Georgia „Zeta“ Avarikioti bei der Preisverleihung des Hedy-Lamarr-Preises 2025, der im Rahmen der Digital Days vergeben wurde.
"Blockchains werden sichere politische Wahlen ermöglichen"
Am 15. Oktober hat die Stadt Wien die Forscherin Georgia „Zeta“ Avarikioti von der TU Wien für ihre Arbeit an Blockchain-Protokollen mit dem Hedy-Lamarr-Preis ausgezeichnet. Die KURIER futurezone sprach mit der gebürtigen Griechin darüber, wie schwer es Frauen in der Technikforschung noch immer haben und wie Blockchain unsere Welt verändert.
futurezone: Sie forschen zu Blockchain - ein kompliziertes Thema. Viele verbinden Blockchain und Kryptowährungen außerdem mit unseriösen Investments und kriminellen Machenschaften. Ist der schlechte Ruf gerechtfertigt?
Georgia Avarikioti: Ja und nein. Wie jedes andere technische Werkzeug können Blockchains zum Guten und zum Schlechten eingesetzt werden. Historisch gesehen hat die Gesellschaft mächtige Werkzeuge auf sehr fehlgeleitete Weise eingesetzt. Die Tatsache, dass es Menschen gibt, die Blockchains für kriminelle Verhaltensweisen nutzen, diskreditiert für mich aber die Technologie nicht. Das Problem ist, dass wir als Gesellschaft dazu neigen, unsere Werkzeuge auf die denkbar schlechteste Weise zu nutzen.
Was Blockchains betrifft, bin ich mir ziemlich sicher, dass die Entwickler von Bitcoin nicht beabsichtigt haben, dass ihr Open-Source-Tool für Betrug oder Spekulation genutzt wird. Derzeit ist es einfach nicht reguliert. Und das ist sehr schwierig, weil es sich um ein globales Konstrukt handelt. Vor allem am Beginn standen hinter der Entwicklung und Förderung von Blockchains nämlich Gruppen, die an Offenheit, Fairness und Freiheit glaubten und nicht an Profit - diese Einstellung ist immer noch vorhanden.
Was hat Ihr forscherisches Interesse an diesem Thema geweckt?
Die gesellschaftlichen Auswirkungen und die intellektuelle Auseinandersetzung. Was mich an Blockchains besonders fasziniert hat, war die Idee des dezentralisierten Vertrauens. Mit der Entstehung von Bitcoin wurde klar, dass man damit Systeme aufbauen kann, an denen jeder teilnehmen, frei Daten, Informationen und Werte austauschen kann, ohne dass jemand die volle Kontrolle über das System hat. Das hat vielfältige Auswirkungen: Man kann frei zugängliche Finanzsysteme aufbauen, Transparenz in Governance herstellen, überprüfbare Wahlen und sichere Lieferketten schaffen. Es motiviert mich, zu einer Gesellschaft beizutragen, die meinen Werten entspricht. Außerdem bereitet mir das Problemlösen in der Informatik Freude. Das Potenzial von Bitcoin die Welt zu verändern - zusammen mit dem alltäglichen wissenschaftlichen Prozess - hat mich von Anfang an angezogen.
Glauben Sie, dass die Blockchain-Technologie unsere Gesellschaft besser machen kann?
Ja! Ich glaube, dass Blockchains die Grundlagen unserer Demokratie stärken und den Menschen die Freiheit geben werden, an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen – frei von Zensur. Aber ich glaube auch, sie wird ähnlich unsichtbar sein wie das Internet. Die Leute werden nicht einfach sagen: „Hey, wir nutzen Blockchains.“ Wir werden als Gesellschaft Blockchains in unser Finanzsystem, unsere Infrastruktur und unsere politischen Systeme integrieren. Das bedeutet, wir schaffen neue Finanzsysteme, die eine sofortige Abwicklung, transparente und überprüfbare Zahlungen ermöglichen.
Wir geben den Menschen ihre Privatsphäre und die Hoheit über ihre Daten und Vermögen zurück und ermöglichen verifizierbare Abstimmungen und damit sicherere Wahlen. All diese Dinge werden meiner Meinung nach im Wesentlichen zum Rückgrat unserer Infrastruktur, Finanzen und Regierungsführung werden.
