ESA-Direktor im Interview: "Der Weltraum ist kritische Infrastruktur"
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Der Österreicher Josef Aschbacher ist seit 2021 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Das Jahr 2022 war auch für die Raumfahrt ein schwieriges, denn der Krieg mit Russland überschattete auch die internationale Zusammenarbeit, etwa auf der ISS.
Mit dem höchsten Budget, das die Mitgliedsstaaten jemals für die europäische Raumfahrt bereitstellten, will man nun mit großen Schritten in die Unabhängigkeit (mehr dazu hier). Die futurezone hat mit ihm über die aktuelle Situation und die Zukunft der Raumfahrt gesprochen.
futurezone: Wieso arbeitet Europa gerade verstärkt an einer Unabhängigkeit in der Raumfahrt?
Josef Aschbacher: Raumfahrttechnologie, insbesondere unsere Satelliten, aber auch das Bodensegment, sind so tief in das tägliche Leben eingedrungen, dass wir ohne sie nicht arbeiten können und nicht den Lebensstandard haben können, den wir heute haben. Der Weltraum ist deshalb kritische Infrastruktur und bedarf einer gewissen Unabhängigkeit. Dazu gehört natürlich auch der Zugang zum All durch Raketen, um die Satelliten in den Orbit zu bringen - und zwar unabhängig und autonom. Europa benötigt dies unbedingt.
Der Start der Ariane 6 verzögert sich um ein weiteres Jahr. Eigentlich sollte sie unter anderem die Starts der Sojus-Rakete übernehmen. Die fehlt Europa nun früher als erwartet. Wird das Terminprobleme geben?
Es waren noch 5 Starts mit der Rakete geplant, bevor das Sojus-Programm mit Russland auslief. Diese fehlenden Starts müssen jetzt umgeschichtet werden. Ich habe gerade mit den ESA-Mitgliedstaaten beschlossen, dass der nächste dieser Starts (EUCLID, Am.d.R.) mit einer SpaceX Falcon-9-Rakete durchgeführt wird. Wir sind momentan daran, einen Start für den Sommer nächsten Jahres zu ermöglichen. Die Verhandlungen laufen gut und sind fast abgeschlossen.
Für die Galileo-Satelliten, die Teil einer Konstellation sind, haben wir etwas mehr Zeit. Die nächsten 2 Starts sind dafür vorgesehen, eine Redundanz zu schaffen, um sicherzustellen, dass das System robust ist im Falle, dass ein Satellit ein technisches Problem hätte. Wir suchen aber nach Möglichkeiten, diese beiden Starts durchzuführen und sprechen auch mit Anbietern in Japan und Amerika.
Sie haben immer wieder betont, dass Europas Raumfahrt unabhängiger werden muss. Wie weit ist das überhaupt möglich?
Raumfahrt insgesamt kann sehr schwer unabhängig sein, das gilt selbst für die größten Raumfahrtorganisationen wie die NASA. In Europa sind wir natürlich viel abhängiger, weil wir weniger in die Raumfahrt investieren als China, Russland oder Amerika.
Welche Rolle spielt der Krieg dabei?
Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Wake-up-Call für Europa. Das hat uns klar unsere strategischen Abhängigkeiten vor Augen geführt. Genau wie im Energie-, Gas- und Ölbereich müssen wir in der Raumfahrt länger- bis mittelfristig mehr Unabhängigkeit bewirken. Und zwar nicht nur von Russland.
Die ISS soll bis 2030 weiter betrieben werden, das haben ESA, NASA, JAXA und CSA beschlossen. Dafür muss aber auch Russland mitmachen. Die Raumstation hatte einen symbolischen Wert als Ort der internationalen Zusammenarbeit. Wie soll das in Zukunft funktionieren?
Die ISS ist wirklich das Symbol für Kooperation zwischen geopolitischen Mächten geworden, die auf dem Erdboden nicht miteinander umgehen können. Nach wie vor ist die ISS der einzige Raum, wo Russland, Amerika, Europa, Japan und Kanada sehr professionell zusammenarbeiten. Wenn einer der Partner aussteigt, funktioniert die ISS nicht mehr und könnte unkontrolliert abstürzen. Es ist eine Notwendigkeit für alle Partner im Westen und im Osten, hier zusammenzuarbeiten und die wertvolle Infrastruktur am Laufen zu halten.
Ohne Russland kann die Raumstation nicht betrieben werden, wir brauchen sie als Partner. Umgekehrt braucht aber auch Russland den Westen. Es gibt auch für Russland keine Alternative, keine russische Raumstation. Selbst wenn sie eine aufbauen würden, dauert das 10 Jahre. Wenn sie Kosmonaut*innen in den Weltraum schicken wollen, sind sie an die ISS gebunden und das wissen beide Partner. Deshalb gehen Ost und West sehr pragmatisch miteinander um.
