hat Microsoft seine Suchmaschine bereits "gezügelt". Nachdem übereifrige Journalist*innen stundenlange Unterhaltungen mit Bing geführt hatten und die KI damit in die Knie zwangen, beschränkte das Unternehmen die Zahl der Anfragen. So will man sichergehen, dass Suchanfragen inhaltlich abgeschlossen sind und nicht mehrere verschiedene Anfragen gleichzeitig offen sind.
Die Beschränkung bedeutet, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Tests noch insgesamt 9 Fragen pro Chat erlaubt sind. Das reicht allerdings auch aus, wenn man die Suchmaschine produktiv und nicht nur zum Spaß nutzen möchte.
Das neue Bing sieht zunächst einmal aus wie das alte: Eine Suchmaschine, die eine Linkliste für Anfragen liefert. Allerdings lädt bereits das Start-Suchfenster dazu ein, Fragen auszuformulieren. Dort steht "Fragen Sie mich etwas..." und die Zeichenzahl von üppigen 1.000 Anschlägen suggeriert, hier Anliegen auszuformulieren.
Kontext ist King
Ich starte mit der Frage: "Kann ich heute Abend in Wien den Sternenhimmel sehen?" Bing leitet mich zur normalen Suche weiter und liefert wie gehabt eine Linkliste. Zusätzlich öffnet sich aber ein Chat-Fenster rechts neben den Suchergebnissen. Hier antwortet die KI auf meine Frage. Klicke ich darauf oder auf den Reiter "Chat", schiebt sich das Bild nach oben und ich wechsle von der Suchansicht zur Chat-Ansicht.
Hier wird mir eine Antwort zusammengefasst, die Bing aus Suchergebnissen generiert hat. Dafür gibt es neuerdings 3 mögliche Arten für die Konversation: "Kreativ", "Ausgewogen" und "Genau". Das soll der KI dabei helfen, den Kontext der Suche noch besser zu verstehen, z.B. ob man nach Ideen oder Fakten sucht.
Die Antworten unterscheiden sich vor allem darin, wie ausführlich sie sind. Wirklich nachvollziehbar ist diese Unterscheidung derzeit nicht. Will man etwas "Genau" wissen, fehlen wichtige Informationen, weil die Antwort einfach nur reduziert wurde.
Diskussionen über Elon Musk
Fragt man etwa "Wer ist Elon Musk?" verrät die KI zwar immer, wann und wo er geboren ist und welche Staatsbürgerschaften er hat. Um zu erfahren, dass er CEO von Starlink, Tesla, Neuralink und The Boring Company ist muss man mindestens "Ausgewogen" wählen. Im Kreativmodus erfährt man außerdem, dass er gerne twittert.
4 Bilder
Die KI ist dann eine Hilfe, wenn man eine grundlegende Ahnung vom Verwenden von Suchmaschinen und von Quellenanalyse hat. Bing zeigt an, welche Suchbegriffe es zum Generieren der Antwort verwendet. Ich weiß meist schon anhand der Keywords, ob das was wird - oder eben nicht.
Praktisch ist, dass Bing alle Aussagen mit einem Link belegt. Sie sind nummeriert, bzw. als "Ad" (engl. Werbung) gekennzeichnet, wenn der Link von einer Werbeanzeige stammt. So sieht man auch schnell, ob die Informationen aktuell sind. Häufig gibt Bing nämlich veraltete Informationen wieder.
Fragt man etwa weiter, welches Verhältnis Musk zu Twitter hat, wird dort nicht erwähnt, dass Musk inzwischen CEO des Unternehmens ist, sondern es heißt lediglich, dass er "kürzlich den neuen CEO von Twitter" lobte. Basis dafür ist ein Tweet von Musk. Dass Musk der CEO von Twitter ist, wollte mir Bing erst nicht glauben, korrigierte sich dann aber nach expliziter Aufforderung.
Schlechte Bilanz bei aktuellen Fakten
Fragt man etwa, wann der Vulkan Ätna das letzte Mal ausgebrochen ist, kommt erst eine Info von April vergangenen Jahres. Auf Nachfrage kam dann, er sei am 31. März 2023 ausgebrochen. Nach einigem hin- und herdiskutieren sah Bing dann ein, dass das nicht sein kann und korrigierte sich auf 31. Jänner - das korrekte Datum.
Die Bilanz beim Abfragen aktueller Fakten ist also schlecht. Desto genauer man Bing fragt, desto besser wird die Antwort. Allerdings sollte man jede Antwort mit großer Skepsis betrachten. Auch wenn ständig nachgebessert wird und die KI schnell dazulernt - es bleibt ein Programm, das nicht erfassen kann, ob eine Information glaubwürdig ist. Sie kann aus einem Pool an Quellen wählen, die bestimmte Parameter für Glaubhaftigkeit erfüllen, aber sie gleicht diese Informationen nicht mit alternativen Quellen ab.
Copilot fürs Internet
Nun ist aber die Frage, ob Bing überhaupt solche Informationen wiedergeben muss, die man mit ein paar Klicks einfach selbst herausfinden kann. Oder ob die Suchmaschine, die als "Copilot" beschrieben wird, nicht eine ganz andere Funktion haben wird. Nämlich, wie der Name schon sagt, eine Unterstützung sein soll.