Bitcoin kommt von Anfang an auch mit bestimmten Wertvorstellung.
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Wird die Technologie unser normales Geldsystem ersetzen?
Ja, in dem Sinne, dass wir Blockchains als Infrastruktur unserer Finanzsysteme übernehmen werden, aber ich erwarte nicht, dass wir die geldpolitischen Prinzipien von Kryptowährungen wie Bitcoin übernehmen werden. Die EZB, die Europäische Zentralbank, entwickelt bereits Technologien, die über den digitalen Euro hinausgehen und die in ein bis 2 Jahren eingeführt werden sollen. Derzeit ist man in einer experimentellen Phase, in der die Blockchain-Technologie im Finanzsystem an neue Zwecke angepasst werden soll, etwa für das Abwickeln von Wertpapieren und anderen Aspekten des Finanzsystems wie Geldtransfers zwischen Banken. Dieser Entwicklungsplan der EZB wurde heuer im Juli vorgestellt.
Und genau darum geht es auch in Ihrem Forschungsgebiet, um diese Transaktionsfragen?
Eines der Themen, auf die ich meine Forschung konzentriere, betrifft die Frage, wie Blockchain-Systeme viele Transaktionen schnell verarbeiten können – ein Problem, das als Skalierbarkeit bekannt ist. Aber das ist nicht mein einziger Schwerpunkt. Ich untersuche auch, wie sich Menschen in diesen Systemen tatsächlich verhalten. Anstatt davon auszugehen, dass alle entweder ehrlich oder böswillig sind, modelliere ich sie als eigennützige Teilnehmende, die ihren Nutzen maximieren wollen. Mein Ziel ist es, offene Blockchain-Systeme zu entwerfen, die auch unter den Bedingungen der realen Welt sicher und zuverlässig bleiben.
Sie haben in Griechenland zunächst Bauingenieurwesen studiert und sind erst später zur Informatik gekommen. Sie sind offenbar ein Beispiel dafür, dass ein später Wechsel funktioniert. Würden Sie sagen, dass Interdisziplinarität eine gute Sache ist?
Ich glaube ja. Wer einmal einen Weg eingeschlagen hat, muss ihn nicht zwangsläufig bis zum Ende gehen. Man kann alles lernen, solange man weiß, wie. Nach meinem Abschluss im Bauingenieurwesen habe ich mich für einen Master in theoretischer Informatik beworben – damals ein ungewöhnlicher Schritt. Im Aufnahmegespräch stand ich vor 5 Professoren. Einer fragte: „Was machen Sie hier?“ Ein anderer: „Wie wollen Sie Algorithmen verstehen, wenn Sie keine diskrete Mathematik können?“ Ich antwortete: „Theoretische Informatik und Fächer wie Kryptographie oder Logik faszinieren mich. Als Bauingenieurin fühle ich mich intellektuell nicht gefordert. Ich bin 24 – soll ich etwas, das mich nicht begeistert, bis 70 weitermachen? Ich bitte nur um die Chance, etwas Neues zu lernen, das mich inspiriert. Wer liebt, was er tut, kann Großes leisten – wenn er die richtige Unterstützung bekommt.“ Da stand ein älterer Professor auf und sagte: „Ich glaube an Sie. Wir nehmen sie – ich übernehme die Verantwortung.“ Dieser Mann, Professor Stathis Zachos, hat mein Leben verändert.
Danach sind sie an der ETH Zürich gelandet, einer der Top-Adressen weltweit. Wir Österreicher blicken teils neidisch auf die wissenschaftlich herausragenden Leistungen in unserem Nachbarland. Was können wir von der Schweiz in Sachen Forschung lernen?
Die ETH hat mir beigebracht, dass Vertrauen und Talent wertvoll sind. Die Universität bietet Forschern Potenzial, Freiheit und Ressourcen. Die bürokratischen Aufgaben werden hingegen minimiert, sodass Wissenschafter sich auf die Forschung und Lehre konzentrieren können. An der ETH wird akademische Freiheit wirklich gelebt: Jeder Professor verfolgt seinen eigenen wissenschaftlichen Weg. Es gibt keine hierarchische Struktur und viele Ressourcen. Das Grundprinzip ist, dass sie Qualität über Quantität wertschätzen: Genauigkeit, Integrität und Exzellenz gehen über alles.