Bei Erdbeobachtungsprogrammen war Europa lange Zeit hinten nach. Wie sieht die Lage heute aus?
In den vergangenen 20 Jahren ist Europa wirklich enorm gut in der Erdbeobachtung geworden. Europa bietet heute das weltbeste Erdbeobachtungssystem der Welt an. Durch Programme wie Copernicus aber auch die Wissenschaftsmissionen Earth Explorer und die meteorologischen Satelliten haben wir enorm aufgeholt. Der Goldstandard in der globalen Erdbeobachtung ist heute in Europa. Und darauf kann Europa stolz sein.
Was kann die Erdbeobachtung in Zukunft zum Klimaschutz beitragen?
Wir haben hochwertige Satelliten gebaut, die dafür gemacht sind, den Klimawandel zu beobachten und zu verstehen und deshalb auch bessere Maßnahmen ergreifen zu können. Das ist auch die Umsetzung der Politik, die Europa seit Jahrzehnten führt, nämlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz zur Priorität zu erklären. Insgesamt haben wir beim ESA-Ministerrat im November für diesen Bereich ein Paket von 2,7 Milliarden Euro geschnürt.
Innerhalb des sogenannten „Future EO“-Programms entwickeln wir Satelliten, die uns dabei helfen werden, die Klimaänderungen auf der Erde zu verstehen. Die Next Generation Gravity Mission wird Gravitation auf der Erde messen, die auch von Klimaänderungen beeinflusst wird. Das Abschmelzen von Eis und Wasservorräte, die sich unterirdisch verlagern, bewirken Gravitationsveränderungen und das werden wir aus dem All messen.
Mit den Aeolus-Satelliten messen wir die Windgeschwindigkeiten und -richtungen in der wolkenfreien Atmosphäre. Diese Technologie wird weltweit nur von der ESA gemeistert. Es gibt insgesamt 50 Klimavariablen, von denen die Hälfte nur aus dem Weltraum gemessen werden kann. Ich glaube, es ist fair zu sagen, dass das europäische Erdbeobachtungsprogramm das aktivste Klimaprogramm weltweit ist und sich NASA und andere Partner an uns orientieren und mit uns zusammenarbeiten.
Nächstes Jahr werden die neuen Astronaut*innen ihr Training beginnen. Sie stammen aus 11 Mitgliedsstaaten und sind fast zur Hälfte weiblich. War Ihnen das bei der Auswahl wichtig?
In der letzten Astronautenklasse von 2009 hatten wir 7 Astronaut*innen, davon nur eine Dame mit Samantha, die anderen 6 waren Herren. Das Verhältnis wollte ich schon ändern. Wir hatten einen wirklich tollen Pool an Kandidat*innen und ich hatte die große Ehre und das Vergnügen, die letzten in einem direkten Interview auszuwählen. Da habe ich natürlich darauf geschaut, dass wir eine gewisse Diversität haben, was das geografische und Gender angeht.
Auf was haben sie bei der Auswahl noch besonders geachtet?
Man muss auch im Team arbeiten können. Man will im Weltall, wenn man 6 Monate auf der Raumstation aufeinander angewiesen ist, nicht irgendwelche Egoisten, die als freie Elektronen alles machen können, aber nicht miteinander reden. Wir hatten einen wirklich tollen Pool an Kandidat*innen und ich hatte die große Ehre und das Vergnügen, die letzten in einem direkten Interview auszuwählen. Da habe ich natürlich darauf geachtet, dass wir eine gewisse Diversität haben, was Geographie und Gender angeht.
Es gibt viele neue Herausforderungen mit Mond und Mars als mögliche Einsatzorte in der Zukunft. Ändern sich damit auch die Anforderungen an die Astronaut*innen?
Die neuen Kandidat*innen werden in erster Linie für die ISS eingesetzt. Das heißt, sie werden dort ihre Erfahrungen sammeln wie die derzeitigen Astronaut*innen, die damit Kandidat*innen werden für das Gateway und Mondmissionen. Wenn man in der nächsten Dekade Infrastruktur auf dem Mond baut, dann wird das Leben der Astronaut*innen auch ein ganz anderes sein. Das ist eine andere Herausforderung als auf der Raumstation, wo man durch die Atmosphäre geschützt und viel näher an der Erde ist. Am Mond ist man viel exponierter, in vielerlei Hinsicht.
Insofern werden die Herausforderungen komplexer werden. Aber ich hoffe, dass durch die Ausbildung und über die Raumstation als ersten Schritt, die Kandidat*innen bestens vorbereitet werden. Ich habe diese Frage genau so an die Kandidat*innen gestellt - ob sie bereit sind, auf den Mond oder auf den Mars zu fliegen und sich der Risiken bewusst sind. Und das haben natürlich alle der letztendlich Ausgewählten mit “Ja” beantwortet, weshalb sie sich für die finale Auswahl qualifiziert haben.
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