Am deutlichsten könnte sich das bei der Integration in Microsofts Browser Edge zeigen. In der Seitenleiste findet man dann "Discover". Klickt man darauf, erhält man einerseits Daten zur Webseite wie die Abrufzahlen. Andererseits werden bei einigen Seiten die Inhalte zusammengefasst und vorgegebene Fragen beantwortet.
Zukünftig sollte man hier auch gezielt nach Informationen suchen können. Wenn ich mir etwa den fast 2.000 Seiten langen IPCC-Klimareport anschaue, dann sollte mir die KI die wichtigsten Inhalte zusammenfassen oder bestimmte Teile heraussuchen können und mir damit viel Zeit sparen. Bisher ist das aber noch nicht möglich, zumindest während meiner Testphase.
Wochenendtrip-Ideen
Der Chatbot selbst funktioniert dann am besten, wenn er mir Inspiration geben soll. Microsoft zeigt das auch in den eigenen Vorschlägen: "Was kann ich für meine veganen Freunde kochen?" oder "Wohin könnte ich am Wochenende einen Ausflug machen?". Wenn ich dazu jeweils noch genauere Beschreibungen gebe, etwa wo der Ausflug starten wird, bekomme ich Vorschläge: in den Naturpark Föhrenberge fahren, Schloss Hof besuchen oder nach Hallstatt fahren.
Hier kommt es zu Problemen, weil Bing mir nicht ganz folgen kann. Wenn ich weiterschreibe, ich möchte über Nacht bleiben, versteht die KI, ich möchte in Wien übernachten und liefert mir Hotelvorschläge. Das muss ich dann noch einmal explizit korrigieren, damit ich Tipps für Amsterdam, Salzburg und Bratislava erhalte.
Brainstorming
Soll ich über ein bestimmtes Thema schreiben, kann ich Bing fragen, welche Aspekte hier wichtig sind. Nehmen wir mal an, ich möchte einen Artikel über Wifi 6E schreiben, wie vergangene Woche (hier). Hätte ich Bing gefragt, welche Aspekte ich berücksichtigen könnte, hätte es vorgeschlagen einen Vergleich zu Wifi 6 zu machen, technische Anforderungen für Nutzer*innen, die politische Regelung in verschiedenen Ländern und mögliche Anwendungsbereiche einzubringen. Das sind alles Themen, die ich tatsächlich behandelt habe.
In einem anderen Versuch habe ich Bing gefragt, wie ich meinen Charakter in Hogwarts Legacy nennen soll, ein Spiel im Harry-Potter-Universum. Daraufhin gab mir Bing eine lange Liste an möglichen Namen. Zudem erklärt mir die KI, dass viele Namen aus dem Lateinischen abgeleitet werden und auf Natur, Elemente, Sterne und Tiere bezogen sind. Das macht die Namensfindung einfach und anschaulich.
Fazit
Bing könnte mir also zu jedem Thema Ideen geben, die ich dann ausarbeiten kann. Und hier steckt aktuell der größte Mehrwert. Gerade, wenn man viel allein arbeitet oder einem bei der Wochenendplanung nichts mehr einfällt, kann man sich Inspiration holen. Manchmal reicht schon ein kleiner Nebensatz, der die Gedanken in eine neue Richtung lenkt. Versteht man das zu seinem Vorteil zu nutzen, macht es Spaß, mit dem Chatbot zu interagieren.
Die Edge-Integration, wenn sie denn vollständig ausgebaut ist, wird sicherlich eine der interessantesten Funktionen. Denn sie gibt einen schnellen und guten Überblick über Webseiten, die viele Informationen haben. Insbesondere dann, wenn man nur einen kleinen Aspekt daraus sucht, ist das Gold wert und wird in Zukunft eine wichtige Hilfe sein.
Was Bings Chatbot nicht gut macht - abgesehen von stundenlangen Konversationen über das Leben, das Universum und Alles zu führen - ist einfache Suchtasks zu übernehmen. So wortgewandt der Chatbot auch ist, es ist ein Computerprogramm, das nur anhand technischer Parameter entscheiden kann, ob etwas wichtig oder aktuell ist. Daher sollte man sich bei Fakten-Fragen nicht auf die Antwort verlassen, sondern mindestens die Quellen nutzen, die Bing mitliefert.
Auf eine Öffentlichkeit, bei der ein gewisser Prozentsatz ungeprüft glaubt, was die KI sagt, kann man sie in diesem Zustand nicht loslassen. Daher halte ich es für eine gute Idee, den Chatbereich mit der normalen Suche zu verbinden. So ist die Versuchung geringer, sich einfach auf das zu verlassen, was der Chatbot ausspuckt.
Die neue Bing-Suche, so wie sie jetzt funktioniert, dürfte auch ein Marketingprodukt sein. Da der Chatbot auch in andere Microsoft-Produkte wie Office integriert wird, steigt der gesamte Wert der Marke. Stelle man sich nur vor, Cortana würde mit der KI kombiniert, würde man plötzlich bei Sprachassistenten einen enormen Sprung nach vorne machen. Das muss man Microsoft also lassen, sie konnten den Hype um KI sehr gut nutzen.
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