In Österreich haben wir Weltklasse-Forscher. Wir können uns von der Schweiz aber etwas vom Selbstbewusstsein abschauen: Wir investieren in Talente, haben Vertrauen und versuchen nicht sie zu mikromanagen. Wir geben ihnen die Freiheit ihren Weg zu gehen, und stehen zu den Risiken. Ich glaube, unser derzeitiger Rektor, Jens Schneider, verkörpert diese Haltung und kann die TU Wien damit stärken.
Die Blockchain-Expertin behauptet sich in einem männerdominierten Forschungsfeld. Einfach ist das nicht.
© UIV/Clemens Schmiedbauer
"Es gibt in der Wissenschaft Männer, die einen unfairen Vorteil vermuten. Sie sehen eine jüngere, weibliche Forscherin und bezeichnen sie als Quote. Das ist ein Problem."
Kürzlich haben Sie den Hedy-Lamarr-Preis der Stadt Wien gewonnen. Namensgeberin ist eine Frau, die nicht nur Hollywood-Glamour, sondern auch für bahnbrechende Technik steht. Sie war am Frequenzsprung-Verfahren beteiligt, einer Grundlage für WLAN und Bluetooth. Ihr Beitrag wird bis heute trotzdem oft kleingeredet. Müssen Frauen immer noch so hart um Anerkennung kämpfen?
Ja. Das Hauptproblem ist, dass Frauen zuerst beweisen müssen, dass sie fähig und vertrauenswürdig sind, während dies bei Männern einfach angenommen wird. Von Frauen wird außerdem erwartet, kompetent und sympathisch zu sein und das schafft zusätzlichen Druck. Maßnahmen wie Quoten haben zwar geholfen, aber mit Nebeneffekten: Es gibt in der Wissenschaft Männer, die einen unfairen Vorteil vermuten: Sie sehen eine weibliche Forscherin und halten sie für eine Quotenfrau. Das ist ein Problem.
Das klingt so, als gäbe es noch viel zu tun. Haben Sie konkrete Vorschläge?
Wir brauchen sichtbare Frauen, die wir nicht nur wie Beispiele, sondern wie etwas ganz Normales behandeln. Außerdem müssen wir Männer abholen und es ihnen in einer Art und Weise vermitteln, die mit ihnen resoniert. Bisher haben wir ihnen manches noch nicht in einer Weise erklärt, die sie beeindruckt hat. Etwa warum Quoten funktionieren, welche strukturellen und kulturellen Grenzen Frauen erleben oder was passiert, wenn sie in ihrer Karriere Diskriminierung erleiden. Denn die Möglichkeiten für Frauen sind oft nicht gleich. Das kann Zweifel schüren und ihr Selbstbewusstsein untergraben, was wiederum ihre Leistung verschlechtern kann.
Sie stammen aus Griechenland, das in Europa als vergleichsweise patriarchal gilt. Wie haben Sie es geschafft, in einer Gesellschaft, die Frauen oft auf Mutter- und Ehefrauenrollen reduziert, selbstbewusst Ihren Weg in der Technik zu gehen?
Ich habe anfangs Bauingenieurswesen studiert, weil ich seit der Schule Mathe, Physik und Informatik mag. Aber ich komme aus einer Familie, in der die meisten Techniker, Ingenieure und Architekten sind – auch mein Vater war einer. Mit 18 war es für mich daher naheliegend seinem Vorbild zu folgen. Erst im Studium gab es Momente, in denen ich Sexismus erlebt habe: Professoren haben vor versammelter Runde gefragt, warum ich hier bin – das ist kein Beruf für Mädchen. Inzwischen gab es jedoch in Europa Fortschritte. Aber es ist immer noch eine weiter Weg: Es gibt zwar viele Vorteile für arbeitende Mütter, aber gleichzeitig auch die Erwartung, dass sie den Großteil der Pflegearbeit übernehmen. Das bemerke ich, wenn ich Professorinnen mit Kindern beobachte. Gleichberechtigung geht deshalb über die Gesetze hinaus: Die Mentalität muss sich verändern.
