Mit künstlicher Haut wieder spüren
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Unser größtes Organ – die Haut – lässt uns fühlen. Sie nimmt im Sommer etwa das kalte Meerwasser wahr, das unsere nackten Zehen umschmeichelt oder die feste Umarmung eines geliebten Menschen, die den gesamten Körper erwärmt. Sinneseindrücke wie Druck, Temperatur und Feuchtigkeit meldet die Haut dem Gehirn in Form von elektrischen Signalen.
Diese wandern über die Nervenbahnen in seine Richtung und werden dort bewertet. Auf diese Weise erhalten wir Informationen über uns und unsere Umwelt und können mit ihr interagieren. Daneben reguliert das Sinnesorgan auch unsere Körpertemperatur.
Ist die Haut beschädigt, etwa durch Hautverbrennungen, kann der Spürsinn beeinträchtigt sein. Schwere Verbrennungen können zu einem Absterben der Hautrezeptoren und einen vollständigen Gefühlsverlust führen. Die Lebensqualität von Brandopfern kann dadurch erheblich reduziert sein.
Fakten
20.000 Menschen erleiden laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr weltweit schwere Verbrennungen am Körper. Laut dem Kuratorium für Verkehrssicherheit müssen in Österreich jährlich rund 3.000 Kinder wegen Verbrennungen oder Verbrühungen im Spital behandelt werden.
Opfern von schweren Verbrennungen wird in vielen Fällen Haut von einer unbeeinträchtigten Körperstelle auf die verbrannte Region transplantiert. Das kann allerdings unter anderem zu einer unterschiedlich starken Pigmentierung führen, sodass das transplantierte Hautareal wie eine Art Mosaik aussehen kann.
Dünner als echte Haut
Mithilfe einer Innovation könnten Brandopfer ihren Spürsinn wiedererlangen. Die Forscherin Anna Maria Coclite vom Institut für Festkörperphysik der Technischen Universität Graz hat eine intelligente künstliche Membran entwickelt, die der menschlichen Haut sehr nahekommt und mit 0,006 Millimetern sogar viel dünner ist. Zum Vergleich: Menschliche Haut ist je nach Körperstelle 1 bis 2 Millimeter dick.
„Die Smartskin besteht größtenteils aus Polymeren und einer sehr dünnen Schicht Zinkoxid“, erklärt Coclite der futurezone. Ein integrierter Sensor misst Druck, Temperatur und Feuchtigkeit und wandelt diese 3 Stimuli in elektronische Signale um. Auf diese Weise könnten Brandopfer wieder fühlen.
Zwar gibt es am Markt bereits elektronische Hautmaterialien, die Druck und Temperatur wahrnehmen können – die Smartskin wäre aber das erste, das zusätzlich auch die Feuchtigkeit misst. Bei 2.000 einzelnen Sensoren pro Quadratmillimeter ist die intelligente Haut feinfühliger als eine menschliche Fingerspitze.
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Haut als Pflaster
Laut Coclite könnten die Sensoren auf eine Art Pflaster oder temporäre Tätowierung eingesetzt werden, die dann auf den entsprechenden Körperteil des Patient*innen angebracht wird. Sobald die Smartskin marktreif ist, könne sie in ihrer Größe je nach Bedarf beliebig groß ausfallen.
Neben Brandopfern könnten unter anderem auch Menschen mit einer Amputation von der künstlichen Schicht profitieren. Sie kann für intelligente Prothesen, die mit den Nervenenden der Träger*innen verbunden sind, zum Einsatz kommen. „Die Smartskin würde lediglich die vorhandenen Prothesen wie ein Handschuh bedecken. Da transparente Elektroden verwendet werden können, ändert sich das Aussehen der darunter liegenden Prothesen nicht“, betont die Forscherin.
