
Atalante X soll Menschen, die im Rollstuhl sitzen, bei der Rehabilitation helfen
Was Exoskelette für unsere Gesundheit tun können
In Filmen verleihen Exoskelette ihren Trägern übermenschliche Superkräfte. Die technischen Körperverstärker sind mittlerweile Wirklichkeit geworden. Immer mehr Unternehmen bringen robotische Stützen und Apparate auf den Markt, die uns schwere Dinge mühelos heben lassen oder unsere Ausdauer steigen sollen. Künftig könnten sie Pflegekräfte unterstützen, Gelähmte wieder gehen lassen und Sportlern neue Kräfte verleihen.
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HAL: Erster robotischer Anzug für Kranke
Bereits im 19. Jahrhundert machten sich Erfinder Gedanken über solche Maschinen. In den folgenden Jahrzehnten wurde dann viel experimentiert. Ab 1989 entwickelte der Japaner Yoshiyuki Sankai erstmals einen robotischen Anzug, der speziell für Kranke gedacht war. Seit 2008 ist Sankais Anzug „HAL“ im Einsatz. Von den großen Hoffnungen, die in Exoskelette gesetzt werden, zeugen zahlreiche österreichische Initiativen in diesem Bereich.
Lässt Querschnittsgelähmte wieder aufrecht gehen
Einer, der daran glaubt, ist Gregor Demblin. Vor fast 30 Jahren hatte der österreichische Unternehmer auf seiner Maturareise einen Unfall, der sein Leben veränderte. Seither ist er querschnittsgelähmt. 2017 zog er aus Neugier erstmals selbst ein Exoskelett an, das er mit einem Therapeuten nach Österreich brachte.
„Alle haben mir gesagt, es würde nicht funktionieren. Wider Erwarten habe ich dann 400 Schritte mit dem Exoskelett gemacht“, sagt Demblin. Für ihn sei es ein nach über 25 Jahren im Rollstuhl „unfassbares Erlebnis“ gewesen. „Der Körper fühlt sich anders an und die Welt schaut von oben anders aus“, erinnert er sich an den Moment zurück, als er nach all den Jahren endlich wieder seinen zu voller Größe aufgerichteten Körper erleben konnte.
Auswirkungen auf den ganzen Körper
Demblin gründete 2019 die Einrichtung Tech2People, die in Wien robotische Therapien anbietet, darunter solche mit Exoskeletten. „Ich wollte die Möglichkeit schaffen, dass ich und andere das regelmäßig machen können.“ Nachdem er selbst öfters mit dem Exoskelett gegangen sei, sei es ihm gesundheitlich besser gegangen: „Ich habe weniger Antibiotika gebraucht, das Immunsystem funktionierte besser, ebenso wie das Herz-Kreislauf-System und meine Verdauung. Sogar Auswirkungen auf die Knochendichte hatte es.“
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In der Wiener Seestadt betreibt er nun eines der modernsten ambulanten Zentren für robotische Therapien in Europa. Bis zu 50 Menschen mit Erkrankungen wie Querschnittslähmung und Multipler Sklerose arbeiten dort täglich mit robotischen Geräten daran, ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Der Terminkalender soll bereits für Monate ausgebucht sein. Demblin ist sich sicher, dass Exoskelette in absehbarer Zeit den Rollstuhl ersetzen können.
Künftig sollen sie aber nicht nur Kranken helfen, sondern auch Gesunden zu mehr Leistungsfähigkeit und Fitness verhelfen. Firmen wollen mit Exoskeletten für körperlich fordernde Arbeiten, wie Pflege- oder Lagerarbeit, die Berufswelt umkrempeln.
Bei körperlicher Arbeit sind Exoskelette nicht immer hilfreich
Was sie Gesunden bringen, versuchte die TU Graz herauszufinden. Die Forscher baten die Teilnehmer, im Arbeitsalltag Exoskelette für Schulter- oder Rückenunterstützung zu tragen. Bei Malerarbeiten, in Lagern und Logistikzentren trugen die Testpersonen sie wochenlang. Dann wurden sie befragt.
Es zeigte sich, dass sich die Träger in manchen Fällen entlastet und leistungsfähiger fühlten – etwa einer, der beim Schleifen einer Zimmerdecke über Kopf ein Exoskelett trug. „Er berichtete von 55 Prozent weniger gefühlter Belastung. In seinem Fall hat es sehr gut gepasst und viel Gewicht weggenommen“, sagt Matthias Wolf von der TU Graz.
Bei anderen war das Gegenteil der Fall. Die Träger fühlten sich von dem Apparat eher gestört. Durchgeführte Muskelmessungen ergaben ähnlich gemischte Resultate. Das Studienfazit: Exoskelette können bei manchen Tätigkeiten sinnvoll sein. Aber sie können die Arbeit auch anstrengender machen, etwa wenn man viele verschiedene Bewegungen ausführt, statt weniger wiederholender, für die das Exoskelett optimiert ist. Außerdem sind sie teuer: Die eingesetzten Modelle kosten bis zu mehreren Tausend Euro.
Richard Crevenna, Leiter der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin der MedUni Wien, hält Exoskelette im Job dann für sinnvoll, wenn man Fehl- und Überbelastungen ausgleicht.
Etwa beim schweren Heben, bei oft wiederholten gleichbleibenden Bewegungen und Über-Kopf-Arbeiten. „Exoskelette haben das Potenzial, die Teilhabe am Arbeitsplatz zu verbessern. Das bringt nicht nur den Arbeitnehmern etwas, sondern auch den Arbeitgebern“, meint Crevenna. Auch das Gesundheitssystem könnte dadurch profitieren: Weniger Belastung heißt weniger Physio- und Schmerztherapien für Menschen, die sich mit ihrer jahrelangen, körperlichen Tätigkeit Rücken und Knie ruiniert haben.
Leichteres Skifahren und Wandern
„Im Freizeitbereich kann ich mir Exoskelette eher vorstellen als in der Arbeit“, sagt Wolf: „Überall dort, wo es sehr anstrengend ist und Muskeln wehtun, die man so entlasten kann.“ Er habe einen überzeugten Nutzer getroffen, der mit einem Exoskelett seine Knie beim Skifahren entlastet. Auch Geräte, die beim Wandern unterstützen, gibt es schon.
„Richtig eingesetzt könnten solche Produkte zur Prävention von Verletzungen, chronischen Abnutzungen und Schädigungen dienen. Grundsätzlich empfehlen würde ich diese im Moment aber nicht“, sagt Crevenna: „Wir sind auf einem guten Weg. Die Forschung und die technischen Entwicklungen sind enorm – eine noch engere Verzahnung von Technik und Medizin ist weiterhin notwendig, damit am Ende Produkte entstehen, die sicher, effektiv und effizient einsetzbar sein werden.“
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