Unsere Spielsachen wirken sich auf die spätere Karriere aus, sagt Avarikioti.
© APA/dpa/Jonas Walzberg / Jonas Walzberg
Im MINT-Bereich sind Frauen etwa an der TU Wien noch immer in der Minderheit - bei den Studierenden und in Spitzenpositionen. Was hindert Frauen konkret am Aufstieg in Wissenschaft und Technik?
Das beginnt sehr in der Kindheit: Mädchen-Spielsachen haben einen Fokus auf Ästhetik und Pflege. Diese frühe Prägung beeinflusst, wie wir uns selbst sehen und wofür wir uns von Natur aus geeignet halten. Dieses Muster setzt sich in der Schule und der Universität fort: Mädchen werden eher dazu ermutigt, nicht-technische Berufe zu ergreifen, während technische Fächer – implizit oder explizit – oft als etwas dargestellt werden, das nur für Jungen geeignet ist. Auch Vorbilder fehlen: Wenn man nie jemanden in einem Beruf sieht, der einem selbst ähnelt, ist es viel schwieriger, sich vorzustellen, diesen Weg selbst zu gehen. Und wenn eine Frau eine Karriere in der Technik einschlägt, wird sie mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Wenn sie dann Führungspositionen anstrebt, tritt ein weiteres Stereotyp zutage: Eine kulturelle Vorstellung von Führung, die vor allem mit Selbstdarstellung, Leistung und Selbstvertrauen zusammenhängt, anstatt mit Kooperation und anderen Eigenschaften, die Frauen eher besitzen. All das gibt Frauen das Gefühl, nicht dazuzugehören.
Behandeln Sie Studentinnen anders als Studenten?
Ich habe an alle gleiche Erwartungen. Aber der Kontext ist wichtig: Menschen sind unterschiedlich und man kann ihre Kompetenzen auf verschiedenen Wegen erkennen. In meiner Lehre und als Mentorin versuche ich, das zu berücksichtigen. z. B. bei Multpile-Choice-Tests: Studien zeigen, dass Frauen eher risikoscheu und Männer eher risikofreudig sind. Daher schneiden Frauen bei Punkteabzug für falsche Antworten schlechter ab, trotz gleicher tatsächlicher Fähigkeiten. Deshalb verzichte ich auf die Negativbewertung und gestalte meine Lehre generell so, dass kein Geschlecht bevorzugt wird. In der Betreuung lege ich Wert auf Feedback, das Selbstvertrauen und Eigenverantwortung stärkt. Mentoring bedeutet für mich nicht, die Messlatte neu zu justieren, sondern Studierenden zu helfen daran zu glauben, dass sie sie erreichen können.
Haben Sie einen konkreten Wunsch, wie unsere technologisch fortschrittlichere Gesellschaft in 20 Jahren aussehen wird?
Eine fortschrittliche Gesellschaft sollte Technologie nutzen, um echte Probleme zu lösen, anstatt neue zu schaffen. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die durch Technologie verbessert wird und nicht unsere Aufmerksamkeit und Daten ausbeutet. In Griechenland müssen Uni-Absolventen etwa einen Eid ablegen: Er besagt, dass man bei der Entwicklung neuer Werkzeuge ethische und moralische Implikationen berücksichtigen sollte. Darauf sollten wir uns besinnen, insbesondere im Bereich KI. Denn wir entwickeln Technologien, die unsere Wirtschaft, Arbeitsplätze und Kriegsführung beeinflussen werden. Es ist an der Zeit, dass wir innehalten und darüber nachdenken, ob wir sie entwickeln sollten und nicht.
Hedy-Lamarr-Preis
Den mit 10.000 Euro dotierten Hedy-Lamarr-Preis vergibt die Stadt Wien seit 2018 für österreichische Forscherinnen, die innovative Forschung im IT-Bereich betreiben. Die diesjährige Preisverleihung fand im Rahmen der Digital Days, dem Digitalisierungsfestival der DigitalCity.Wien-Initiative, Mitte Oktober statt.
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