Die künstliche Haut könnte den Prothesen-Träger*innen auf diese Weise sensorische Informationen über Druck, Temperatur und Feuchtigkeit liefern. So kann die betroffene Person beispielsweise einen Kaffeebecher greifen und zum Mund führen. Da die mit der Smartskin bedeckte Prothese dann aber auch die Temperatur wahrnehmen würde, wüsste der Träger oder die Trägerin, dass er noch warten muss, bis er den heißen Kaffee trinken kann.
Smarte Textilien
Die künstliche Haut könnte daneben auch in der ästhetischen Chirurgie oder in der Robotik – etwa für Roboter, die ihre Umwelt besser wahrnehmen können – zum Einsatz kommen. Möglich sei zudem eine Anwendung für intelligente Textilien. Laut der Wissenschafterin könnte sie die kontinuierliche Überwachung lebenswichtiger Parameter ermöglichen. Daten über Temperatur, Feuchtigkeit und Druck könnten dabei über Bluetooth an eine Smartphone-App übertragen werden, welche die Sinneseindrücke protokollieren und darstellen kann.
Aktuell befindet sich die Innovation auf dem Weg zur Kommerzialisierung. Das Projekt hat laut Coclite unlängst eine Finanzierung erhalten. Die Forscherin will mit der Förderung des European Research Council einen wichtigen Schritt zur Markteinführung machen und die drahtlose Verbindung des Smartskin-Prototypen zu einem Echtzeit-Überwachungssystem entwickeln.
Stabilitätstest
Bis dahin muss unter anderem noch die Langlebigkeit des Materials geprüft werden. „Wir testen in diesen Monaten die Stabilität der Smartskin. Wir wissen, dass die Materialien jahrelang stabil sind. Für das zusammengebaute System ist möglicherweise aber eine Schutzschicht erforderlich“, so die Wissenschafterin. Neben den Stabilitätstests werden auch Standardisierungstests durchgeführt.
Künstliche Intelligenz lindert Schmerzen bei Prothesen-Träger*innen
Prothesen ermöglichen Menschen mit Amputationen die Ausübung ihrer alltäglichen Tätigkeiten. Herkömmliche Produkte haben allerdings ihre Grenzen und scheitern oft an feineren Bewegungen. Die Abläufe sind dann nicht ideal. Dank künstlicher Intelligenz (KI) kann die neue Generation von Prothesen derartige Mängel nun ausgleichen.
Ein Wegbereiter in diesem Bereich ist der deutsche Hersteller Ottobock, der erstmals in Europa selbstlernende Prothesen entwickelte. Die Träger*innen können sie intuitiv über ihre Gedanken steuern und sind somit auch die Lehrer*innen der Prothese. Die Produkte lernen, auf feinste Muskelbewegungen der Träger*innen zu reagieren und können sie beinahe ident nachahmen. Die Bewegungen laufen dabei komplett automatisch und intuitiv ab.
Schmerzen lindern
Kürzlich hat auch ein Team des Korea Institute of Machinery and Materials (KIMM) eine neuartige Beinprothese entwickelt, die auf künstlicher Intelligenz basiert. Sie kann den Druck im Prothesenschaft, welcher der Größe des betroffenen Körperteils entspricht, reduzieren und somit Schmerzen bei den Träger*innen lindern.
Im Inneren eines Prothesenschafts können sich je nach Blutzirkulation oder Zustand des Hautgewebes häufig Änderungen ergeben. Der Schaft erkennt in Echtzeit leeren Raum und füllt sich automatisch mit Luft, wodurch die Belastung der Amputationsstelle reduziert wird. Das Gerät kann dabei auf bis zu 15 Prozent der Volumenänderungen des amputierten Bereichs reagieren.
Passt sich Treppen an
Generell misst der Prothesenschaft auf Basis von KI kontinuierlich die Gangstabilität der Träger*innen und passt sich Veränderungen in der Gehumgebung wie ebener Untergrund, Treppen oder Steigungen an.
Das Ein- und Ausblasen der Luft in den Schaft kann entweder automatisch oder manuell erfolgen – je nach Belieben der Nutzer*innen.
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